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"Neon": Ende einer Jugend

Es war Sommer 2003, ich hatte gerade meinen 18. Geburtstag gefeiert, war endlich erwachsen genug, um Schnaps im Supermarkt zu bekommen, Seven Nation Army von den White Stripes wummerte im Radio, und ich kaufte meine erste im Plus-Supermarkt in Herford, für 2,50 Euro. Neon konservierte meine Jugend und klärte grundsätzliche Fragen: Wird mich mein Beruf glücklich machen? Ist mein Partner der Mensch, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will? Wie mache ich eine Steuererklärung?

In der Zeitschrift sah ich damals das, was die White Stripes für die Rockmusik waren: eine Revolution in ihrem Genre. Neon betrachtete die Welt immer mit einem Filter, wie wir ihn heute von kennen: Das Politik- und Gesellschafts-Ressort hieß "Sehen". Rubriken wie das "Unnütze Wissen" sollten später als Bücher Bestseller werden. Neon fasste all das in einem Satz zusammen: "Eigentlich sollten wir erwachsen sein", und prägte mein Leben wie meine erste CD oder der Terroranschlag am 11. September 2001.

In 172 Ausgaben hat Neon das Lebensgefühl meiner Generation eingefangen, zwischen Modem und Highspeed-Internet, zwischen WG und eigener Wohnung, zwischen One-Night-Stands und der Frage "Willst du Kinder?". Doch nach fünfzehn Jahren scheinen alle Fragen ausdiskutiert. Die Zahl der verkauften Hefte und der Anzeigen sank so stark, dass der Verlag Gruner + Jahr das Heft mit der Juni-Ausgabe einstellen wird. "Wir würden wahnsinnig gerne weiter ein Heft für euch machen, mit all der Leidenschaft, mit der wir es noch immer jeden Monat tun. Aber ihr seid zu wenige geworden", schrieb Chefredakteurin Ruth Fend. Danach fragten sich viele: Warum?

Die Neon- Ausgaben zogen mit mir von Bielefeld nach Berlin und später nach Hamburg. Die Zeitschrift schrieb über Freundschaften, Beziehungen, die ganz großen Gefühle, ohne mir nur eine einzige einfache Lösung anzubieten. Und Neon war auch immer politisch - was heute gerne vergessen wird. Neben Sex-Fragen ("Darf man als Mann eifersüchtig auf einen Vibrator sein?") standen Geschichten über Peschmerga-Kämpferinnen oder abgeschobene Flüchtlinge. Politik, Promis, Quatsch: Damit war Neon sehr lange sehr erfolgreich. Doch nach der Feier kam der Kater, und irgendwann wurde das Magazin als "Studenten- Bravo" belächelt.

In einem der letzten Momente, in dem die Neon -Welt noch heil war, hatte ich 2013 ein Vorstellungsgespräch bei den Chefredakteuren Patrick Bauer und Vera Schröder. Von der Leserin wurde ich zur Redakteurin. Aber ich arbeitete unter ganz neuen Umständen. Wenige Wochen nachdem ich meinen Vertrag unterschrieben hatte, es war der Tag, an dem Neon mit einem Relaunch-Heft begeistern wollte, kam die Meldung: Der schließt den Standort in München. Für mich hörte sich das damals nicht so dramatisch an, ich war bereits mehr als ein Dutzend Mal für Jobs umgezogen, warum nun also nicht Hamburg?

Für manche Kollegen fühlte es sich schlimmer an. Auf Sommerfesten hatten einige von ihnen auch mal unter einer Wodka-Rutsche geknutscht. Einmal im Jahr fuhren sie zum Betriebsausflug nach Davos, liefen Ski und kühlten ihren Gin Tonic mit Schnee statt Eiswürfeln. Viele dieser Geschichten kenne ich nur noch aus Erzählungen, denn die Unbeschwertheit dieser Gemeinschaft hatte nun ein Ablaufdatum: Sozialplan oder umziehen? Gehen oder bleiben? Das waren die neuen Neon -Fragen.

Hätte es zum Umzug eine Überschrift gegeben, hätte sie lauten müssen: Wie viele Kompromisse hält die Liebe zum Job aus? Die Auflage sank rasend, Budgets schrumpften, Redakteursstellen fielen weg, eine Digitalstrategie wurde nie konsequent umgesetzt. Das Kernproblem: Die Leser wurden älter und hatten möglicherweise auch zu oft einen Remix der immer gleichen Antworten auf die großen Fragen des Erwachsenwerdens gelesen. War das Internet schuld? Weil es die Gegenlicht-Fotos, die Leser früher auf dem Titel von Neon fanden, inzwischen millionenfach umsonst bei Instagram gibt? Weil man, um ein Date zu finden, nicht mehr die Rubrik "Ehrliche Kontaktanzeigen" braucht, sondern nur einen Account bei Tinder? Weil die Online-Community, in der Leser ihre Texte teilten, abgelöst wurde von Facebook? Oder wurde Neon überflüssig, weil im Journalismus eine schleichende Neon- isierung einsetzte? Viele Magazine wie der Spiegel oder auch die ZEIT mischten ein bisschen Lebensweltjournalismus unter. Auch das Magazin ZEIT Campus, bei dem ich heute arbeite, hat sich bei der Gründung an Neon orientiert.

In den vergangenen Jahren gab es neue Chefredaktionen, neue Art-Direktoren, erst ein sogenanntes Rebrush, dann ein Relaunch. Erst setzte man auf die Themenbereiche Food und Spießigkeit, dann auf Coolness und Hipster. Nichts schien zu funktionieren. Auch ich war eine von mehreren, die gingen. Mit dem letzten Heft schrumpfte die Auflage auf 58 000 Exemplare, und mit einem Magazin des Fernsehmoderators Joko Winterscheidt namens JWD brachte Gruner + Jahr ein neues Magazin für eine ähnliche Zielgruppe raus. Neon hätte laut dem Verlag dieses Jahr zum ersten Mal rote Zahlen geschrieben. Die verbliebenen 20 von einst 34 Mitarbeitern sollen anderweitig im Verlag untergebracht werden, heißt es.

Uns ehemaligen Lesern und Machern bleibt nun nur noch eine Hoffnung: Dass Neon -Ausgaben in ein paar Jahren auf Flohmärkten und bei eBay gehandelt werden wie alte Ausgaben der Zeitgeistmagazine Tempo oder Twen . Und ein paar junge Leute dann sagen: "So ein Magazin müsste es mal wieder geben."

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