Rezension | Februar 2013 | Ausgabe 113 - Verbrechen und Strafe
Barbara Verbannt ins Landleben der DDR: Im Fokus steht eine Ärztin, die in den Westen will und deswegen zur Zielscheibe der Stasi wird. Behutsam erzählt Regisseur Christian Petzold in seinem Film „Barbara" die Geschichte einer Frau, die weg will, aber bleiben muss.
Der Westen, das unbekannte, begehrenswerte Andere. Dort, wo es Marken-Nylonstrumpfhosen, amerikanische Zigaretten und Quelle-Kataloge gibt. Dorthin will auch Barbara, gespielt von Christian Petzolds Stammschauspielerin Nina Hoss. Sie stellt einen Ausreiseantrag, er wird nicht genehmigt. Hier setzt der Film ein. Barbaras Wille das Land zu verlassen ist der Obrigkeit sauer aufgestoßen. Es folgt die Strafversetzung: Die ehemalige Charité-Ärztin aus Berlin soll nun an einem Kinderkrankenhaus in der ostdeutschen Provinz arbeiten.
Ihre Ankunft wird kritisch beäugt, nicht nur von den Nachbarn, sondern auch von den Kollegen. Barbara reagiert mit kühler Distanz. Einzig bei ihren Patienten kann sie Wärme und Empathie zeigen. Im Krankenzimmer der jungen Stella schafft es Barbara etwas aufzutauen. Hier zeigt sich auch eine diffuse Doppeldeutigkeit des Begriffes „Überwachung": Barbara wacht über ihre Schützlinge wie eine Mutter über ihr Kind, während sie selbst überwacht wird, wie es eben eine realsozialistische bei ihren Einwohnern tut - mit subtiler Schikane und deutlichen Eingriffen. Erniedrigende Durchsuchungen muss Barbara stumm erdulden - das Eindringen in ihr Privatleben erfolgt dabei sowohl auf psychischer als auch physischer Ebene. Ob die Nachbarin gegenüber, die Mitreisende im Zug oder das Auto mit laufendem Motor vor der Tür - es wird nicht einmal der Versuch unternommen, die Beobachtung zu verschleiern.
„Hier kann man nicht glücklich werden," sagt sie im Gespräch mit ihrem westdeutschen Geliebten, der ihre Flucht plant. Es ist nicht nur das Gefühl ständig unter Beobachtung zu stehen, das ihr zusetzt, sondern die Gewissheit. Ihr wird von der Staatssicherheit die eigene Machtlosigkeit und die absolute staatliche Kontrolle über den Einzelnen im Arbeiter- und Bauernstaat vor Augen geführt.
Radeln als ein Stück Freiheit
Der leitende Arzt des Krankenhauses, André, versucht das Vertrauen seiner neuen Kollegin zu gewinnen. Doch wem darf man trauen in einem System von Observation und Anschuldigungen? Und wo endet gebotene Vorsicht und wo beginnt Paranoia?
Das einzige Stück Unabhängigkeit ertrotzt sie sich mit etwas recht Banalem. „Ich brauch' ein bisschen Luft," ruft sie einmal, um kurz darauf mit ihrem Fahrrad davonzufahren. Auf dem Sattel entflieht sie nicht nur den Spitzeln, sondern kann für kurze Momente der erstickenden Enge ihrer Lebensumstände entkommen.
Der Film „Barbara" lebt von seinen wenigen Dialogen. Gibt es sie, sind sie tiefgründig und regen zum Nachdenken an. Trotz des offenen Ausgangs, möglicherweise gerade deswegen, ist Christian Petzold ein Film über Liebe und Staat gelungen. Ein Film über die DDR, die hier mal nicht trist und grau ins Auge fällt. Eher ein farbiges Zuschauen auf die Menschen, deren Sorgen und Wünsche, ihre Liebe und ihre Hoffnung auf ein besseres Leben. Als der Film endet und die Schwarzblende einsetzt, ertönt ein Lied: „At last I am free". Aber was genau am Ende mit Barbara passiert, muss jeder für sich selbst herausfinden.
BARBARA, Regie: Christian Petzold, D 2012, Piffl , 105 min.