Groß und rot wie ein Warnschild leuchtet das Wort "Räumungsverkauf" aus dem Schaufenster in der Emdener Innenstadt. Das Lederwarenfachgeschäft Höfer in der Brückstraße wird zum Ende des Jahres schließen, nach 72 Jahren. Der Unternehmer Wolfgang Höfer hat keinen Nachfolger gefunden für das Geschäft, das sein Vater einst gegründet hat; die Pandemie hat die Suche noch erschwert. Für Höfer ist das eine Enttäuschung. "Der Einzelhandel geht in Kleinstädten einfach kaputt", sagt er.
50 Kilometer weiter, mitten in Wittmund, sorgt sich Jan-Ulfert Claassen nicht darum, keinen Nachfolger zu finden. Er ist der Chef des Landmaschinen-Handels Claassen, den sein Großvater Johann 1945 gegründet hat. In dem Geschäft an der Hauptstraße reihen sich Ackerschlepper und Mähdrescher aneinander, im Lager finden sich ordentlich aufgereiht Ersatz 0teile, die ein Mitarbeiter gerade mit einem Scanner durchgeht. Der Unternehmer sagt: "Falls eines meiner Kinder den Betrieb einmal übernehmen möchte, dann möchte ich ihm das Geschäft möglichst sorgenfrei übergeben."
Die kreisfreie Stadt und der Landkreis Wittmund: Die beiden Städte sind quasi Nachbarn - und könnten doch verschiedener nicht sein. Während mit dem Geschäft von Wolfgang Höfer in Emden wieder ein familiengeführter Mittelständler verschwindet, gibt es in Wittmund davon reichlich. In Emden liegt der Anteil der Familienfirmen an den Unternehmen bei 35 Prozent - in Wittmund ist er mit 66 Prozent fast doppelt so hoch. Emden landet damit unter den zehn Kreisen in Deutschland mit dem geringsten Anteil an Familienfirmen - und Wittmund unter den Top Ten der Kreise.
Das zeigt eine aktuelle Studie der Stiftung Familienunternehmen, für die das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (iw) untersucht hat, wie sich der Anteil von Familienunternehmen auf die Wirtschaft im ländlichen Raum auswirkt. Ergebnis: Wo es viele Firmen in Familienbesitz gibt, werden mehr Patente angemeldet, der Anteil der Auszubildenden an allen Beschäftigten ist höher, und zugleich ist die Arbeitslosenquote niedriger; die Gemeinden verbuchen mehr Steuern, und die Menschen erzielen ein höheres Pro-Kopf-Einkommen. Auch junge Menschen ziehen seltener fort. Laut einer aktuellen Studie der TU München für die Stiftung Familienunternehmen zahlen Familienfirmen auf dem Land, gemessen an den dortigen Lebenshaltungskosten, sogar höhere Löhne als Firmen, die nicht im Besitz von Familien sind. Die Aussage ist klar: Familienfirmen beflügeln die Provinz.
Aber zeigt sich das auch bei einem Besuch in Emden und Wittmund - also dort, wo einerseits Familienunternehmen besonders selten und andererseits besonders häufig anzutreffen sind? Was kann die eine Stadt von der anderen lernen?
betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Landkreis Wittmund 2017.
Rolf Claußen wartet in seinem Büro im Wittmunder Rathaus, dort ist kürzlich erst alles renoviert wurden. Neue Möbel, Blumen, neues Trauzimmer. Die Stadt investiert gerne, und das Geld dafür hat sie. Seit 14 Jahren ist der parteilose Wittmunder Bürgermeister seiner Stadt und kennt, so sagt er das jedenfalls, jeden Betrieb wie seine eigene Westentasche. Wenn er mit seinem schwarzen Sportwagen durch die Straßen fahre, müsse er eigentlich eine elektrische Winkehand einbauen, sagt er. Fast täglich fahre oder gehe der gelernte Banker durch die Stadt und überlege, wie es noch besser laufen könnte. "Mit Selbstzufriedenheit kommen wir nicht weiter", sagt Claußen, "wir müssen kritisch bleiben." Dabei baue die Stadt jedes Jahr etwa eine Million Euro Schulden ab, die Wirtschaftskraft wächst, und die Arbeitslosigkeit im Landkreis Wittmund lag im September trotz Corona bei 5,3 Prozent.
Claußen ist stolz darauf, dass sich Unternehmer in der Wirtschaftsförderung Wittmunds engagierten, nicht Politiker. Das sei "einzigartig" in Norddeutschland und zahle sich aus, sagt Claußen. Dabei profitiere Wittmund von der Vielzahl an Familienunternehmen: Neben 11 Industriebetrieben finden sich 780 landwirtschaftliche und 650 Klein- und mittelständische Unternehmen - und oft sitzen sie gleich Tür an Tür.
So wie im Ortsteil Funnix, in dem der Landmaschinenhändler Claassen seine Trecker verkauft. Nebenan kontrolliert Sven Poppinga, ob an seinem Fließband alles läuft. Im Eingangsbereich seiner Firma riecht es nach Käse. Ein Lkw-Fahrer kommt vorbei und fragt, in welcher Halle er anliefern solle. Poppinga weist ihm schnell den Weg.