Einer wäscht sich im Meer, ein anderer hat es bis Südkorea geschafft – und landete dort im Knast.
Sobald die Tage kürzer werden und die Nächte kälter, will Matze einfach nur weg. Wenn sein Atem abends in der Herbstluft kondensiert, er auf dem nasskalten Laken liegt und in den Himmel starrt, ist er mit seinem Kopf weit weg in Afrika. Sein Traum ist es, dort zu leben, wo immer Sommer ist. Matze lebt seit über 30 Jahren auf der Straße, er verbrachte viel Zeit in Berlin - und reiste durch ganz Europa.
"Genau wie andere Leute, haben auch Wohnungslose Reiselust", sagt Alexandra Post, Sozialpädagogin und Leiterin der Kontakt- und Beratungsstelle KLIK in Berlin. Sie und ihre Kolleginnen haben im vergangenen Jahr 375 Wohnungslose beraten, die meisten von ihnen sind jung, viele unter 25 Jahren. 85 Prozent der Personen hatten Migrationserfahrungen, haben also schon für längere Zeit außerhalb ihres Heimatlandes gelebt, einige möchten sich dauerhaft anderswo ein neues Leben aufbauen. Die Zahl der wohnungslosen EU-Ausländer, die zu KLIK kommen, sei im Laufe der letzten Jahre gestiegen, sagt Post. Das erkläre sie sich zum einen durch die gesteigerte Reichweite ihres Angebots für junge EU-Binnenmigranten und -migrantinnen, zum anderen aber auch durch mehr Beratungsbedarf.
Wie viele der Obdachlosen und Wohnungslosen aus Neugierde, wegen der Kälte oder aus anderen Gründen verreisen, kann Post nicht einschätzen. Nicht mit allen komme sie ins Gespräch: "Oft kommen die Menschen auch nur zu uns, um sich hier aufzuhalten", sagt sie, "um die Toiletten oder Duschen in der Einrichtung zu nutzen."
2018 sollen laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe 1,2 Millionen Menschen in Deutschland wohnungslos sein, rund 52.000 davon leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Bei den nicht-deutschen EU-Bürgern geht die BAG davon aus, dass rund 12 Prozent obdachlos sind und gerade in Metropolen wie Berlin auf der Straße leben.
Wenn sich die Menschen Sozialarbeiterin Post öffneten, erzählten sie ihr auch von ihren Reisen: "Das Reisen haben sie mir in Gesprächen immer als etwas sehr Positives dargestellt, als Ausbruch aus einer festgefahrenen Situation", sagt Alexandra Post.
Obdachlose wie Matze nutzen die Reisefreiheit in der EU. Sie ziehen los, wenn es sich ergibt oder mal etwas Geld da ist. Viel brauchen sie nicht. Nur ein ungefähres Ziel und den Mut, Menschen auf der Straße anzusprechen, sich auf ihre Hilfe zu verlassen. Statt in den Lonely-Planet schauen sie in die Augen der an ihnen vorbeiziehenden Menschen. So haben es uns viele der Wohnungslose beschrieben. Wir haben sie gefragt, wie es ist, als obdachloser Mensch zu reisen und wie sich das Leben auf der Straße von Land zu Land unterscheidet.
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