Porträt | Oktober 2011 | Ausgabe 97 - Konflikte
Hohe Aktenberge und triste Büros - so stellt man sich die Arbeit mit Gesetzen vor. Zugegeben, die Aktenberge liegen auch beim „Rechtspfleger", so die offizielle Berufsbezeichnung. Es gibt allerdings noch eine Menge anderer Aufgaben. Schekker-Autor Marcus Goldhahn wühlte sich durch das Justizministerium.
Vor mir liegt ein riesiger moderner Gebäudekomplex aus Glas und Beton, der gleich vier Ministerien in sich verbirgt. Die erste Herausforderung, die ich bewältigen muss, ist also das richtige Ministerium zu finden.
Aber kein Problem! Es ist zehn Uhr morgens und Carsten Ruhle empfängt mich am Eingang des Thüringer Justizministeriums.
Ein direkter Weg
Ruhle trägt Hemd und Jeans und wirkt recht sportlich, als er auf mich zukommt. Er selbst begann 1993 mit seinem Fachhochschulstudium zum Rechtspfleger - ist also schon ein „alter Hase". Jetzt wurde er für ein Jahr in das Thüringer Justizministerium abgeordnet. Hier erledigt er Aufgaben, die man auf den ersten Blick wohl eher nicht mit dem Rechtspfleger-Beruf in Verbindung bringt. Ruhle ist hier verwaltend in der Personalabteilung des Justizvollzugs tätig.
Wie kommt man eigentlich auf die Idee, Rechtspfleger zu werden? „Nach meiner Bundeswehrzeit wollte ich etwas Solides und Sicheres machen. Ursprünglich hatte ich mich für den Studiengang Versorgungstechnik interessiert." Letzten Endes hat sich Ruhle dann aber doch für den Beruf des Rechtspflegers entschieden, weil der ihm sicherer erschien. Lächelnd sagt er: „Es war gut, sich anders zu entscheiden und ich bereue es nicht."
Die Rechtspfleger sind Beamte des gehobenen Dienstes und leisten einen wichtigen Teil bei gerichtlichen Verfahren. Ohne Rechtspfleger gäbe es keine Beschlüsse. Gerichtliche Entscheidungen gehen von ihm oder vom Richter aus. In seinen Aufgabenbereich fallen unter anderem Betreuungsrecht oder Zwangsvollstreckungen. Rechtspfleger arbeiten bei Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizverwaltungen.
Was muss man auf dem Kasten haben?
Vom Eingang des Justizministeriums geht es über eine eher versteckte Treppe direkt in das Büro von Carsten Ruhle. Mich interessiert, was ein Rechtspfleger für Voraussetzungen mitbringen muss. „Wie in den meisten Berufen wollen auch wir nur die Besten." Was so viel heißt, dass ein gutes Abi, genauso wie das Bestehen eines Einstellungstests Pflicht sind. Wurde diese Hürde gemeistert, steht eine dreijährige Ausbildung an einer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege an - bei Ruhle war das die Fachhochschule in Rotenburg an der Fulda. Im Gegensatz zu allen anderen Jurastudenten ist man schon während des Studiums „Diener des Staates". Im Fachjargon: „Beamter auf Widerruf". Was eigentlich nur heißt, dass Studenten bereits während der dreijährigen Ausbildung mit einem Gehalt versorgt werden. Der tiefere Sinn: Die Studenten sollen sich voll und ganz auf das Studium konzentrieren und nicht noch nebenbei arbeiten gehen. „Man bekommt von Anfang an eine Menge Verantwortung übertragen", kommentiert Ruhle.
Nach dem dreijährigen Studium und unzähligen praktischen Semestern darf man sich „Diplom-Rechtspfleger (FH)" nennen. Je nach Bedarf arbeitet der Rechtspfleger dann in Bereichen wie zum Beispiel „Zivilsachen, Zwangsvollstreckung, Vormundschaft und Insolvenzen". Natürlich ist das längst nicht alles. Als Rechtspfleger hat man ein breites Grundwissen und ist Spezialist auf seinem Fachgebiet - nämlich Recht. Juristen aus anderen Bereichen schätzen das Wissen der Rechtspfleger und verlassen sich vor allem darauf. „Das Beste an dem Job ist, dass ich nur dem Gesetz gegenüber verpflichtet bin. Ich habe in der Sache Weisungsfreiheit und kann mich im Rahmen des Gesetzes frei bewegen und so auch meine Arbeit selbst bestimmen." Soll heißen, dass er sich nur nach den Gesetzen richtet und auf Grundlage dieser Beschlüsse Entscheidungen über Anträge der Bürger und Unternehmen trifft.
Für alle, die vom Staat nicht übernommen werden, gibt es noch unzählige Einsatzmöglichkeiten in der freien Wirtschaft. Beispielsweise kann ein Rechtspfleger als Berater in Banken und Versicherungen tätig werden. „Viele Jurastudenten wechseln während ihres Studiums in den Rechtspfleger-Bereich, weil sie merken, dass es zu viele freie Rechtsanwälte gibt und sie als Rechtspfleger bessere Berufsaussichten haben."
Wir unterhalten uns jetzt schon seit mehr als einer Stunde und Ruhle ist immer noch genauso fröhlich und entspannt wie zu Beginn unseres Gespräches. Ab und zu wird unser Gespräch von einem Telefonat unterbrochen.
Ein Tag am Schreibtisch
Als Rechtspfleger sollte man Sitzfleisch mitbringen. Denn die meiste Arbeit findet tatsächlich vorm Computer statt. Rechtspfleger, die sich beispielsweise mit den Grundbucheinträgen oder dem Handelsregister beschäftigen, haben mittlerweile nicht einmal mehr Akten auf dem Tisch liegen. Denn das Grundbuch und das Handelsregister sind seit ein paar Jahren digitalisiert. Auch in der Justiz finden sich Anträge und Schriftverkehr zunehmend nur noch in elektronischer Form wieder.
Bei Zwangsversteigerungen kommt der Rechtspfleger auch mal unter Menschen. „Das mit dem Hammer ist ein Gerücht! Das gibt es nur in amerikanischen Gerichtssälen. Bei uns gab es so etwas noch nie." Stellen wir uns vor, dass wir uns gerade bei einer Versteigerung befinden. Das zu versteigernde Objekt wird aufgerufen, die Gebote abgewartet und dann kommt der Spruch: „Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten". Wer jetzt auf „verkauft" wartet, wird bei solch einer Versteigerung enttäuscht, denn auch das findet bei einer gerichtlichen Versteigerung nicht statt. Dennoch ist das die spannendste Tätigkeit im Rechtspfleger-Beruf. „Hier kann man direkt mit den Menschen in Kontakt treten. Man sieht Freude und Leid gleichermaßen."
Rechtspfleger werden: ja oder nein?
Wenn ich mir den Arbeitsalltag eines Rechtspflegers so anschaue, fällt mir auf, dass Ruhle die meiste Zeit an seinem Schreibtisch vor Bergen von Akten sitzt. Bei solch einem Anblick würde es mir schwer fallen, mich zu motivieren. „Natürlich habe auch ich meine Tagestiefs, aber die gibt es wohl in jedem Beruf." Zufrieden und hochmotiviert fügt er hinzu: „Ich gehe in der Mittagspause in den Park, vertrete mir die Beine und genieße die frische Luft."
Den Tipp mit dem Park nehme ich an. Wir verabschieden uns und ich verlasse über den Job grübelnd das Justizministerium.
Wem ein Jurastudium zu lange dauert und wer lieber einen gesicherten Job als Beamter anstrebt, der sollte Rechtspfleger werden. Alle, die sich für das deutsche Recht interessieren und Gerichtsarbeit spannend finden, denen sei dieses Studium empfohlen.