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Mit einem "Like" zum Weltfrieden

Oprah Winfrey kennt ihn, George Clooney kennt ihn und auch Justin Bieber hat von ihm gehört. Genauso wie über 100 Millionen anderer Menschen auf der ganzen Welt. Die Rede ist von Joseph Kony, Anführer der berüchtigten, ugandischen Lord's Resistance Army (LRA). In weniger als einer Woche verhalf das Internet-Video "KONY 2012" des kalifornischen Filmemachers Jason Russel dem Rebellenführer zu Weltruhm. Ob Twitter, Facebook oder Youtube: eindrucksvoll demonstrierten die "social media", wie sich mit einer schön verpackten und klug vermarkteten Kampagne lawinenartig Anhänger für die eigene Sache mobilisieren lassen. Unaufhörlich und mit rasendem Tempo wuchs so die Anzahl derer, die mehr (militärische) Anstrengungen zur Ergreifung Konys fordern.

Wie schön wäre doch die Welt, wenn dies schon ausreichte. Wenn sich mit ein wenig Idealismus und einem einfach geklickten "Like" oder einem abgesendeten Tweet die Realität verändern ließe. Diese Seifenblase platzte jedoch, als sich die ersten kritischen Stimmen vornehmlich aus Uganda aber auch von überall anderswo auf der Welt zu Wort meldeten und sich nicht mit den Totschlag-Argumenten "Hauptsache Kony wird geschnappt" oder "Es geht doch um eine gute Sache" zufrieden geben wollten. Der Zweck heiligt eben doch nicht immer die Mittel.

Doch wer ist nun dieser Joseph Kony, dieser "Megastar des Grauens", dessen Name dieser Tage in aller Munde ist. Als einfacher Bauernsohn aus der Volksgruppe der Acholi in Norduganda gründete Kony 1987 die LRA - ursprünglich als bewaffneten Widerstand gegen die ugandische Zentralregierung unter Yoweri Museveni. In den nächsten 20 Jahren überzog er weite Teile des Landes mit seiner Terrorherrschaft.

Gezielte Entführungen von Kindern für den Einsatz als Kindersoldaten oder Sexsklavinnen, Vergewaltigung, Brandstiftung und Verstümmelungen seiner Opfer sind nur einige der Verbrechen, die ihm und seiner marodierenden Bande zu Last gelegt werden. Als selbsternanntes Sprachrohr Gottes hat es sich Kony zum Ziel gesetzt, einen theokratischen Staat auf Grundlage der Zehn Gebote zu errichten. Das politische Programm, die Ideologie Konys, sind aber verwaschen und scheinen über die Jahre einem Weitermachen-wie-bisher gewichen zu sein.

Kony war der Erste, gegen den der ICC 2005 Anklage erhob

Heute ist Kony - auch unabhängig von der Internetkampagne - der am meisten geächtetste Rebellenführer des Planeten. Sein Name steht weit oben auf der Liste der weltweit gesuchten Terroristen. Er war der Erste, gegen den der Internationale Strafgerichtshof (ICC) 2005 Anklage erhob. Nachdem er und seine Anhänger sich im selben Jahr aus Uganda zurückgezogen hatten, fielen seinen Terrorakten nun zumeist Zivilisten in der Zentralafrikanischen Republik, in der Demokratischen Republik Kongo und im Südsudan zum Opfer.

Bisherige Versuche, Kony und seiner Schergen habhaft zu werden, scheiterten wieder und wieder. Obwohl die LRA Norduganda verlassen hat und dort seitdem Wiederaufbaubemühungen merklich vorankommen, hat das Land große Anstrengungen in die Inhaftierung oder Ausschaltung Konys investiert. Im Dezember 2008 verfehlte es eine gemeinsame Operation ugandischer, kongolesischer und südsudanesischer Streitkräfte im Nordost-Kongo nicht nur, Kony zu erfassen und LRA-Basen zu zerschlagen, sondern zog auch noch eine Serie von grausamen Vergeltungsattacken und -massakern seitens der LRA gegen Zivilisten nach sich.

Ähnlich verhielt es sich nur wenige Monate später, als die ugandische Armee erneut an Konys Ergreifung scheiterte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sie diesmal durch US-amerikanisches Militär bei Planung und Finanzierung unterstützt wurde. Schlimmer noch: Obwohl das Gewaltpotential der Rebellen und die Tragödie der vorhergegangen Rachefeldzüge durch die LRA bekannt waren, kam es erneut zu Massakern und Vergeltungsschlägen gegen Zivilisten. In den nächsten Jahren reihten sich weitere Offensiven Ugandas in die Serie der erfolglosen Missionen zur Ergreifung des Rebellenführers ein: Immer wieder gelang es Kony, seinen Verfolgern zu entkommen. Er und seine Rebellen zerstreuten sich in dem riesigen, abgelegenen Vierländereck zwischen den betroffenen Staaten.

Zuletzt hatten die USA unter Obama der Entsendung von hundert Militärberatern zwecks Unterstützung der ugandischen, kongolesischen, zentralafrikanischen und südsudanesischen Armee zugestimmt. Seit Oktober letzten Jahres werden diese nun vor Ort eingesetzt - trotz ihrer Mithilfe ist Kony jedoch weiterhin auf freiem Fuß. Wahrscheinlich liegt sein aktueller Aufenthaltsort in der Zentralafrikanischen Republik.

"Der Böse Mann aus Afrika"

Aus dieser Situation heraus und wahrscheinlich begründet in der Frustration über die Erfolglosigkeit der Jagd auf Kony produzierten nun drei amerikanische Filmemacher der Nichtregierungsorganisation Invisible Children das Youtube-Video "KONY 2012".

In über 30 Minuten legt Regisseur Jason Russel dar, warum Kony alsbald als möglich - bestenfalls aber noch in diesem Jahr - gefangengenommen und das Leid der betroffenen Kindersoldaten beendet werden sollte. Dabei wird der Konflikt auf ein simples "Gut gegen Böse" heruntergebrochen - so einfach, dass es in dem Video sogar der kleine Sohn des Filmemachers versteht. Und mit ihm wahrscheinlich auch Millionen Zuschauer, die vielleicht von der LRA, geschweige denn Kony, noch nie etwas gehört haben. Der möglicherweise unwissende Konsument des Films wird befeuert mit wirkmächtigen Aufnahmen: angefangen bei Bildern euphorischer Anti-Kony-Veranstaltungen von IC, bis hin zum erschütternden Bekenntnis eines ehemaligen Kindersoldaten, der zugibt, dass er nach seinen traumatischen Erlebnissen so verzweifelt gewesen sei, dass er an Selbstmord gedacht habe.

Dazwischen immer wieder Russels Sohn in seiner kindischen Naivität und sein vermeintlicher Gegenpart, Kony, der "Böse Mann aus Afrika". Der Film spricht dabei die empfindlichste Stelle des Zuschauers an - seine Emotionen. Argumente oder Hintergrundinformationen finden sich hingegen kaum. Das trübt den Blick und macht es schwer, nicht betroffen und nicht blindlings Unterstützer der Kampagne zu sein (und nicht das "Kony 2012 Action Kit" für 30 US-Dollar zu kaufen).

Nichtsdestotrotz ließ Kritik an "KONY 2012" nicht lange auf sich warten. Der offensichtlichste Kritikpunkt ist der, dass die Darstellung Ugandas nicht der aktuellen Lage entspricht, bereits errungene Erfolge ugandischer Aktivisten ignoriert und das Image des Landes nachhaltig beschädigt werden. Entgegen der Tatsache, dass Kony nachweislich schon seit 2005 dort nicht mehr aktiv war und seine LRA zudem zu einem schlecht ausgerüsteten, wenige hundert Mann starken Mob heruntergekommen ist, konzentriert sich das Video dennoch ausschließlich auf Uganda.

Ugander und ihre Ansätze für eine Lösung des Konflikts kommen im ganzen Film nicht zu Wort

Vor allem Ugander sind verärgert darüber, dass eine zweifelsfreie blutige Vergangenheit heraufbeschworen wird, um sie als Gegenwart darzustellen und die Region darauf zu reduzieren. In Antwort auf "KONY 2012" versichert der ugandische Premierminister Amama Mbabazi: "Uganda ist nicht in einem Konfliktzustand. Es ist ein modernes, sich entwickelndes Land mit Frieden, Stabilität und Sicherheit." Auch der wohl erfolgreichste Verlag für Reiseführer, Lonely Planet, erkennt die gemachten Erfolge an und kürte das Land jüngst zum "Top-Reiseziel 2012". Das Internetvideo könnte der Tourismusindustrie und kommenden Investitionen nun einen merklichen Dämpfer verpassen. Die Macher des Films simplifizieren zudem an allen Ecken und Enden. Dies mag zwar den riesigen Erfolg des Videos erklären, wird nach Meinung seiner zahlreichen Kritiker aber nicht der Komplexität des Konflikts gerecht.

Ein weiteres, gravierendes Problem sehen vor allem ugandische Kritiker in der paternalistischen, entmachtenden Erzählweise, die afrikanische Stimmen fast völlig außen vor lässt. Der weiße Diskurs stellt in seiner Überheblichkeit die betroffenen Ugander als Opfer dar, denen jegliche Handlungsmacht, Stimme und Wille fehlt. Ein fader Beigeschmack von Kolonialismus schwingt mit. Ugander und ihre Ansätze für eine Lösung des Konflikts kommen im ganzen Film nicht zu Wort, obwohl diese als "Insider" wohl am wahrscheinlichsten Ideen für Lösungsvorschläge parat hätten.

So entsteht unweigerlich der Eindruck, dass es die simple Lösung des Konflikts sei, wenn sich a) überhaupt erst einmal genügend junge Amerikaner/Weiße dafür interessieren, b) diese dann einen politischen und militärischen Willen der weißen, westlichen Welt formulieren und einfordern und c) dann weiße "Experten" als edle Ritter heranpreschen, um dann den Ugandern zu diktieren, was vor Ort falsch läuft und anders gemacht werden muss.

Ein Albtraum für Fachleute der Konfliktprävention in Zentralafrika

Auch die Organisation an sich geriet mit dem Erfolg des Videos zunehmend in die Kritik. Da sind zum einen offene Fragen hinsichtlich der Finanzen ICs. Gegner der Internetkampagne werfen der NGO vor, dass diese weniger als ein Drittel ihrer Einnahmen auch tatsächlich dafür einsetzt, von der LRA betroffenen Bevölkerungsgruppen zu helfen. Der Rest des Geldberges - der in den letzten Tagen und Wochen gigantische Ausmaße angenommen haben dürfte - wird von Verwaltungskosten und Kampagnen im Inland verschlungen. Auch die ausschließliche Forderung nach einem militärischen Vorgehen und die Unterstützung einer selbst höchst fragwürdigen und für ihre Menschenrechtsverstöße berüchtigten ugandischen Armee dürfte für Fachleute der Konfliktprävention in Zentralafrika ein Albtraum sein.

Was bleibt ist der Eindruck, dass "KONY 2012" und seine Macher besser ugandischen Stimmen Gehör verschafft hätten und nicht unbedingt nur den eigenen - auch wenn es gut gemeint war. Nichtsdestotrotz können sich wohl Kritiker und Befürworter der Kampagne auf eine Sache einigen: Kony muss gefasst und seine Gräueltaten und die seiner Schergen beendet werden. Wie dies geschehen soll, daran scheiden sich die Geister. Ob sich ein Mechanismus finden lässt, der millionenfache "Likes" und Tweets, Collegestudenten mit "KONY 2012"-T-Shirts und Buttons oder mit Kony-Postern plakatierte Städte in eine tatsächliche Ergreifung Konys und eine Beilegung des Konflikts umwandeln lässt, ist fraglich.

Vielversprechender ist wohl der Weg, der schon seit einigen Jahren durch ugandische und internationale Akteure vor Ort ernsthaft und systematisch vorangetrieben wird: unter anderem ein direkter Schutz von Zivilisten, ein umfassender Dialog, Wiederaufbau und Entwicklungsförderung sowie Entwaffnung und Reintegration ehemaliger LRA-Mitglieder. Das Hervorzerren alter Missstände ist hingegen kontraproduktiv.

Eines hat die Kampagne aber gezeigt: NGOs und andere internationale Akteure in der Konfliktprävention und Krisenbewältigung müssen in Zukunft stärker und klüger Gebrauch von Medien und Marketing machen, um das schier unendliche Potential jugendlichen Idealismus (und Kapitals) urbar zu machen. Es gibt noch so viele Konfliktherde auf der Welt, noch so viele wirklich Macht- und Stimmlose, denen es nicht hilft, dass man für sie spricht, sondern dass man ihnen Gehör verschafft.

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