Rezension | Februar 2012 | Ausgabe 101 - Heimat
Die perfekte Kleinstadt Es hat etwas von einer ethnologischen Expedition: Ein Reporter macht sich aus Berlin auf, um für drei Monate das Leben in einer Kleinstadt zu erforschen. Ein Buch über den Blick eines Großstädters auf das Leben in der deutschen Provinz.
Moritz von Uslar beschreibt sein Reiseziel so: „Ich will dahin, wo Leute in strahlend weißen Trainingsanzügen an Tankstellen rumstehen und ab und an einen Spuckefaden zu Boden fallen lassen!" Ausgestattet mit einer guten Portion Vorurteilen macht er sich auf den Weg in die ihm unbekannte Welt.
Mit seinem Kleinwagen fährt er los, um das für ihn perfekte Kleinstädtchen zu finden. Wichtigste Voraussetzung: Es muss einen Box- Club haben, in dem er mittrainieren und Anschluss. Finden möchte Es verschlägt ihn schließlich nach Oberhavel in Nordbrandenburg.
Uslar möchte dort am Alltagsleben der Bewohner teilnehmen, ob in der typischen Kneipe oder bei der Tankstellenparty. Was er nicht kennenlernen möchte, und das macht er sehr deutlich klar, sind Nazis. Alles nur keine Nazis.
Boxtrainer und Bardame
Während seines Aufenthalts macht der Reporter, wie er sich gerne nennt, unzählige Bekanntschaften: vom Boxtrainer, über die örtliche Band bis hin zur Barfrau. Jede von ihnen ist auf seine Art einzigartig und lustig. Die Charaktere sind sehr eigen, jeder kann sich seine Meinung darüber bilden, ob er sie sympathisch oder unsympathisch finden soll. Nach Ende des Buches meint man jedenfalls, Oberhavel und seine Bewohner ganz genau zu kennen. Fazit des Reporters: „Das sind schon ziemliche Arschgeigen da. Aber verstehst du, großartige Arschgeigen."
Der Ort, in den Uslar gefahren ist, heißt nicht in Wirklichkeit Oberhavel. Aber um welchen es sich tatsächlich handelt, spielt auch keine Rolle - steht Oberhavel doch stellvertretend für viele andere Städtchen gleichen Typs in Deutschland.
Macht Lust auf Oberhavel
Wer meint, ein Ort wie dieser sei völlig uninteressant, denkt nach dem Lesen dieses Buches anders. Mir ging es zumindest so. Ich wollte in mein Auto steigen und nach Oberhavel fahren. Nur um das zu sehen, was „der Reporter" dort erlebt hat. Schräg, komisch und skurril. Und doch irgendwie schön. Vielleicht lernt man ja den ein oder anderen Oberhaveler kennen und vielleicht bekommt man von den Einwohnern einen Spitznamen verliehen, wie: Öl-Uwe, Kegel-Kalle, der Teewurst Blonde oder Bowling Bob.
Titel und Inhalt des 379 Seiten umfassenden „Deutschboden" haben mich anfangs ein wenig abgeschreckt. Bereits nach den ersten Seiten wurde mir aber klar, dass es eine ziemlich komische Sache werden wird. Zudem kommt der interessante Erzählstil hinzu. Moritz von Uslar erzählt nämlich mal aus der „Ich-Perspektive", um auf der nächsten Seite diese zu verlassen:„Ich spreche jetzt mal in der dritten Person von mir und beginne den Satz mit: Der Reporter merkte, dass die Jungs sehr gerne erzählten." Anfänglich mag das etwas verwirrend sein. Man wird sich aber recht schnell daran gewöhnen und es schätzen lernen.
"Deutschboden" von Moritz von Uslar ist ein aufschlussreiches, amüsantes und durchaus auch lehrreiches, Buch. Wer in einem Ort wie Oberhavel aufgewachsen ist, wird wahrscheinlich vieles wiedererkennen. Und allen anderen, die sich für Kleinstädte oder einfach schräge und lustige Geschichten interessieren, sei das Buch auch empfohlen.
Moritz von Uslar, Deutschboden - Eine teilnehmende Beobachtung. Kiepenheuer & Witsch 378 Seiten, 19,95 Euro.