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Special

2005 - Parasitose für die Süddeutsche

Nervös wird er erst, als ihm seine Erklärung abhanden
kommt. Eigentlich hatte der Student
den Magendruck, die Übelkeit und den Durchfall
auf eine ganz andere Art von Nervosität geschoben:
Prüfungsangst. Bei ihm ist diese Unruhe diesmal
besonders ausgeprägt, schließlich hatte er wegen
einer inzwischen überstandenen Grippe Seminare und
Vorlesungen verpasst. Trotz der Eigendiagnose Prüfungsflattern
geht der 24-Jährige zum Arzt. Zur Sicherheit, man
kann ja nie wissen. Und es scheint wirklich nur die Angst
zu sein: Der Mediziner spricht Beruhigendes, empfiehlt Baldrian
und Magentee. Und ja, die Grippe sei auskuriert, mit
dem Triathlontraining könne er auch
wieder anfangen.
Nach der Prüfung aber bleiben
die Beschwerden. Die Bauchschmerzen
werden stärker, das
Vertrauen zum Hausarzt schwindet.
Also geht der Student zu
einem anderen Allgemeinmediziner:
„Fühlt sich nach Blinddarm
an“, erklärt der, während er den
Unterbauch abtastet. Der Arzt lässt
Blut abnehmen, doch die Werte
sprechen gegen seinen Verdacht.
Was tun? Der Student wendet sich an
einen Freund, der Medizin studiert.
Auch der betastet den Bauch, fragt, ob der
Schmerz dumpf oder stechend ist und rät: „Geh
mal besser zum Gastroenterologen.“
Der Darmexperte, ein einsilbiger Mann, ordnet kommentarlos eine
Spiegelung an. Dem Studenten wird flau bei dem Gedanken an die
Sonde, die ihm durch die Speiseröhre bis in den Dünndarm geschoben
werden soll. Doch die Bauchschmerzen sind stark genug, die Untersuchung
nicht zu verweigern. Drei Tage später dann die Diagnose: Sein
Dünndarm ist bevölkert mit Millionen von Parasiten – Giardia lamblia
in der Fachsprache, Lamblien im Volksmund. Mit einer Art Saugnapf
heften sich die Einzeller an die Darmwand, um aus halb verdauter Nahrung
herauszufiltern, was sie brauchen. Unangenehm werden sie durch
ihre Masse: Zehren Millionen Parasiten an ihm, mangelt es dem Wirt
an Nährstoffen. Deshalb fühlen sich von Lamblien Befallene ständig
schlapp. Zudem schädigen die Parasiten die Darmwand und verdünnen
Verdauungssäfte. Nahrungsbestandteile, die normalerweise im Dünndarm
verwertet werden, landen so im Dickdarm, wo sich sonst nützliche
Bakterien zu Plagegeistern entwickeln: Bei der Verarbeitung von Milchzucker
zum Beispiel lassen sie Stoffwechselprodukte entstehen, die Blähungen
und Durchfall hervorrufen.
Aber wo hat sich der 24-Jährige infiziert? In einem tropischen Land, wo
der Parasit viele Wirte findet, war er nicht. Aber die Einzeller gibt es
auch in Deutschland: Laut Robert-Koch-Institut nehmen Giardia-Infektionen
stetig zu, im Jahr 2004 gingen beim Institut 2800 Arztberichte
ein, in denen Deutschland als Infektionsort genannt wurde. Der Darmarzt
führt seinen Patienten auf die Spur: „Einige wenige Lamblien können
über Monate hinweg im Darm überdauern. Wenn irgendwann das
Immunsystem geschwächt ist, schlagen sie zu.“ Die Grippe! Der Student
weiß, dass sie die Körperabwehr arg gebeutelt hat. Aber wann hat er
verseuchtes Wasser getrunken? Ihm fällt das Drunter und Drüber beim
Massenstart zum Schwimmen bei jedem Triathlon ein. Besonders viel
scheußliches Wasser hat er im vergangenen Sommer in einem See bei
Würzburg geschluckt. Erkrankte nicht eine Freundin nach dem gleichen
Wettkampf? Ein Anruf klärt alles auf: ebenfalls Lamblien.
Zum Glück gibt es eine wirkungsvolle Therapie: Metronidazol, eine Substanz,
die die Parasiten von innen heraus auflöst. Nervös wird der Student
ein letztes Mal, als er die lange Liste möglicher Nebenwirkungen
studiert. Doch sein Immunsystem, das die Parasiten monatelang in
Schach gehalten hatte, lässt ihn nichts davon spüren.