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Sebastian Biedenkopf: Ein Justiziar mit unternehmerischem Anspruch

GARMISCH. Für Sebastian Biedenkopf hat das Jahr 2010 gut angefangen. Ende Januar schloss der 45-jährige Chefjurist der Conergy AG mit dem US-Siliziumlieferanten MEMC vor einem New Yorker Gericht einen Vergleich, der dem angeschlagenen Solaranlagenbauer ordentlich Luft für die Restrukturierung verschafft. Conergy muss nun über die nächsten neun Jahre nämlich nur noch für mindestens rund 700 Mio. Euro Silizium einkaufen - statt für mehr als sechs Mrd. Euro in zehn Jahren.

Conergy ist ein Lehrstück dafür, dass Wachstum gefährlich wird, wenn es zu schnell geht. Als das Unternehmen den optimistischen Sechs-Milliarden-Vertrag 2007 abschloss, herrschte in der boomenden Solarbranche eitel Sonnenschein, die Chancen schienen unendlich. Der Konzern hatte gerade ein Photovoltaik-Werk in Frankfurt/Oder errichtet, das stillzustehen drohte - weil Silizium, der Hauptrohstoff für die Solarzellen, nach Ansicht der Analysten auf dem Weltmarkt bald knapp werden sollte. Also musste man sich Rohstoffquellen sichern, koste es, was es wolle. Vorkasse für die Jahreslieferungen zum Beispiel. Doch als die Bankenkrise ausbrach, wurde die Finanzierung plötzlich schwierig, Liquidität wurde knapp, das Geld für die mit MEMC vereinbarten Vorauszahlungen fehlte. Im schlimmsten Falle drohte Conergy das Aus.

In dieser Phase, im Juli 2008, stieß Sebastian Biedenkopf als neuer General Counsel zu Conergy. Der dreifache Familienvater gab dafür einen gut dotierten und sicheren Job auf als Leiter der Rechtsabteilung von Maxingvest, der Holding der Familie Herz, die Tchibo und Beiersdorf kontrolliert. Biedenkopf ließ sich von Conergy-Chef - und Ex-Maxingvest-Boss - Dieter Ammer überzeugen, dass der Turnaround gelingen könne und es nicht nur enorme Risiken, sondern auch ebensolche Chancen gab. Ammer kannte Biedenkopf als ausgebufften Verhandler und versierten Kenner des amerikanischen Rechtssystems - genau was er brauchte. Schnell hatte der Anwalt die Menge, die Conergy MEMC abnehmen musste, auf rund die Hälfte reduziert.

Doch die Geschäfte von Conergy liefen weiter schlecht, die Banken machten Druck. Der Liefervertrag mit MEMC blieb ein Mühlstein, der die Sanierung des Unternehmens blockierte. Biedenkopf musste noch einmal mit MEMC verhandeln. 20 Monate lang kämpfte er mit den Amerikanern. Seine Überzeugung: "Verträge, die die Wirklichkeit nicht abbilden, können auch nicht halten."

Als MEMC nicht weiter nachgeben wollte, klagte Conergy vor einem New Yorker Gericht: Der Vertrag sei kartellrechtswidrig, weil er Conergy zwinge, Silizium ausschließlich von MEMC zu beziehen.

Mit diesem Schachzug verwandelte der Justiziar eine vermeintlich schwache Position in eine Stärke. Als das Gericht im Sommer 2009 signalisierte, dass ein Kartellrechtsverstoß durchaus denkbar sei, war der Jubel in den hiesigen Medien groß. Doch Biedenkopf wusste: Nichts war gelöst. Für den akribischen Ordnungsfanatiker und Leutnant der Reserve, der im Beruf nichts mehr hasst als Überraschungen, standen nun neue Verhandlungen über eine Vertragsanpassung an. Erst im Januar 2010 war die Unterschrift unter den neuen Kontrakt gesetzt.

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