Der Künstler Jonathan Meese über seine Studienzeit, Konsequenz und Freiheit
Jonathan Meese, 43, gehört zu den berühmtesten Künstlern der Gegenwart. Er malt riesige Bilder mit Namen wie "Mull Off Spielkindtiredaddy", spritzt und schreibt Räume voll und nennt die Installation "Walhalla-Club", zeigt bei Performances den Hitlergruß und ruft die "Diktatur der Kunst" aus. Die Konsequenz, mit der er arbeitet, hat er an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HfbK) gelernt, wo er freie Kunst studierte. In der Mensa wollte er uns allerdings nicht treffen. Als Ersatz für das Fotoshooting hat er Collagen angefertigt, und wir haben ihn in seinem Berliner Studio getroffen. Am Ende kam seine Mutter Brigitte, 90, vorbei, die selbst zum Gesamtkunstwerk Meese gehört.
Mit ZEIT Campus kehren Künstler und Prominente in ihre alte Mensa zurück. Alle Interviews gibt es hier.
ZEIT Campus: Warum wolltest du uns nicht in der Mensa treffen?
Jonathan Meese: Ich möchte dort nicht stören. Und ich habe auch Angst davor, in die Mensa zurückzukehren, weil sich wahrscheinlich vieles verändert hat. Meine gesamte Studienzeit war himmlisch, und ich möchte diesen Traum, diese Erinnerung nicht zerstören.
ZEIT Campus: Woran erinnerst du dich?
Meese: Die Mensa war vom Feinsten: Currywurst mit Pommes, die nette Chefin und die Bewirtung - ich habe wirklich alles daran geliebt. Meine Kommilitonen und ich haben an der Kunsthochschule regelmäßig die Nächte verbracht, Bier getrunken, geschlafen und gearbeitet. Dieser komische Mensa-Raum mit ovaler Decke und den langen Bänken war wirklich ein Teil des Zuhauses Kunsthochschule für mich.
ZEIT Campus: Wie war dein erster Tag an der HfbK?
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Meese: Ich war ein paar Tage vor der Aufnahmeprüfung zum ersten Mal dort. Jemand hatte mir gesagt: "Schnüffel da mal rein, bevor du deine Mappe abgibst." Das Backsteingebäude wirkte wie ein Schloss, dunkle Gänge, viele Türen, überall stand Professor Soundso dran. Es war so furchteinflößend, ich hatte sogar Schiss vor dem Pförtner. Ich habe dann all meinen Mut zusammengenommen und an eine Professorentür geklopft. Ein Student öffnete. Es war Daniel Richter, der bis heute ein guter Freund und Kollege ist. Ich gab ihm meine Mappe, er schaute sie sich an. Er fand diese abstrakten Bäume, die ich im Mappenkurs in Blankenese zur Vorbereitung gemalt hatte, ganz witzig.
ZEIT Campus: Wie lief die Aufnahmeprüfung?
Meese: Man musste damals seine Mappe an der Kunsthochschule einreichen. Dann haben die Professoren entschieden, ob sie den Bewerber aufnehmen. Vor der Mappenabgabe wollte ich dem Professor Franz Erhard Walther, meinem späteren Dozenten, meine Mappe zeigen. Vor mir in der Schlange standen aber zehn, zwölf Studierende. Manche redeten eine halbe Stunde mit ihm, diskutierten laut, andere nur ganz kurz und heulten dann los. Einer hat Steinblöcke auf den Boden gestellt, mit Radioantennen. Die künstlerischen Zusammenhänge, über die einige sprachen, habe ich nicht verstanden. Das war eine vollkommen andere Welt. Für mich war Kunst bis dahin einfach Malen und Zeichnen. Um sieben Uhr abends war ich endlich dran.
ZEIT Campus: Wie hast du dich vorgestellt?
Meese: Ich wollte das hinter mich bringen und sagte: "Ich bin Jonathan Meese", und schmiss meine völlig nichtssagenden Bäume-Bilder vor den Professoren auf den Boden. Aus heutiger Sicht finde ich die sogar ein bisschen peinlich. Als Franz Erhard Walther mich fragte, wer meine Lieblingskünstler seien, sagte ich: Picasso und Horst Antes. Ich war ein komplett unbeschriebenes Blatt - wahrscheinlich haben sie mich deswegen genommen.
ZEIT Campus: Kann man Kunst denn überhaupt wie ein Handwerk lernen?
Meese: Man kann lernen, mit Materialien umzugehen, mit Öl und Acryl, alles auszuprobieren, von Aktzeichnen bis Keramikbrennen. Doch darum ging es mir nicht. Ich habe gelernt, die Realität abzulehnen und mich von ihr abzugrenzen und auch, dass man in der Kunst alles mit Hingabe und Konsequenz tun muss. Hätte ich meinem Professor gesagt: "Ich möchte jetzt nur schlafen oder Bier trinken", hätte er gesagt: "Ja, du musst es aber konsequent durchziehen. Dann wäre das Kunst."
ZEIT Campus: Wie war deine Studienzeit?
Meese: Ich habe meine Studienzeit geliebt, und ich habe mir die Kunst nicht abtrainieren lassen. Ansonsten war ich nie ein Partygänger. Das Gute ist aber: Kunststudierende sind meistens keine Arschlöcher. Ich war also manchmal mit meinen Kommilitonen im Pudel Club, auf Partys in der Schule oder in WGs.
ZEIT Campus: Du bist damals auch mit deiner Freundin, der isländischen Künstlerin Gudny Gudmundsdottir, zusammengekommen. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Meese: Wir haben uns im Atelier gesehen, in der Mensa oder in der Keramik-Werkstatt. Ich habe mich sofort in sie verliebt, das weiß ich noch. Ich fand sie super, weil sie so hermetisch ist, ihr Ding macht.