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Peter Hacks: Ein Dichter, kein Zeitgenosse


Marx in jeder Zeile

Sätze für die Ewigkeit finden sich in Peter Hacks' "Maßgaben der Kunst", der Sammlung seiner kulturtheoretischen Schriften, zuhauf. Zum Beispiel dieser über Goethe: "Er beendete die Beziehung zu Christiane, indem er sie heiratete ..." Ein Halbsatz bloß, der in seiner Lakonie schon die Grundzüge des ganzen Hacks'schen Werks enthält.

Wer in zeitgenössischen Kategorien denkt, mag meinen, das Heiraten intensiviere die "Beziehung". Bei Hacks, der wusste, dass "Beziehung" ein der gesellschaftlichen Misere angemessenes Wort für Formen verwahrloster serieller Monogamie ist, wird sie dadurch beendet. Verheiratete haben keine "Beziehung" mehr, sondern verschmelzen miteinander.

Die Bewertung überlässt Hacks dem Leser: Er kann hier ein Lob der Ehe wie die Trauer über die verlorene jugendliche Ungebundenheit der Liebe ausmachen. Die mehr als 1000-seitigen "Maßgaben" sind voll mit im wahrsten Sinne des Wortes unerhörter, von Vernunft wie Abgeklärtheit, von Leidenschaft fürs Beste wie Demut vor der Größe der Klassiker funkelnder Sentenzen.

Mit der "Schönen Wirtschaft" enthalten die "Maßgaben" ein von der offiziellen Marxologie bis heute ignoriertes Werk, das die Ökonomie des Marxismus einmal tatsächlich erweitert - indem es sie auf das Gebiet der Künste ausweitet, dabei von Marx ableitet und weiterforscht, ohne von ihm abzukehren oder ihn gar zu revidieren. Es zeigt, dass erst der dogmatischste, also vollständig begriffene Marxismus es erlaubt, mit diesem spielerisch leicht und erneuernd umzugehen: In jeder Zeile hier ist Marx anwesend, aber nirgends wird er zum Abgott; vor die Entscheidung gestellt, Marx zu zitieren oder auf marxistischer Grundlage selbst zu denken, wählt Hacks die letztere Option.

Will man in Zukunft eine Menschheit mit Kunstverstand, wird sie um dieses Werk nicht herumkommen. Nicht unwahrscheinlich außerdem, dass sich einmal auch Parteiprogramme, Revolutionen und Republiken auf es berufen werden.


 Marlon Grohn Original