Mit ABBA schuf er Pop-Hymnen, die eine ganze Generation prägten, er selbst ist einer der erfolgreichsten Komponisten aller Zeiten. 375 Millionen Alben und Singles soll er nach Schätzung der Plattenfirma Universal Music allein mit ABBA verkauft haben. Nun veröffentlicht Benny Andersson (70) mit „Piano“ sein neues Album, für das er Songs aus seiner umfassenden Karriere ausgewählt hat und diese als Solo-Klavierstücke neu präsentiert.
Auch wenn die von den Fans ersehnte Wiedervereinigung der Band wohl nicht stattfinden wird: ABBA ist auch 35 Jahre nach der Auflösung immer noch ein großes Thema im Leben von Andersson. Gerade arbeitet er an der Musik für die Fortsetzung des Films „Mamma Mia!“ und auch ein Mammut-Projekt, das ABBA wieder auf die Bühnen bringen soll, ist in Planung.
BILD traf Benny Andersson zum Gespräch in Hamburg.
Benny Andersson: „Das ist schwer zu sagen, aber ich erinnere mich noch ganz genau an mein erstes eigenes Klavier. Das bekam ich, als ich zehn Jahre alt war. Ein Fritz-Kuhla-Piano, ein deutsches Klavier, glaube ich. Seit diesem Tag habe ich jeden Tag gespielt, bis heute, sechzig Jahre später. Das denke ich, ist der Trick: Wenn du gut in etwas sein möchtest, musst du üben.“
Wie sieht Ihre Arbeitsroutine aus?
Andersson: „Ich versuche, jeden Tag zu arbeiten. Ich gehe in mein Studio, in mein Büro – von zehn Uhr vormittags bis fünf Uhr nachmittags. Ich versuche, in Übung zu bleiben. Es braucht Zeit, um gute Sachen zu erschaffen – und ich muss einfach da sein, wenn mir gute Ideen kommen. Es hilft mir nichts, wenn mir die Ideen kommen, wenn ich gerade spazieren bin. Ich muss spielen, mir dabei zuhören, wie ich auch nicht so tolle Sachen spiele – um dann die guten Sachen auszusortieren. Wenn sie denn kommen.“
Wenn sie am Klavier sitzen: Üben Sie richtig oder komponieren Sie mehr?
Andersson: „Ich sitze da und spiele, spiele, spiele. Ich übe keine Etüden, ich versuche nicht, ein echter Pianist zu werden. Aber weil ich so viel Zeit am Piano verbringe, kommt das von alleine. Ich setze mich hin, um zu komponieren und spiele dabei. Improvisieren würde ich das nicht nennen – Komposition ist eigentlich das Gegenteil von Improvisation. Man versucht, alles rauszunehmen bis auf den eigentlichen Kern von dem, was man haben will. Es braucht Zeit, das war immer schon so. Um einen guten Song zu schreiben, braucht man Zeit. Mehr noch als Talent.“
Sie haben unzählige Hits geschrieben. Wenn Sie ein Album wie „Piano“ veröffentlichen, das aus alten Stücken besteht – fällt es Ihnen da schwer, aus ihren vielen Songs auszuwählen?
Andersson: „Ich habe eine Liste gemacht, als ich die Idee zu diesem Album hatte. Welche Songs könnte ich spielen? Das war eine Liste von vierzig, fünfzig Songs. Die rockigen Stücke fielen schon vorab raus – dafür hätte ich eine Band gebraucht, eine Rhythmussektion. Kein ‚Waterloo', kein ‚Dancing Queen'. Ich wollte jene Stücke nehmen, die sich für Solo-Piano anbieten. Ich habe einfach damit begonnen, ein paar Stücke aufzunehmen, jeden Tag ein paar. Irgendwann hatte ich 27 Stücke fertig, 21 davon sind auf diesem Album.“
Haben Sie beim Arrangieren neue Sachen über die Stücke gelernt?
Andersson: „Ich habe sie weniger arrangiert, als sie einfach nur gespielt. Ich hatte alles im Kopf, und wenn ich es in meinem Kopf habe, habe ich es auch in den Händen. Der Grund, warum ich dieses Album machte: Ich wollte herausfinden, ob die Dinge aus der Musik verschwinden, wenn man den Text und den Gesang rausnimmt. Was bleibt dann? Ist es noch gut genug? Hat es immer noch Substanz? Ich fand, dass es das hat. Sonst hätten Sie das nie gehört, weil ich es nicht veröffentlicht hätte.“
Was macht einen guten Song aus? Dass man ihn aufs Gerüst reduzieren kann und er immer noch besteht?
Andersson: „Vielleicht haben Sie da recht. Ich weiß gar nicht, was ein guter Song ist – wobei Songs ja implizieren, dass sie gesungen werden. Eigentlich sprechen wir ja von tunes. Man sollte ihn in einem simplen Kontext spielen können und immer noch heraushören können, worum es in dem Stück geht.“
Andersson: „Ich würde sagen, die Herausforderung ist bei all diesen Dingen die gleiche. Es geht darum, ob die Musik gut genug ist, egal ob das für einen Film oder für Musiktheater ist. Bei meiner Band [Benny Anderssons Orkester, Anm.] kann ich da lockerer sein, wir machen einfach, was wir wollen und haben Spaß. Wir wollen nichts Spezifisches erreichen, sondern nur zusammen spielen und sehen, was dabei herauskommt. Aber von all diesen Sachen ist alles gleich herausfordernd, gleich schwer, gleich leicht …“
Sie haben ja einige der bekanntesten Popsongs aller Zeiten geschrieben. Verfolgen Sie die heutige Popmusik?
Andersson: „Nein, nicht wirklich. Ich muss sagen, ich verstehe sie nicht so recht. Wenn ich mir die britischen Top 10 anhöre, dann weiß ich nicht, worum’s da geht. Was finden die Leute daran anziehend? Hin und wieder tauchen einige tolle Songs auf – einige der Adele-Stücke sind beispielsweise sehr gut, sie ist eine tolle Sängerin.“
Warum verstehen Sie es nicht? Weil die Popmusik weg vom Song geht?
Andersson: „Vielleicht deswegen. Es geht nicht mehr so viel um Harmonie, es geht um den Groove, den Sound, darum, dass es gut produziert ist. Aber welches Recht habe ich, darüber zu urteilen? Um das tun zu können, muss man am Ball bleiben, sich stetig damit beschäftigten, Woche für Woche. Das habe ich seit 30 Jahren nicht mehr gemacht. Ich höre klassische Musik, ein wenig Folk – aber hauptsächlich Klassik.“
Dann passt es ja, dass Sie das Album bei der Deutschen Grammophon, einer renommierten Plattenfirma für klassische Musik veröffentlichen.
Andersson: „Das ist schmeichelnd, weil ich weiß, wofür die Deutsche Grammophon steht. Sie sind sehr wählerisch. Ich hätte mir sonst eine kleine Plattenfirma in Schweden gesucht, die dieses Album veröffentlicht, aber die Deutsche Grammophon hörte es und bekundete Interesse, es herauszubringen. Ich sagte,Ja, toll, ich komme rüber und helfe Euch, es zu promoten‘.
Warum glauben Sie, wollen so viele Menschen Jahrzehnte nach der Auflösung von ABBA immer noch eine Wiedervereinigung?
Andersson: „Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich würde das wissen – ich bin in erster Linie dankbar, dass wir immer noch am Leben sind. Wir haben viel Glück gehabt, auch in den Jahren, nachdem wir uns aufgelöst haben. Vielleicht liegt es an der Qualität der Aufnahmen, dass sie gut genug sind, um auch heute noch zu bestehen. Zumindest möchte ich das glauben.“
Die Songs haben den Test der Zeit jedenfalls gut überstanden.
Andersson: „Ja, das ist unglaublich!“
In Björn Ulvaeus haben Sie 1969 einen kongenialen Songwriting-Partner gefunden. Was macht die Chemie zwischen Ihnen aus?
Andersson: „Ich weiß es nicht, wir mochten uns einfach. Ich habe gehört, dass er für seine Band schreibt, ich schrieb für meine – also beschlossen wir, dass wir eines Tages etwas zusammen machen würden. Irgendwann haben wir das auch getan – und das funktioniert mittlerweile seit 50 Jahren bestens. Das ist eine lange Zeit, auch wenn es sich nicht so anfühlt.“
Wie ist das Verhältnis zu den weiblichen Mitgliedern von ABBA?
Andersson: „Frida und Agnetha geht es gut. Sie leben ihre Leben, wir treffen uns immer noch gelegentlich und plaudern. Björn treffe ich immer noch jede Woche – wir haben schließlich immer noch Dinge zu besprechen“.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit Björn heutzutage denn aus? Schicken Sie sich Musik über das Internet?
Andersson: „Wenn ich einen fertigen Song habe, für meine Band zum Beispiel schicke ich das MP3 an Björn – und frage ihn: ‚Hast du Lust, da einen Text dazu zu schreiben?’. Er sagt dann meistens ja – und genau so funktioniert das. Er kann wirklich über alles schreiben. Ich sende ihm die Musik und habe noch keine Ahnung, wovon der Song handelt. Er entscheidet das – und schreibt über das Thema, das ihm gerade einfällt. Wenn wir es beide mögen, können es Tommy und Helen von meiner Band singen. Das macht wirklich großen Spaß.“
An welchem Projekt arbeiten sie derzeit?
Andersson: „Neben dem ‚Piano‘-Album habe ich in den letzten Monaten die Musik für den neuen ‚Mamma Mia!‘-Film geschrieben. Ich habe die Musik in London aufgenommen, dann in Stockholm all die Vocals von den Schauspielern und Sängern aufgenommen. Sie haben vor kurzem mit dem Filmen begonnen, da musste das alles fertig sein.“
Es hieß, dass 2018 ein Projekt namens „ABBA Digital“ geben wird, ein Multimedia-Spektakel.
Andersson: „2019, wenn es denn wirklich passiert. Das hoffen wir, wir arbeiten daran. Es ist eine Menge Arbeit. Wir werden digital rekonstruiert, damit wir auf der Bühne stehen auf mehrere Arten – es wird auch Hologramme von uns geben! Dazu wird eine Live-Band geben,Tänzer, Feuerwerke, ein grandioses Set-Design. Wir müssen daran arbeiten, welche Songs darin vorkommen, in welcher Reihenfolge sie vorkommen, wie sie präsentiert werden.
Es ist amüsant, weil es so an vorderster Stelle dessen ist, was Technologie heute kann. Deswegen wollen wir das auch machen: Weil es so noch nie gemacht wurde. Wir sind eine alte Band, die es seit 1982 nicht mehr gibt. Man wird uns zu sehen bekommen – aber ich werde derweil zuhause sitzen und mit dem Hund spazieren gehen anstatt in einer Arena zu sein.“
Aber anschauen werden Sie es sich doch?
Andersson: „Ja, natürlich – aber ich muss nicht mehr performen.“
Näher an eine ABBA-Reunion werden wir also nie kommen?
Andersson: „So ist es.“