Jung und begehrt: An der 1. Bayerischen Fleischerschule bereiten sich Gesellen auf die Meisterprüfung vor. Ihre Zunft hat im eigenen Land an Ansehen verloren - im Ausland sind sie umso gefragter.
München - Der Vater Gynäkologe, die Mutter Hebamme - Paul Lärm, 19, aus München fällt mit seiner Berufswahl aus der Art: Metzger. Zwar haben seine Eltern nichts dagegen. Nur seine Freunde fragen manchmal: „Ist das nicht widerlich?" Manche belächeln ihn sogar. Doch es ist ihm egal, er hat sich entschieden. Auf der 1. Bayerischen Fleischerschule Landshut bereitet er sich auf seinen Meister vor. Die Schule ist die deutsche Elite-Einrichtung, wenn es ums Wurstmachen und Zerlegen von Rinderhälften geht.
Letztlich war es das Praktikum bei einem Metzger, das ihn auf die Idee gebracht hat. „Der Meister dort war ein toller Typ, der hatte richtig Charisma, und das hat mich inspiriert", sagt Paul Lärm heute. Leider ist der gestorben, bevor er bei ihm seine Lehre beginnen konnte. Dafür lernt der Münchner jetzt hier in Landshut, in dem großen weißen Gebäude mitten im Industriegebiet. Zwei Freunde haben ihm die Schule empfohlen. Hat er die Prüfung geschafft, will er sich so schnell wie möglich selbstständig machen.
Erfolg ist ihm gewiss. Wer hier studiert, heißt es, aus dem wird was. Wer zu Hause nicht den eigenen Betrieb übernehmen kann, dem steht die Welt offen: Im Ausland reißen sie sich um die bayerischen Absolventen. Dafür müssen die jungen Fleischer fleißig sein. Der Lehrplan ist straff, neben dem Wurstmachen gibt es Kurse über Ernährung, sogar über Vegetarismus, dazu kommt Marketing für Metzger und betrieblicher Umweltschutz. Im 21. Jahrhundert will der Kunde schließlich wissen, wo genau seine Wurst herkommt, was drin ist und ob sie dick macht.
Weiße Schürze, weißer Kittel, weiße Schirmmütze, so sitzen die 16 Schüler des aktuellen Meisterkurses auf ihren Schulbänken. Vor ihnen erstreckt sich ein Raum mit Geräten zum Wursten. Der Geruch von Desinfektionsmittel liegt in der Luft. Heute wird Brühwurst-Aufschnitt hergestellt. Und es ist wie in jeder Klasse: Einer döst, einer schreibt fleißig mit, der Rest befindet sich irgendwo dazwischen. Die Gesellen werden erst geschäftig, als sie selbst Hand anlegen müssen. Schulleiter Max Ebner verteilt Aufgaben. Zwei sollen die Würze mischen, einer kümmert sich um den Feinbrät, so nennt man die Füllmasse. Zuvor aber Hände waschen! Vor dem Mut der jungen Leute darf man Respekt haben, ihre Branche hat schließlich im eigenen Land deutlich an Ansehen verloren. Nachwuchs ist rar. Das mag an den vielen Fleisch-Skandalen liegen, aber auch am veralteten Image vom Schlachter mit blutverschmierter Schürze. Die Geschäftsführerin Barbara Zinkl, 34, widerspricht diesem Klischee: „Heute ist ein Metzger eher ein Manager, er muss vor allem zeigen, dass er seinen Laden im Griff hat." Sprich, man muss sich präsentieren können. Rhetorikkurse sind fester Bestandteil des Stundenplans. Zinkl: „Schließlich muss man auch ordentlich mit den Kunden sprechen können."
Man merkt schnell: Die Schule sieht es als ihre Aufgabe, dass man den Berufsabschluss Meister wieder mehr wertschätzt. Schließlich stehe der immer noch für Qualität, sagt Barbara Zinkl, die dunkle lange Haare und ein herzliches Lachen hat. Die Betriebswirtin und gute Seele der Schule sitzt im braunen Janker an ihrem Computer und beantwortet Mails. Tradition und Moderne, Zinkl verkörpert beides. Genau wie ihre Schule. An der Wand vor ihr hängt eine große Karte von Deutschland. Rot, blau, grün: Sie ist gespickt mit bunten Nadeln. Jeder Steckkopf ist ein Schüler, sie kommen von überall her. Die meisten aus Bayern, aber genauso aus Sachsen oder von der Ostsee. Wer sich für Landshut entschieden hat, hat sich für Tradition entschieden: 1928 wurde die Schule vom Landshuter Metzgermeister Max Schöner gegründet. Ein Wurst- und Fleisch-Visionär. „Er hat für seine Zeit schon weit vorausgeschaut und gewusst, dass man gewisse Standards bringen muss", sagt Barbara Zinkl. Vor ihrem Büro hängt sein Porträt. Menschen wie ihm ist es zu verdanken, dass der deutsche Metzgermeister heute in aller Welt mehr als anerkannt ist. Dafür spricht auch die Liste der Absolventen - 16 000 seit der Gründung der Schule: Die Schüler kommen aus Österreich, Südafrika, Südamerika und Korea. Aber auch in Japan sind „german sausages" mittlerweile sehr beliebt.
Frankfurter Würstchen gibt es auf jedem japanischen Volksfest und in den Supermärkten zu kaufen. Eine klassische Ausbildung zum Metzger gibt es dort jedoch nicht. Ein Grund mehr für die Landshuter Schule, im Land der aufgehenden Sonne eine Art Zweigstelle zu errichten: das „Aso Meisterdorf". Ein reger Austausch zwischen den beiden Ländern findet statt. „Japanische Schüler kommen zu uns und werden ausgebildet, anschließend können sie in ihrem eigenen Land unterrichten", erklärt Zinkl.
Im Stockwerk unter ihr ist gerade der Feinbrät durch den Fleischkutter gegangen. Schulleiter Ebner hat einen Klecks von der zähen Masse auf die Hand genommen. Er hält sie einem Schüler vors Gesicht: „So muss das aussehen, so muss sich das anfühlen." Der Schüler nickt. Anschließend wird die Masse mit einer Maschine in die Därme gespritzt. Mit einem speziellen Knoten werden die prallen Würste verschnürt. Hier lernt der Metzger-Nachwuchs die Feinheiten. Viele glauben, Metzger ist ein brutaler Beruf, ein Beruf, bei dem es immer auch ums Töten geht - aber es ist oftmals filigrane Handarbeit, filigranes Handwerk. Das wird oft unterschätzt. Jetzt muss auch Maria Naderer, 26, aus Niederaltaich im Kreis Deggendorf ran. Kurze, rote Haare und ein freches Lachen: In diesem Kurs ist sie die einzige Frau. Das kommentiert sie mit einem Schulterzucken. Dann sagt sie noch: „Ich weiß mich schon durchzusetzen." Sie grinst. Naderer kennt sich aus in der Männerdomäne. Ihr Freund ist Metzgermeister. Sie hat zuvor in einem Familienbetrieb gearbeitet, der rund hundert Jahre alt ist.
Das ist tatsächlich auffällig: Viele der Absolventen kommen aus Traditionsunternehmen. Teilweise waren schon die Väter und Großväter auf der 1. Bayerischen Fleischerschule Landshut, es ist die älteste in der ganzen Republik. So auch bei Andreas Axthaler aus Landshut. Die gleichnamige Metzgerei gibt es dort seit rund 60 Jahren. Sein Vater ist Innungsobermeister. „Ich mach' meinen Meister, damit es bei uns weitergehen kann", sagt der 22-Jährige. In seiner Stimme schwingt Stolz mit. Axthaler ist es wichtig, dass man nach getaner Arbeit „sieht, was man gearbeitet hat". Und er wolle etwas mit der Hand schaffen. Schaut man auf seine kräftigen Finger, kann man sich tatsächlich gut vorstellen, dass er Schweinehälften ohne Mühe zerlegt.
Ins Ausland zu gehen kommt wegen des heimischen Betriebs für ihn nicht in Frage. Erst einmal. Wobei das schon verführerisch wäre, wie er einräumt. Jobangebote gibt es genug. An der großen Pinnwand in der Eingangshalle hängen Stellenausschreibungen aus Neuseeland und Kanada. Dort ist zu lesen: „Wir sind eine familiengeführte deutsche Metzgerei in Sydney und suchen zur Verstärkung unseres Teams einen jungen deutschen Metzgermeister. Englischkenntnisse von Vorteil, aber nicht zwingend notwendig." Axthaler überlegt es sich. Vielleicht mal für ein Jahr. Paul Lärm hat seine Zukunftspläne schon längst gemacht. Er hat einen Traum: Er will seine eigene Metzgerei eröffnen. Mitten in Schwabing. „In der Münchner Innenstadt gibt es zu wenige gute Metzger", sagt er, „und zu viele Großmetzger, deren Filialen an jeder Ecke zu finden sind." Viele Münchner würden extra raus aufs Land zu den Dorf-Betrieben fahren, um gute Qualität zu finden. In Zukunft sollen sie zur Metzgerei Lärm kommen. Die hat zwar keine Tradition, aber dafür einen Chef mit mehr als genug Leidenschaft.
Nachtrag: Seit ein paar Tagen ist der Meisterkurs fertig - alle 16 Schüler, die wir besucht haben, haben bestanden.