Vor knapp vier Monaten hat sich das Leben von Yelyzaveta Smieian abrupt verändert. Ihre Heimatstadt Odessa in der Südukraine war zu Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zunächst noch verschont geblieben. "Es war noch normal," sagt die 20-Jährige im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk: "Aber dann begannen die Explosionen." Ab dem 21. März verstärkte die russische Armee die Angriffe auf die Hafenstadt am Schwarzen Meer. Und Yelyzaveta, Spitzname Lyza, brach per Zug und Bus auf in Richtung Regensburg - alleine, ohne ihre Familie.
Als Gast-Studentin in RegensburgIn der Ukraine hat Lyza eigentlich Germanistik studiert. Den Bachelor-Studiengang konnte sie kurz vor ihrer Flucht auch noch erfolgreich beenden. Doch ein Master-Studium konnte sie wegen des Kriegs nicht mehr beginnen. Nun ist sie als Gast-Studentin im Master Germanistik an der Uni Regensburg eingeschrieben und kann vorerst in Sicherheit weiterstudieren. "Es ist schön, dass ich hier bin und weiterstudieren kann. Aber manchmal ist es traurig, wenn meine Familie in Gefahr ist." Ihr Vater darf nicht ausreisen - wie jeder Mann unter 60 Jahren. Und ihre Mutter wollte bei ihm bleiben - trotz der wiederkehrenden Bombenangriffe.
BAföG für ukrainische StudierendeDa Lyza wegen der Ungewissheit über die Kriegsdauer keine Pläne schmieden kann, will sie sich zum Wintersemester als reguläre Studentin für den Master bewerben. Funktioniert das, hätte sie Anspruch auf BAföG. Eine Neuerung, die die Bundesregierung Anfang Juni für regulär immatrikulierte Studierende mit ukrainischem Pass eingeführt hat. Die Bewerbungsfrist endete eigentlich am 15. Juli. Doch Lyza fehlte noch ihr Hochschulabschlusszeugnis aus der Ukraine. "Deshalb hoffe ich, dass das klappt." Sie rechnet aber damit, dass das Zeugnis bald bei ihr ankommt.
Uni drückt Auge zu bei BewerbungsfristenDie Uni Regensburg hat jedoch bisher bei den mittlerweile insgesamt 35 eingeschriebenen, geflüchteten ukrainischen Studierenden über jegliche Bewerbungsfristen großzügig hinweggesehen. Denn als sich mit Kriegsbeginn die Anfragen häuften, stand anderes im Fokus, sagt Elli Wunderlich vom International Office der Uni: "Das war einfach ganz klar, dass alle, die sich an uns wenden, unsere Beratungsleistung bekommen und sofern es irgendeine Unterstützungs- und Anknüpfungsmöglichkeit gib, die auch geschaffen wird."
Anfragen aus der gesamten UkraineDie Anfragen kamen aus der gesamten Ukraine. Aus Charkiw, Donezk, Kiew oder Odessa. "Da ist das Spektrum wirklich sehr groß", sagt Wunderlich: "Und auch die akademischen und sprachlichen Hintergründe sind sehr unterschiedlich." Die meisten ukrainischen Studierenden haben, anders als Lyza, wenige bis keine Deutschkenntnisse - was aber für die ausschließlich deutschsprachigen Bachelor-Studiengänge Voraussetzung ist. Schnell stellte die Uni daher einen Anfänger-Sprachkurs auf die Beine.
Sprachkurse testen Eignung für StudiumDen Kurs besucht mit 25 anderen Studierenden auch die 19-jährige Kseniia Liapina - als Austauschstudentin. Ende Juli steht die Abschlussprüfung an. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich bestehe. Aber ich bereite mich so gut wie möglich darauf vor." Sollte sie den ersten Sprachkurs bestehen, würde im Wintersemester ein zweiter auf einem höheren Niveau beginnen. Erst danach hätte sie die sprachliche Voraussetzung, um sich für einen Bachelor-Studiengang an der Uni Regensburg einzuschreiben.
Ein Leben in zwei LändernKseniia studiert eigentlich seit zwei Jahren Journalismus in Kiew. Im April ist sie geflohen - in der ukrainischen Hauptstadt wurde es ihr zu gefährlich. Zusammen mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihren Großeltern ist sie mit dem Bus nach Regensburg gekommen. Freund, Vater und Onkel mussten und wollten in Kiew bleiben. Die Kurse an ihrer Heimat-Uni gehen derzeit zwar online noch weiter. Trotzdem weiß sie nicht, ob sie ihr ukrainisches Studium jemals beenden kann:
"Klar hoffe ich, dass der Krieg nächstes Jahr endet," sagte sie dem Bayerischen Rundfunk: "Aber die Möglichkeiten, die Deutschland den Ukrainern bietet, erlauben es mir, mein Leben in zwei Ländern zu planen."
Anschluss finden in einem neuen LandKseniia hat über Bekannte und eine ukrainische Telegram-Gruppe schnell Anschluss gefunden in Regensburg. Kürzlich wurden sie und weitere Ukrainer und Ukrainerinnen sogar in ein Kino eingeladen - ein Film in ihrer Muttersprache wurde dort gezeigt. "Das war schon sehr schön!" Familie und Freunde daheim vermisst sie trotzdem. Lyza, der Germanistik-Studentin, geht es ähnlich. Zwar kann sie jetzt mit ihrem Freund zusammenleben, der schon seit einem Jahr in Regensburg studiert. An das Leben hier muss sie sich aber noch etwas gewöhnen: "Es ist komfortabel, aber ein bisschen neu."
Täglich Nachrichten vom Krieg in der HeimatDie Nachrichten vom Krieg und von den Entwicklungen in ihrer Heimatstadt Odessa liest sie natürlich noch jeden Tag. Und trotz allem Leid versucht sie sich zumindest ein klein wenig Optimismus zu erhalten: "Ich besuche jetzt hier einen Badminton-Klub. Ich habe Badminton auch in der Ukraine gespielt. Und jetzt habe ich meine Kamera hier, hat meine Freundin mitgebracht. Ich habe als Fotografin gearbeitet. Vielleicht habe ich jetzt ein bisschen Spaß."