Max hat dieses Video im Internet hochgeladen. Es ist unterlegt mit schneller Musik. Es sagt: Wir sind frei und jung und wild. Andere würden sagen: Ihr seid verrückt.
Max hat die MOPO angeschrieben, über einen Kontakt. Man könnte doch mal was über „Trainsurfen" machen. Seine Mails unterschreibt er mit „Suicide" - der Selbstmord.
Wir verabreden uns. Ich erwarte einen Mann um die 20 mit Kapuzenpulli, ziemlich lässig, abgeklärt. Max, der eigentlich anders heißt, kommt durch die Tür. Er ist groß und dünn und vor allem ist er jung. Max ist 16.
Er lebt in einem eher wohlhabenden Hamburger Stadtteil. Seine Eltern sind das, was man so Bildungsbürger nennt.
Da steht dieser Junge nun in einem Café in der Nähe der Feldstraße mit großen Plüschsesseln und mag so gar nicht reinpassen. Nicht in die großen Sessel, ins Ambiente und schon gar nicht in meine Vorstellung von ihm. Trinken will er nichts.
Warum zum Teufel klettert man auf S-Bahnen und riskiert sein Leben? „Für mich ist es der Nervenkitzel", sagt er. „Und man vergisst auch den Schulstress."
Seit etwa zwei Monaten springt er auf Züge. Entweder von hinten auf die Kupplung - ein sogenannter „Backride" - oder er zieht sich auf den Zug rauf.
Ich sage Max, dass „Trainsurfen" lebensgefährlich ist und klinge dabei wie seine Mama. „Ich finde, es ist nicht so gefährlich wie man denkt", sagt er. „Wir sind vorsichtig." Das haben wahrscheinlich auch die gedacht, die den Nervenkitzel nicht überlebt haben.
Später will Max Psychologe werden. Sein Abi werde wohl nicht gut genug, aber es sei ein Traum. Damit er sich selbst therapieren kann, witzeln wir.
Wie viele in Hamburg S-Bahn-Surfen, ist unklar. Sowohl Bahn als auch Bundespolizei halten sich mit Zahlen bedeckt. „Ein absolut asoziales Verhalten", nennt es Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum. Denn: Der Zugfahrer, Kinder und andere Passanten könnten mitbekommen, wenn ein Mensch stirbt. Vom Dach rutscht, einen Stromschlag erleidet, überfahren wird.
Bundespolizei-Sprecher Rüdiger Carstens meint: „Das ist lebensgefährlich. Wir können nur alle warnen das nachzumachen." Und illegal sei es sowieso.
Auch Max kennt die genaue Zahl der Surfer in Hamburg nicht. Er sagt, er kenne ein paar aus der „Szene". Er hat eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet, in der man sich austauschen kann. Seinen Eltern hat Max nur erzählt, dass er auf Sachen klettert. Die St. Nikolai-Kirche zum Beispiel.
Angefangen hat er nämlich mit „Roofing" - dem Klettern auf hohe Gebäude ohne Sicherung, einem weltweiten Trend, bei dem man nicht nur für einen Adrenalinkick sein Leben riskiert, sondern mit spektakulären Fotos im Internet auftrumpfen kann.
Auch Max geht es um die Bilder, die Videos. Fotografieren ist sein Hobby, er fachsimpelt über Kameras, möchte eine neue kaufen.
In Berlin ist im September ein 19-jähriger Trainsurfer gestorben, er knallte gegen einen Stahlträger, ein Fahrgast sah die Leiche auf dem Waggon liegen. In Hamburg verletzte sich ein Model Ende 2013 beim Sprayen auf einem Zug. Er geriet zu nah an eine 15.000-Volt-Oberleitung. Es kam zu einem Lichtbogen - ein Stromschlag traf ihn und schleuderte ihn ins Gleisbett. Mittlerweile modelt er wieder. Seine Narben zeigen: Es hätte auch anders ausgehen können, er überlebte nur knapp.
Wie so viele Teenager meint Max, die Gefahr kontrollieren zu können. Dass diejenigen, die sterben oder schwer verletzt werden, meist betrunken oder auf Droge unterwegs sind. Man müsse sich richtig vorbereiten, das Wetter müsse stimmen. „Die Gefahr, das sind die Brücken und der Strom in den Gleisen", sagt er. In seinen Videos warnt er andere davor, das nachzumachen. Menschen könnten sterben. Er, der sich „Suicide" nennt, nicht.
Als seine Freunde zuletzt loszogen, konnte er nicht dabei sein. Er war auf seinem Abtanzball: „Meine Eltern haben mich dazu gezwungen", sagt er lachend und geht.
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