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Sind US-Aktien überbewertet?

Geldanlage Sind US-Aktien überbewertet?

Der Tech-Boom hat den US-Index S&P 500 auf ein Rekordhoch getrieben. Für eine Fortsetzung der Party muss nun auch die klassische Industrie anspringen - und der Notenbank Fed muss vor der US-Wahl ein Kunststück gelingen.

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Investoren wie Warren Buffett schauen bei ihrer Bewertung von Aktien vor allem auf eine Kennziffer: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Und das erreicht bei US-amerikanischen Papieren derzeit neue Hochstände. Der S&P 500, der die 500 größten Unternehmen der USA abbildet, notiert aktuell auf Rekordniveau von rund 4850 Zählern und weist dabei ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 26 auf. Der Markt geht demnach davon aus, dass die Unternehmensgewinne in Zukunft deutlich steigen werden. Mit Ausnahme des Corona-Booms 2021, als der Wert zeitweise bis auf 34 stieg, bewegte sich das KGV in den vergangenen Jahren im Durchschnitt um den Wert von 20. Zum Vergleich: Der Dax lag in den vergangenen Jahren bei einem Durchschnittswert von 14.

Der S&P 500 hat also wieder einen sichtbaren Bewertungsaufschlag gegenüber seinem langfristigen Durchschnitt aufgebaut. Laut einer Faustregel an der Börse gelten Werte über 20 als überhöht. Sind US-Aktien also bereits zu teuer geworden?

Nein, sagt Sven Streibel, Chef-Aktienstratege der DZ Bank. „US-Aktien am Allzeithoch sind günstiger als gedacht", sagt der Experte. Streibel sieht „den Kursanstieg als gerechtfertigt an."

Erfolg der "Magnificent Seven" trägt den Index auf neue Höhen

„Historisch betrachtet befinden wir uns aktuell beim S&P 500 nach den Kursverlusten aus 2022 sogar in einem neuen Bullenmarkt", sagt Andreas Hackethal, Professor für Finanzen an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Von einem Bullenmarkt ist die Rede, wenn die Verluste des letzten Bärenmarktes aus dem Jahr 2022 wieder vollständig aufgeholt wurden.

Die jüngste Kursrallye und Erholung des S&P 500 im Jahr 2023 ist vor allem den großen US-Tech-Unternehmen, den sogenannten "Magnificient Seven" zu verdanken. Während etwa die Microsoft-Aktie Anfang des Jahres 2023 noch bei rund 210 Euro lag, notiert sie derzeit bei 364 Euro. Die Aktie des Chipherstellers Nvidia hat sich, getrieben vom KI-Boom, seit Jahresbeginn 2023 verdreifacht. Auch Apple, Alphabet, Meta, Amazon, und Tesla bescherten zahlreichen Anlegern Traum-Renditen. Jedoch verfälscht der Hype um die "großartigen Sieben" das Gesamtbild, denn aufgrund ihres hohen Indexgewichts von mehr als 28 Prozent rissen sie den gesamten S&P 500 mit nach oben. Soweit alles gut für Tech, doch wie steht es eigentlich um die Aktien der übrigen US-Unternehmen?

In einer Analyse trennt DZ-Analyst Streibel deshalb Tech-Aktien von den Nicht-Tech-Aktien. „Mit dem Boom rund um Künstliche Intelligenz erlebte der US-Technologiesektor ein Comeback und schob aufgrund der hohen Gewichtung gleich den gesamten US-Aktienmarkt an", sagt Streibel. Dieser Anstieg sei gerechtfertigt, da das Boomthema KI vielen Unternehmen künftig steigende Erträge verspreche. Schließlich steige die Nachfrage nach KI-Anwendungen weltweit, auch in Deutschland: Laut Bitkom sind im Jahr 2023 die Ausgaben für KI-Software, -Dienstleistungen und -Hardware in der Bundesrepublik um ein Drittel auf 6,3 Milliarden Euro gestiegen. 2024 erwartet der Branchenverband ein weiteres Wachstum um 30 Prozent. Das Marktforschungsinstitut Markets and Markets prognostiziert, dass der KI-Markt bis 2027 ein Volumen von 407 Milliarden US-Dollar erreichen könnte - damit würde sich der Umsatz binnen vier Jahren mehr als verdreifachen.

Nicht-Tech-Aktien mit Erholungschancen - wenn die Fed liefert

Wie stark der KI-Boom den gesamten Index beeinflusst hat, zeigt sich bei der Betrachtung der Nicht-Tech-Aktien im S&P 500. So hat deren Gesamtbewertung im Börsenjahr 2023 sogar leicht nachgegeben. „Die Old Economy leidet ähnlich wie in Europa derzeit noch unter Konjunkturunsicherheiten", so Streibel. Die Angst vor einer tiefen Rezession hat zuletzt nachgelassen: In den USA geht die Mehrheit der Beobachter inzwischen davon aus, dass die US-Notenbank in diesem Jahr rechtzeitig mit Zinssenkungen beginnt, bevor die US-Wirtschaft in eine tiefe Rezession rutscht. Während die US-Großbank Goldman Sachs kürzlich erklärte, dass die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA für 2024 abgenommen habe, spricht auch die Bank of America von einer wahrscheinlichen „sanften Landung".

Analyst Streibel sieht deshalb Chancen außerhalb von Tech. „Nicht-Tech-Aktien sind derzeit nicht wirklich teurer als vor der Coronapandemie", sagt er. Gerade für konjunktursensible Aktien gebe es Nachholpotenzial, sollte nach der moderaten Konjunkturschwäche 2023 in diesem Jahr eine leichte Erholung der Konjunktur folgen. Für eine Erholung werde auch die Zinspolitik der USA sorgen, so Streibel. Derzeit erwartet die Mehrheit der Marktteilnehmer drei Zinssenkungen von der US-Notenbank Fed, eine im Juni und zwei weitere im zweiten Halbjahr 2024. Die Zinssenkungen dürften die Konjunktur beleben und damit auch zyklische Industriewerte außerhalb der Techbranche stützen, so die Argumentation.

Die Erwartung sinkender Zinsen sorgt dafür, dass internationale Fondsmanager auch für 2024 bei US-Aktien „bullish" bleiben, wie die monatliche Umfrage der Bank of America (BofA) zeigt. Diese setzen demnach so stark auf US-Papiere wie seit zwei Jahren nicht mehr. 15 Prozent setzen in ihrem Portfolio auf ein klares Übergewicht der US-Aktien. 71 Prozent erwarten, dass das erhoffte „Soft Landing" gelingt - also sinkende Inflationsraten bei allenfalls milder Rezession. Eine „sanfte Landung" der Konjunktur ist nach den elf Zinserhöhungen der Fed binnen kurzer Zeit jedoch keine Selbstverständlichkeit, sondern wäre eher als Kunststück zu bewerten.

Präsidentenwahl als Marktfaktor

Außerdem stehen im November 2024 Präsidentschaftswahlen in den USA an. „Historisch gesehen gehört ein US-Wahljahr zu den besseren Aktienjahren", sagt Analyst Streibel. Er erwartet positive Impulse für den Aktienmarkt. Der amtierende US-Präsident Joe Biden hat bereits mit dem Inflation Reduction Act (IRA) versucht, die US-Wirtschaft anzukurbeln. Sollte der neue Präsident Donald Trump heißen, dürfte dies zwar für Besorgnis unter den europäischen Partnern sorgen. Doch die US-Wirtschaft könnte auch unter Trump profitieren. „Eine starke US-Wirtschaft dürfte nicht nur den heimischen Aktienmarkt unterstützen, sondern auch den der Handelspartner", sagt Streibel. Schließlich werden rund 30 Prozent der Unternehmensumsätze im Dax in den USA generiert.

Die bevorstehende US-Wahl und die damit verbundenen Schwankungen seien im S&P 500 bereits eingepreist, ergänzt Hackethal, der zusätzlich am Leibniz-Institut SAFE das Pension Finance Lab leitet. Auch andere Faktoren, wie der KI-Boom und das Wachstumspotenzial der Unternehmen, fließen in die aktuelle Bewertung des S&P 500 mit ein. Das seien aber nur wenige Faktoren unter vielen, um US-Aktien zu betrachten, warnt der Experte. Er rät dazu, die aktuellen Analysen und Prognosen zum S&P 500 mit Vorsicht zu genießen. „Mögliche Überbewertungen etwa rein anhand eines Kurs-Gewinn-Verhältnisses abzulesen, ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht zulässig", sagt der Experte.

Gefährlich ist es auch, aus den Mustern der Vergangenheit mögliche Entwicklungen für die Zukunft abzuleiten. Blickt man auf die vergangenen 60 Jahre, waren Phasen steigender Kurse am Aktienmarkt (Bullenmärkte) meist deutlich länger als Phasen mit fallenden Kursen (Bärenmärkte). Diese Bärenmärkte dauerten im Schnitt jeweils rund zehn Monate, während Bullenmärkte im Schnitt über 50 Monate währten. Aus diesem Narrativ heraus stünden die Zeichen also auf weiter steigende Kurse. Aber auch dies sei Kaffeesatzleserei. „Der nächste Bärenmarkt wird sicher kommen, aber niemand weiß, wann dies geschehen wird", sagt Hackethal.

Strategien für ein robustes Portfolio

„Es gibt für Anleger wichtige Strategien, mit denen sie ein widerstandsfähigeres Portfolio aufbauen können", sagt Hackethal, der derzeit am Leibniz-Institut SAFE das Pension Finance Lab leitet. Ein Ansatz ist etwa die sektorübergreifende Diversifizierung, also die breite Verteilung der Geldanlage auf verschiedene Sektoren und Branchen. Ist der Markt in einer Aufschwungphase, profitieren in der Regel Sektoren wie Technologie besonders stark. Wenn der Markt dagegen eine Wende nimmt, erzielen meist defensive Sektoren wie Pharma oder Basiskonsumgüter eine bessere Performance. Die Mischung der verschiedenen Sektoren sorgt damit für eine insgesamt stabilere Performance.

Eine weitere Möglichkeit für Anleger ist die Diversifizierung nach Anlageklassen. Wer außer Aktien auch Anleihen in sein Portfolio aufnimmt, verringert damit in der Regel das Risiko in Zeiten schwacher Aktienmärkte. Wer nicht ausschließlich auf den Wirtschaftsraum USA, sondern mit einem weltweiten Aktienindex auf die gesamte Weltwirtschaft setzt, ist damit ebenfalls breiter aufgestellt.

Neue Risiken am Horizont

Doch nicht nur Konjunktur, Inflation und Zinsentwicklung beeinflussen die Aktienkurse. Laut einer aktuellen Umfrage des Weltwirtschaftsforums unter 1490 Führungskräften sind derzeit vor allem Extremwettersituationen, KI-generierte Fake News und soziale sowie politische Polarisierung die gefährlichsten Brandherde für Unternehmen. Auch Cyberattacken könnten den Markt stärker beeinflussen als bislang, so ein Ergebnis der Umfrage. Eine mögliche Rezession oder einen wirtschaftlichen Abschwung sehen nur 33 Prozent der befragten Topmanager als Problem. „Es gibt demnach noch eine Menge Risiken, die in diesem Jahr auf den US-Markt zukommen", sagt Hackethal.

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