Der Grünen-Politiker Volker Beck verlässt mit Ende der Legislaturperiode den Bundestag. Im Interview spricht er über die kommende Bundestagswahl, die Rolle der Grünen, politische Lager und den Sinn von Fraktionsdisziplin.
[Wichtiger Hinweis: Das folgende Interview fand im März 2017 statt.]
Fühlen Sie sich für die Ermittlungen gegen Sie abgestraft? Nein, die Diskussion, ob ich wieder auf die Landesliste kam, die gab es ja schon im Jahr 2015. Es gab neue Kandidaten aus meinem Regionalverband, die ich auch unterstützt habe und es gab von mir das Angebot, trotzdem auf der Liste auf einen Platz zu gehen mit Aussicht auf Einzug in den Bundestag. Das hat die Partei nicht gewollt, der Regionalproporz war da wichtiger. Nun muss die Partei mit anderen Leuten für möglichst viele Stimmen werben.
Die Grünen sind wichtig, wenn es darum geht, die Freiheitsrechte gegen eine populistische Sicherheitspolitik von Union wie SPD im Inneren zu verteidigen.
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Kann man bei rot-rot-grün eigentlich von einem politischen Lager sprechen? Wie würde man die Grünen einordnen? Ich erkenne bei gesellschafts- und sozialpolitischen Fragen, sowie bei Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit immer Gemeinsamkeiten von SPD, Linken und den Grünen. In der Außen- und Verteidigungspolitik gibt es dagegen einen massiven Graben zwischen SPD und Grünen auf der einen und den Linken auf der anderen Seite. Am Ende geht es darum, was wir durchsetzen wollen. Wollen wir mehr soziale Gerechtigkeit schaffen? Wollen wir Armut bekämpfen? Wollen wir Bürger mit hohem Einkommen oder großem Vermögen stärker in die Verantwortung nehmen, unser Gemeinwesen und die sozialen Sicherungssysteme zu finanzieren, oder wollen wir das nicht? Die Grünen sind wichtig, wenn es darum geht, die Freiheitsrechte gegen eine populistische Sicherheitspolitik von Union wie SPD im Inneren zu verteidigen. Da braucht es Grüne als bürgerrechtliches Korrektiv, da müssen wir zeigen, dass wir die Partei des Rechtsstaatsliberalismus sein wollen. Sicherheit muss man rechtsstaatlich machen und da, wo Sicherheit nur draufsteht, in Wirklichkeit aber Freiheitsbeschränkungen drin sind, machen wir nicht mit.
Die Grünen liegen in aktuellen Umfragen unter 10 Prozent. Wie bedeutend sind die Grünen in Deutschland noch? Ich denke, wenn wir klarmachen, was unsere Rolle ist, und auch alle gemeinsam offensiv zu dieser Rolle stehen, dann sind wir die Partei von Emanzipation, Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und einer nachhaltigen Entwicklung dieses Planeten, die diese Welt an die nächste Generation in einem lebensfähigen und lebenswerten Zustand übergeben will. Insofern halte ich die Partei und ihre Inhalte - unabhängig von aktuellen Umfragewerten - für unverzichtbar. Vielleicht braucht es ein bisschen mehr Mut, dieses Profil zu schärfen
Es ist ja so, dass wir durch die Erfolge der letzten Jahrzehnte beim Thema Ökologie der Marktführer sind - aber wir sind nicht das einzige Angebot im Regal. Es gibt andere Angebote, allerdings mit weniger Inhalt. Das Produkt mit der höchsten Programmkonzentration sind immer noch Bündnis 90/Die Grünen.
Im Interview mit Planet Interview von 2008 sagten Sie zu den Aussichten auf eine reguläre Ehe für Homosexuelle, dass diese über kurz oder lang kommen werde. Wie schätzen Sie Lage heute ein? (Anm.: Das Interview fand im März 2017 statt) Ich hoffe das immer noch und ich würde mir wünschen, dass die SPD so klar und selbstbewusst ist, dass sie zu ihren Überzeugungen steht und dass wir die Ehe für Homosexuelle angesichts einer Unterstützung von 83 Prozent in der Bevölkerung im deutschen Bundestag noch vor der Sommerpause in freier Abstimmung beschließen. Die Dienstwagen der SPD sind angesichts der breiten Zustimmung sicher nicht gefährdet.
Deutschland feiert 2017 Reformationsjubiläum. Die staatliche Unterstützung der Luther-Dekade beläuft sich Schätzungen zufolge auf ca. 250 Millionen Euro (Quelle: Forschungsgruppe Weltanschauungen). Sind solch große Summen aus Steuergeldern gerechtfertigt? Schließlich ist ein Drittel der Bevölkerung konfessionslos. Beim Reformationsjubiläum geht es nicht darum, dass die evangelische Kirche eine Missionsveranstaltung ausruft, sondern es geht um eine historische Zäsur in unserem Land, die unsere Geistesgeschichte tief geprägt hat - im Guten wie im Schlechten. Es war ein großer Aufbruch aus der selbstgewählten Unmündigkeit einer rein katholischen Gedankenwelt. Mit allen Problemen, die Freiheit und Verantwortung haben, war es einerseits eine Befreiung und andererseits auch eine Engführung. Luther als Person ist eine hochproblematische Figur, mit seinem Verhältnis zur Obrigkeit, zu sozialen, aufständigen Bewegungen, zum Judentum und dergleichen. Gleichzeitig hat er den Menschen mit seiner Übersetzung der Bibel - er war nicht der erste, aber der populärste - die Möglichkeit gegeben, sich in religiösen Fragen stärker selbst ein Urteil zu bilden. Und das hat dann geistesgeschichtliche Folgen gehabt. Wenn er nicht da gewesen wäre, wäre in dieser Zeit vielleicht jemand Anderem diese Bedeutung zugewachsen, Luther war ja auch nicht der einzige Reformator. Dass sich ein Land an so ein historisches und geistig umwälzendes Großereignis erinnert, und darüber diskutiert „Was hat es bewirkt?", „Was ist daran zu kritisieren?", „Was hat es befreit?", „Was ist davon zeitbedingt und muss verworfen werden?", ist eine durchaus relevante kulturelle Auseinandersetzung. An einer solchen Selbstreflexion darf sich der Staat auch schon mal beteiligen.
[Hinweis: Volker Beck hat dieses Interview autorisiert. Zwei Antworten wurden nicht freigegeben, auf die Fragen „Ist für die Grünen, mit der Werbeagentur „Ziemlich Beste Antworten"(ZBA) im Rücken, auch auf Bundesebene die CDU der passende Koalitionspartner?" und „Wenn die SPD von sozialer Gerechtigkeit spricht, ist das für Sie noch glaubwürdig?".]Sie würden also keine konkrete Zahl nennen. Nein. Die Genfer Flüchtlingskonvention und auch der Artikel 16 in unserem Grundgesetz verdanken ihre Entstehung dem Versagen der Völkergemeinschaft angesichts der Verfolgung der Juden durch die Nazis Nicht nur die Nazis haben das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen, andere Länder haben auch die Juden, die es geschafft haben, aus dem Herrschaftsbereich der Nazis rauszukommen, nicht aufgenommen. Ich erinnere an die Schweiz, ich erinnere an die Irrfahrt des Passagierschiffs St. Louis, das aus den USA und Kuba wieder zurückgeschickt wurde und dann mit 1000 Juden an Bord in Antwerpen an Land gegangen ist, von denen viele von den Nazis ermordet wurden. Ich erinnere an die Konferenz von Evian 1938, wo man sich bei der Frage „Wer nimmt wie viele auf?" nicht einigen konnte. Das Ganze endete damit, dass die Juden und Jüdinnen nirgendwohin fliehen konnten. Das darf nie wieder passieren. Damals hat man auch über Obergrenzen gesprochen, so z.B. das britische Weißbuch für Palästina, und niemand wollte sie aufnehmen. Man hätte damals vielleicht hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Menschen retten können, wenn man rechtzeitig gesagt hätte, wir nehmen alle Flüchtlinge auf und kümmern uns darum, dass die irgendwo unterkommen. Ein solches humanitäres Versagen darf sich nicht wiederholen.