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Shein: Was der Fast-Fashion-Konzern in Europa plant

Expansion mit Billigware Fast Fashion aus China - was Shein in Europa plant

Der Mode-Online-Riese Shein zieht mit modernen Marketingmethoden und Billigware Millionen Kunden an. Nun expandiert der chinesische Konzern in Europa - Umweltschützer schlagen Alarm.

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Shirts für 3 Euro, Kleider für 7 Euro: Der chinesische Billig-Modekonzern Shein hat sich in kürzester Zeit einen Spitzenplatz auf dem globalen Fast-Fashion-Markt gesichert. Der Umsatz des 2008 in China gegründeten Unternehmens stieg laut Bloomberg 2021 um 60 Prozent auf 16 Milliarden US-Dollar weltweit - nur knapp hinter der schwedischen Modekette H&M. Nun will das Unternehmen den europäischen Markt erobern.

Wer auf die Website des Unternehmens schaut, findet dort nicht nur einen Mix aus Klamotten, Kosmetikprodukten, Haushalts- und Wohnartikeln, sondern auch täglich wechselnd neue Produkte. Mit preisgünstigen Kollektionen, die rasend schnell auf den Markt kommen, und exzessiver Werbung auf Social-Media-Kanälen wie TikTok erreicht Shein Millionen überwiegend junge Kunden. Aktuell setzt Shein dabei auf Pop-up-Stores. Das bedeutet: Das Unternehmen hat keine Filialen, sondern verkauft seine Mode offline nur für jeweils eine Woche in einer beliebigen Stadt.

Direkt gegenüber vom Luxuskaufhaus KaDeWe in Berlin hatte der chinesische Fast-Fashion-Konzern Ende März für eine Woche einen dieser Pop-up-Stores eröffnet. Bis zum Ende der Woche hatten rund 15.000 Menschen dort eingekauft. Die Stores sollen in Europa die "Onlineshopping-Experience ergänzen", wie es das Unternehmen ausdrückt. Kunden hatten in dem Berliner Glaskasten etwa die Möglichkeit, ihre T-Shirts mit Designs von vier aufstrebenden Künstlern der Stadt personalisieren zu lassen. Alles in dem Store war perfekt für Instagram inszenierbar - viele der hinzu gebetenen Influencer nahmen die Vorlage dankend an.

Billigware, perfekt inszeniert

Unterdessen saß Peter Pernot-Day, der Strategiechef des Unternehmens, mit einem zufriedenen Lächeln unter einem rosa-lilafarbenen Blumenmeer auf der Bühne. Hinter ihm das Motto Sheins: "Dazzle like the Diamond you are" - was man mit "glänzen", aber auch mit "blenden" übersetzen kann.

In Berlin will Day über seine neue Strategie in Europa erzählen. Die Moderatorin stellt dem Manager drei artige Fragen. Eine Diskussionsrunde mit offenen Fragen gibt es nicht. Day wirkt, als habe er das Motto des Unternehmens längst verinnerlicht: Er spricht ausführlich darüber, wie das Business-Model von "Low Waste" bei Shein funktioniert und dass das Unternehmen vorhabe, seinen CO2-Abdruck bis 2030 um 25 Prozent zu reduzieren.

Da hat Shein noch viel vor. Nur wenige Meter links von Day steht ein Automat, in dem Kunden Haarbürsten und Portemonnaies für einen Euro ziehen können. An der Kasse gibt es schrillbunte Hundehalsbänder und Ohrringe für 3 Euro. In dem Laden riecht es nach einer Mischung aus Douglas und Primark, die Kleidungsstücke tragen größtenteils Etiketten mit der Aufschrift "100 Prozent Polyester".

Warum Shein Polyester liebt

Das Unternehmen begründet die Materialzusammenstellung auf Nachfrage von manager magazin unter anderem damit, dass diese die beste Möglichkeit zum Recycling gebe. "Jede Faser hat ihre eigenen Herausforderungen. Polyester ist das in der Modeindustrie am häufigsten verwendete Material, das ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistungseigenschaften, Haltbarkeit und Preis bietet", heißt es von dem Unternehmen.

Stoffe aus 100 Prozent Polyester hätten großes Potenzial für das Faser-zu-Faser-Recycling. Das Unternehmen suche "auf jeder Stufe der Produktwertschöpfungskette" nach Lösungen für die Kreislaufwirtschaft. Damit komme man der Selbstverpflichtung nach, bis 2050 eine vollständig kreislauffähige Textilindustrie zu schaffen. Zum Vergleich: Fast-Fashion-Konkurrent H&M will bereits bis 2030 56 Prozent seiner Emissionen ausgleichen, bis 2040 sogar 90 Prozent.

Shein lässt sich da mehr Zeit. Zugleich kennt man sich bei dem Fast-Fashion-Riesen aus China auch mit dem Nachhaltigkeits-Vokabular bestens aus: Die "Nachhaltigkeits-Roadmap" von Shein sehe vor, auf mehr recycelte Materialien umzustellen und anstelle von Neuem Polyester künftig verstärkt recycelte Polyestergewebe (rPET) einzusetzen. Um welche Mengen und Fristen es dabei konkret geht, lässt Shein offen.

Täglich 6000 neue Designs

Zugleich produziert Shein Billigware in einer kaum fassbaren Geschwindigkeit. Täglich bietet der Konzern bis zu 6000 neue Designs online an. Konkurrent H&M kam in einem Vergleichszeitraum von vier Monaten nur auf rund 1,4 Prozent der angebotenen Ware. Um solche Schlagzahlen zu ermöglichen, muss in China innerhalb von drei bis sieben Tagen produziert werden, dreimal so schnell wie beim Konkurrenten Zara.

Nach Einschätzung der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist solch eine Produktionsgeschwindigkeit und solch eine Menge nicht mit nachhaltigen Geschäftsmodellen vereinbar. "Dieses neue Ultra-Fast-Fashion-Geschäftsmodell treibt den übermäßigen Verbrauch und die Ressourcenverschwendung auf die Spitze. Dadurch entsteht neben Umweltschäden in den Produktionsländern auch eine riesige Menge an umweltschädlichem Textilabfall im Globalen Süden", wie ein Sprecher von Greenpeace sagt. In Kleidung von Shein steckten oft problematische Chemikalien, wie ein Report von Greenpeace Deutschland zeigt. Produkttests von 47 Artikeln der Ultra-Fast-Fashion-Marke hätten ergeben, dass 15 Prozent von ihnen potentiell gefährliche Chemikalien enthalten, die die Grenzwerte der europäischen Chemikalienverordnung (REACH) überschreiten."Die EU muss ihre Gesetze zum Schutz der Umwelt und Verbraucher auch für Onlinehändler durchsetzen und verschärfen. Gefährliche Chemikalien müssen aus der gesamten Textilproduktion gesetzlich verbannt werden", fordert Viola Wohlgemuth, Expertin für Ressourcenschutz von Greenpeace.

Shein glaubt weiter an nachhaltiges Businessmodell

Doch Shein hält an seinem Mantra fest, ein nachhaltiges Businessmodell zu verfolgen. Dabei ist die Modeindustrie für einen beachtlichen Teil der globalen Emissionen verantwortlich. Der Studie "Fashion on Climate" zufolge verursacht die Textilindustrie 2,1 Milliarden Tonnen CO₂ jährlich. Das entspricht 4 Prozent der globalen Emissionen. Bei der Produktion von Kleidung entsteht ein hoher Verbrauch an Ressourcen wie Wasser, Energie und Rohstoffen.

Shein bleibt unterdessen auf Expansionskurs. Anfang Mai betonte Europachef Day bei einer Pop-up-Store Eröffnung in Paris, Shein sei "ein On-Demand-Hersteller, der weltweite Pionier dieser Technologie". Indem Produkte zunächst mit einer kleinen Auflage getestet würden und die Produktion erst bei entsprechender Nachfrage hochgefahren werde, habe Shein das "Bestandsrisiko" eliminiert, so Pernot-Day. Damit sei der "größte Kostenfaktor bei der Bekleidung" beseitigt. Allein im Jahr 2022 hat Shein mehr als 30 Pop-ups in der Region Europa, Naher Osten und Afrika eröffnet, eines der jüngsten im Jervis Shopping Centre in Dublin, das täglich mehr als 1000 Besucher anzog.

Der Expansionswille ist groß. Dafür baut das Unternehmen mit weltweit 11.000 Mitarbeitern auch sein Team in Irland aus. Darüber hinaus hat der chinesische Händler mit der Produktion in der Türkei begonnen und werde als Teil seines europäischen Expansionsplans eine große Fabrik in Polen eröffnen. "Es ist wichtig, Teams in den Ländern, Regionen und Gegenden zu haben, in denen wir tätig sind", so Pernot-Day. Die "Lokalisierungs"-Strategie umfasst den Bau eines 40.000 Quadratmeter großen neuen Lagers in Polen, das eine schnellere Belieferung des europäischen Marktes ermöglicht.

Shein ist mittlerweile der weltweit größte Online-Textilhändler, der Wert des Unternehmens wird auf 30 Milliarden Dollar geschätzt. Shein verkauft direkt online, über die App und via Social Media. Die unerbittliche Ausweitung des Verkaufs und der Produktion wird Shein immer wieder vorgeworfen. Kritiker gehen davon aus, dass die niedrigen Kosten nicht mit einer fairen Behandlung von Beschäftigten und Umwelt vereinbar seien.

US-Senatoren gehen Vorwürfen in China nach

Unter anderem wird der Mode-Billigkette vorgeworfen, Baumwolle aus einem chinesischen Zwangsarbeiter-Gebiet zu vertreiben und in die USA zu importieren. Drei US-Senatoren haben den Vorstandsvorsitzenden des Fast Fashion Unternehmens, Chris Xu, deshalb bereits schriftlich um eine Stellungnahme dazu gebeten. Grundlage für das Schreiben ist ein von Bloomberg im November 2022 veröffentlichter Laborbericht darüber, dass bei Shein bestellte Kleidungsstücke Baumwolle aus Xinjiang enthielten, einer Region Chinas, deren Produkte laut Bundesgesetz nicht in die USA eingeführt werden dürfen. Waren aus dieser Region gelten laut US-Gesetz als Produkte aus Zwangsarbeit. Die chinesische Regierung bestreitet dies jedoch. Shein wird damit auch zum Politikum zwischen den wachsenden Spannungen zwischen den USA und China.

Das chinesische Unternehmen wehrt sich vehement gegen die Vorwürfe. Die niedrigen Preise beruhten auf einer nachfrageorientierten Produktion und nicht auf Zwangs- oder Billigarbeit. Pernot-Day betont regelmäßig, dass die Abschaffung des Risikos unverkaufter Bestände der Grund dafür sei, dass Shein extrem niedrige Preise anbieten könne, etwa T-Shirts für 4,99 Euro. "Wir sind in der Lage, die Nachfrage genau zu messen und nur so viele Kleidungsstücke zu produzieren, wie wir benötigen", sagt er.

Gerüchte um baldigen Börsengang

Der Streit um die Produktionsbedingungen ist auch aus einem anderen Grund bedeutsam: So strebt Shein nach verschiedenen Berichten offenbar einen Börsengang in den USA an. US-amerikanische Abgeordnete haben kürzlich die Finanzaufsichtsbehörde SEC aufgefordert, eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe über Zwangsarbeiter aus der Uigurischen Volksgruppe bei mehreren Marken, darunter Shein, durchzuführen.

"Als globales Unternehmen nimmt Shein die Transparenz in der gesamten Lieferkette ernst. Wir verpflichten uns, die Menschenrechte zu respektieren und die lokalen Gesetze und Vorschriften in jedem Markt, in dem wir tätig sind, zu befolgen", heißt es auf Anfrage des manager magazins. "Unsere Zulieferer müssen sich an einen strengen Verhaltenskodex (CoC) halten, der sich an den Kernkonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation orientiert. Wir haben keine Toleranz gegenüber Zwangsarbeit", so das Unternehmen.

Shein beauftrage zur Überwachung branchenführende Drittanbieter wie BV, TÜV, ITS, SGS und Openview mit der Durchführung regelmäßiger, unangekündigter Audits in den Zulieferbetrieben, um die Einhaltung des CoC zu gewährleisten. Bei Verstößen seien Sanktionen bis hin zur Beendigung der Partnerschaft vorgesehen. Im Mai verkündete das Unternehmen zudem eine Partnerschaft mit dem amerikanischen Technologieunternehmen Queen of Raw. Ziel sei, bei der Weiterverwendung von qualitativ hochwertigen Altbeständen voranzukommen.

Auftritt Temu: Konkurrenz für Shein aus der Heimat

Shein setzt nicht nur die Wettbewerber unter Druck, sondern spürt auch den wachsenden Druck der Konkurrenz. In der vergangenen Woche hat ein neuer Wettbewerber sein Angebot in Europa ausgerollt, der die E-Commerce-Welt nervös macht: Temu. Das Unternehmen stammt wie Shein aus China, setzt ebenfalls auf das unterste Preissegment - ist aber ein Marktplatz. Mittelfristig will Temu damit sogar Amazon Konkurrenz machen.

In Deutschland kennt kaum jemand Temu. Doch das könnte sich schnell ändern. In den USA gibt es die App schon seit letztem Herbst - und sie ist seitdem fast dauerhaft auf Platz 1 der Downloadcharts, dank hochaggressivem Marketing inklusive Super-Bowl-Spot.

Auch Shein hat lange die Einrichtung eines digitalen Marktplatzes geplant, über den Kunden auch Produkte anderer Marken kaufen können. Der Aufstieg von Shein und neuen Marken wie Temu kommt dabei ausgerechnet in einer Phase, in der sich europäische Händler zurückhalten, weil sie Kosten sparen müssen. Damit ist den Angreifern auf dem europäischen Markt Tür und Tor für große Kampagnen und Pop-up-Stores geebnet. Hinter Temu etwa steht der Mutterkonzern des chinesischen E-Commerce-Riesen Pinduoduo. Heißt: Die Taschen sind tief.

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