Rezension | August 2011 | Ausgabe 95 - Stadtleben
Berlin Alexanderplatz Die Geschichte des Romans „Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin gleicht einem modernen Krimi. Der Leser taucht in eine paradoxe Welt seltsamer Eindrücke und lernt den vorbestraften Franz Biberkopf kennen. Nach vierjähriger Haft wegen Totschlags will die Hauptfigur im Berlin der 30er Jahre anständig werden - und scheitert immer wieder.
Franz Biberkopf ist ein Gelegenheitsarbeiter, der wegen Totschlags vier Jahre im Gefängnis saß. Nachdem er seine Strafe verbüßt hat, möchte er ein anständiger Mensch werden. „Biberkopf hat geschworen, er will anständig sein, und ihr habt gesehen, wie er wochenlang anständig ist, aber das war gewissermaßen nur eine Gnadenfrist. Das Leben findet das auf die Dauer zu fein und stellt ihm hinterlistig ein Bein."
Der Kampf um ein anständiges Leben
Schon auf den ersten Seiten bekommt man einen ersten Eindruck vom Verlauf der Geschichte. Der Roman besitzt viele Wendungen und kommt teilweise etwas verwirrend daher. Die Hauptfigur versucht immer wieder sein Leben in den Griff zu bekommen. „Ich will anständig sein", klagt er immer wieder. Doch so richtig mag ihm das nicht gelingen und so rutscht er von einer Misere in die andere. Er findet in Mietze eine Freundin, die ihn glücklich macht. Aber auch dieses Glück hält nicht lange an.
Sie wird von seinem Zuhälter-Freund Reinhold ermordet. Eine Situation, die Franz Biberkopfs Leben auf den Kopf stellt. Am Alexanderplatz zieht es ihn immer wieder in seine Stammkneipe. Dort, wo die Geschichte begonnen hat, endet sie auch gewissermaßen. In einer Kneipe findet eine Razzia statt. Auch Biberkopf wird verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Nachdem er das Essen verweigert und abgemagert, wird er in eine Nervenheilanstalt gebracht. Dort begegnet er auf spirituelle Art seinem Tod als Person. Dank diesem Erlebnis kann Franz endlich das langersehnte Leben im Jenseits beginnen.
Berlin Alexanderplatz?
Warum dieses Buch „Berlin Alexanderplatz" heißt ist schnell erklärt. Im Laufe des Romans kehrt Franz Biberkopf nach seinem ersten Gefängnisaufenthalt, Miezes Tod und seiner Trinkerei immer wieder nach Berlin zurück. Dreh- und Angelpunkt seiner Erlebnisse sind die Kneipen rund um den Alexanderplatz. Die Stadt Berlin bekommt eine konkurrierende Rolle zu Biberkopf - entweder er oder die Metropole. Der Roman setzt sich damit mit der zerstörerischen Kraft des Lebens in der Stadt auseinander. Die Stadt zeigt sich in Döblins Roman dreckig, gewalttätig, voller Verbrechen.
Das Werk aus dem Jahr 1929 fordert einen anspruchsvollen Leser und ist nicht in einer Nacht zu verdauen. Denn „Berlin Alexanderplatz" fasst weit über 400 Seiten. Zudem strapaziert die Montagetechnik, die einen dokumentarischen Stil vermitteln soll, die Aufmerksamkeit. Die quicklebendige, aufstrebende Metropole Berlin wird mit dieser Technik der Einschübe spürbar: Kneipen, Häusergewirr und das Zuhältermillieu - aus allen Bereichen bekommt man Eindrücke. So werden immer wieder kleine Piktogramme, Zeitungsausschnitte der 30er-Jahre, Zitate aus der Bibel und Wetterberichte eingebaut. Die Handlung des Romans könnte heute locker mit einem John Grisham oder Dan Brown mithalten. Aber es bleibt ein Buch seiner Zeit und das war nun einmal die Zeit des Expressionismus.
Alfred Döblin studierte Medizin und arbeitete als Nervenarzt. Seine jüdische Herkunft und linkspolitische Schriften führten zu einem Verbot seiner Werke durch die Gestapo. Heute zählt Döblins Roman zu einem der bedeutendsten Bücher des 20. Jahrhunderts. Übrigens: „Berlin Alexanderplatz" wurde schon vor 80 Jahren verfilmt.
Alfred Döblin: „Berlin Alexanderplatz", 464 Seiten, Deutscher Taschenbuch Verlag, 8,90 EUR, 49. Auflage (März 2011)