Kaum eine Bundeswehr-Ausbildung ist körperlich so hart wie die zum Gebirgsjäger. Nur wenige Frauen machen sie. Eine davon ist Hauptfeldwebel Christin Spindler. Als einzige Heeresbergführerin findet sie den Weg, wo andere nicht weiter kommen. Doch jetzt muss auch die Soldatin ihren Kurs ändern.
Mittenwald - Minus acht Grad Celsius, Schnee fällt, und der Nebel ist so dicht, dass man die Berge ringsherum nur erahnen kann. Kein schöner Tag, um in den Krieg zu ziehen. Aber auch wenn es sich so anfühlt, als erfrierten die Zehen in den Schuhen - die Gebirgsjäger der Edelweißkaserne in Mittenwald proben den Ernstfall. 25 Mann simulieren einen Einsatz in einem Krisengebiet. Mit dabei ist Hauptfeldwebel Christin Spindler - als einzige Frau. Die 29-Jährige sitzt in einer Luke auf dem Transportpanzer Wolf und gibt über ihr Kehlkopfmikrofon Anweisungen an ihre Untergebenen. 19 Männer hören auf ihr Kommando.
In den nächsten sechs Stunden werden die Gebirgsjäger ihre Panzer durch den Schneematsch manövrieren. Die Ketten werden knirschen und manchmal auch durchdrehen. Sprengkörper werden explodieren und falsche Rebellen mit Platzpatronen auf die Soldaten schießen. Der ganz normale Wahnsinn - und Spindler mittendrin. Über sich selbst sagt die Gebirgsjägerin: „Ich schinde mich ganz gern einmal selbst." Unter der grünen Mütze trägt sie kurze, blondierte Haare. Ihre großen blauen Augen schauen den Betrachter fest an. Spindler ist eine Frau, die das Extreme sucht. Wo Schluchten und Gletscherspalten überwunden werden müssen, geht die einzige Heeresbergführerin Deutschlands voran. Die Anerkennung dafür hat sie sich in dieser Männerwelt erkämpfen müssen.
Spindler hat dafür ihre Taktik: „Immer mit dem Rucksack möglichst vorneweg laufen." Immer vollen Einsatz zeigen, nicht schwächeln. Als Frau beim Bund müsse man sich durchboxen und sich seinen Stand hart erarbeiten. „Sonst guckt dich keiner an", sagt Spindler und fährt sich hastig mit der Hand durchs kurze Haar. Und je höher man in der Befehlskette klettere, desto mehr Gegner stellten sich einem in den Weg. „Es haben sich mal welche beschwert, ich wäre als Führungsperson nicht geeignet." Einmal erklärte ihr ein Vorgesetzter - Spindler war gerade Unteroffizier - nach dem ersten Händeschütteln: „Damit wir uns verstehen. Nur weil Sie jetzt hier sind, und eine Frau sind, sagen wir trotzdem, was uns passt." Spindler hat diese Worte nicht vergessen. Aber an die Sprüche hat sie sich gewöhnt. Sie deutet mit ihrem Zeigefinger erst auf das linke, dann auf das rechte Ohr. „Das geht hier rein und da raus."
Die Heeresbergführerin hat alle Zweifler hinter sich gelassen. Heute berät sie ihren Chef und die Kompanie, falls es im Gelände schwierig wird. „Wir sind die Vorhut, damit die Kameraden sicher voran kommen." Spindler schätzt die Gefahren durch Schnee-, Fels- oder Geröll-Lawinen ein. Könnte es gefährlich werden, sichert sie das Gelände mit Seilen, Netzen und Haken ab. Dann ist der Weg frei für die Soldaten, Fahrzeuge oder Tragetiere.
Nach jeder Übung gibt es eine Nachbesprechung, Manöverkritik. Auch jetzt. Die Gebirgsjäger stehen um einen Tisch herum, über ihren Köpfen spannt sich eine Plane in Tarnfarbe. Auf der Tischplatte ein Modell, das Gelände wurde mit Sand nachgebaut. Spielzeugpanzer stehen zwischen Moos und Tannenästen, die den Wald nachbilden sollen. Die Straße ist mit roter Farbe eingezeichnet. Ein Hauptfeldwebel sagt: „Ihr seid zu langsam vorgerückt." Mit einem kahlen Ast fährt er auf der Modell-Straße entlang. Spindler notiert sich Stichworte auf einem Zettel. Nach der Besprechung steigt sie wieder auf den Bock, so nennen sie die Fahrzeuge hier. Das Szenario wird wiederholt. Die Schneeflocken treiben jetzt dichter, Spindlers Nase ist gerötet.
Frauen bei der Bundeswehr - ein Reizthema. Oberfeldwebel Markus Holzer, seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, nimmt auch an der Übung teil. Seit neun Jahren ist der 31-Jährige bei der Bundeswehr. Mit Frauen in den kämpfenden Einheiten hat er kein Problem, sagt Holzer. Er hat nur eine Bedingung: „Die Leistung muss stimmen." Er selbst bildet derzeit auch eine Frau zur Gebirgsjägerin aus - und zwar nicht anders als einen Mann. Freilich: „Wenn eine Frau 1,50 Meter oder 1,60 Meter groß ist, muss ich ihr natürlich nicht den schwersten Rucksack aufbürden." Doch das hat weniger mit Rücksicht als mit Taktik zu tun: Wenn sie damit nicht schnell genug voran kommt, würde das nur dem Wohl der Gruppe schaden. „Im Gefechtsdienst kann ich nicht zwei Messlatten anlegen", sagt der Oberfeldwebel. Dann müsse man sich hundertprozentig auf jeden verlassen können - ob Mann oder Frau. Einen Unterschied gibt es aber doch: Die Frau muss härter arbeiten, um die körperlichen Unterschiede auszugleichen.
Gut für Christin Spindler, dass sie früher Hochleistungssport betrieben hat, das machen viele Soldaten. Als Langläuferin startete sie für den Deutschen Skiverband, C-Kader. Für mehr reichte es nicht. Eine Enttäuschung, die lange an ihr nagte. Heute zuckt sie mit den Schultern und sagt nur: „Ich habe einfach die Leistung nicht erbracht." Am Fleiß lag es nicht, im Gegenteil. Sie kämpfte, sie biss sich durch. Irgendwann streikte ihr Körper, ihr Ischias-Nerv rebellierte. Sie war übertrainiert. Spindler entschied sich damals gegen ihre Sportler-Karriere, sie beendete die Jagd nach Medaillen. Gegen den Widerstand ihrer Eltern, die viel Geld in ihr Training investiert hatten. Aber Spindler blieb hart zu sich selbst: „Wenn man keine Leistung bringen kann, ist man raus." Ehrgeiz und Ausdauer blieben ihr. Doch eine neue Herausforderung musste her.
Ihr damaliger Freund ist Offizier. Spindler macht ein Praktikum beim Bund. Im Internet informierte sie sich über die verschiedenen Karrieremöglichkeiten. „Die Gebirgsjäger haben mich gleich angesprochen", erklärt sie, „das war genau mein Ding." Sie bleibt. Im Juli 2005 beginnt sie in Berchtesgaden ihre Grundausbildung. Die körperliche Anstrengung ist kein Problem, die Fitness bringt sie mit - sie kann gar nicht anders. Spindler sagt: „Als Hochleistungssportler muss du dein ganzes Leben abtrainieren." Sportler-Herzen hören sonst irgendwann auf zu schlagen. Also trainiert Spindler weiter, weiter, immer härter. Wenn der Dienst vorbei ist, geht sie noch eine Stunde joggen. Sie muss trainieren, vor allem für die Prüfung. Hochtouren, Eisklettern, Skitourengehen, Bergrettung, Skibergsteigen, Wetter- und Lawinenkunde - das alles muss sie draufhaben.
Vor Spindler hat keine Frau die Ausbildung zur Heeresbergführerin in der Mittenwalder Gebirgs- und Winterkampfschule absolviert. „Das war schon ein Anreiz", gibt sie zu. Sie schafft die Prüfung, 2011 hält sie ihr Abzeichen in den Händen: ein runder Aufnäher, in der Mitte ein Edelweiß, darüber zwei gekreuzte Eispickel. Mit ihr schließt noch eine weitere Absolventin ab. Die ist heute im Mutterschutz.
Spindler ist noch da. Noch. Die Übung bei Winterwetter ist vorbei, sie sitzt jetzt in der Sombar, einer Kneipe auf dem Kasernengelände. Hierher kommen die Gebirgsjäger nach Feierabend, sie ratschen, schauen Fußball und trinken Bier. An den Wänden Schilder, Flaggen und Fotos. An die Holzbalken an der Decke haben Ehemalige Andenken aufgehängt, bevor sie die Kaserne verließen: ein Eispickel, Boxhandschuhe, ein Gipsverband von einem Bein, auch ein Muli-Geschirr.
Spindler ist müde. Seit fünf Wochen ist sie ständig auf Übungsplätzen unterwegs. Das schlaucht. Nächstes Jahr wird auch sie die Bundeswehr verlassen, ihre Dienstzeit ist nach zwölf Jahren abgelaufen. Sie wäre gerne geblieben. Fünf Mal hat sie sich um eine Stelle als Berufssoldatin beworben - jedes Mal ohne Erfolg. „Ich mag nicht mehr", sagt sie. Sie verzweifelte an dem starren Beurteilungssystem, über das sie sagt: „Da geht es nicht um deine Leistung." Auch ihre Ausbildung zur Heeresbergführerin, die den Staat immerhin rund 50 000 Euro gekostet hat, brachte ihr nichts. Spindler will sich einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst suchen, am liebsten in einem Sozial- oder Ordnungsamt.
Bevor sie für immer geht, wird sie sich in der Sombar verewigen. Wie, das weiß sie noch nicht. Sie ist handwerklich begabt, ein Holzschild von ihr hängt schon an der Wand, darauf das Kompaniewappen. Die Soldatin schaut sich um. „Kameradschaft wird sehr groß geschrieben", erklärt sie. Abends noch was trinken, reden. Zusammen mit den Kollegen hat sie hinter der Kaserne eine Holzhütte gebaut, mit Feuerstelle. Jeder hat etwas mitgebracht, Holz, Dachpappe oder Werkzeug. Viele Wochenenden waren sie beschäftigt. Das alles wird sie vermissen. Aber es muss weitergehen.
Spindler liebt es, auf der Spitze eines Berges zu stehen, zu beobachten wie die Wolken ziehen und zu spüren, wie der Wind ihr ins Gesicht bläst. „In solchen Momenten ist es ganz ruhig um mich", sagt sie. In solchen Momenten fühlt sie sich frei. Spindler stand bereits auf dem Mont Blanc und dem Kilimandscharo. Sie hat angefangen, alle Viertausender in den Alpen zu besteigen. Meist ist sie allein unterwegs: „Für meine Freunde bin ich zu extrem." Sie muss kurz schmunzeln. Ihr größter Traum ist eine Expedition durch die Weiten Alaskas. Vielleicht nach ihrem Ausstieg bei der Bundeswehr. Spindler braucht eine neue Herausforderung.
Maria Gerhard