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Ein gefährlicher Zug

„Dieser Zug war von Anfang an eine schlechte Idee. Wir wollen ihn nicht“, Romel Rubén González Díaz, Aktivist

Der Maya-Zug in Mexiko aber steht in den Augen ihrer Gegner für das genaue Gegenteil: die Zerstörung des Regenwalds. Die mexikanische Umweltorganisation CEMDA etwa listet auf ihrer Webseite Dutzende Gründe auf: Ökosysteme würden zerschnitten, das ohnehin knappe Grundwasser drohe zu versickern. In der Region lebten bedrohte Tierarten, Pumas, Jaguare, Iguanas, Fledermäuse. Es sei nicht absehbar, welche Folgen die Abholzung habe. CEMDA fordert deshalb wie andere Organisationen auch eine Umweltverträglichkeitsstudie für die 23 betroffenen Naturschutzgebiete. Neben dem Ausbau der Trasse befürchtet die Organisation einen kompletten Wandel in der Landnutzung auf der Halbinsel - durch den Ausbau des Tourismus und neu entstehende Siedlungen. Schon jetzt werden neue Straßen geplant, um einer Überlastung des bestehenden Verkehrsnetzes während der Bauarbeiten entgegenzuwirken.

„Allein hier in Calakmul gibt es Hunderttausende Hektar Regenwald", sagt auch González Díaz. Neben dem Amazonasgebiet absorbiere die Region weltweit mit am meisten CO 2. "Und die Winde tragen den frischen Sauerstoff direkt nach Europa." In der Region Calakmul, wo González Díaz lebt, würde der beste Honig Mexikos hergestellt. Viele Menschen lebten von der Imkerei. All das, sagt González Díaz, bedrohe der Zug.

Wie passt das grüne Image, das sich die Deutsche Bahn gibt, zu einem Megaprojekt, das wegen Umweltzerstörung und der Missachtung indigener Rechte in der Kritik steht?

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Eva-Maria Schreiber sagt: gar nicht. „Wenn ein staatliches deutsches Unternehmen wie die Deutsche Bahn sich an einem Projekt beteiligt, dann sollte man die höchsten Standards erwarten dürfen. Beim Tren Maya ist es offensichtlich, dass menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten verletzt wurden und werden." Erst durch Schreibers Anfrage im Bundestag wurde die Höhe der Beteiligung der Deutschen Bahn im Mai 2021 öffentlich. Das Verkehrsministerium musste auf die Anfrage antworten, die Deutsche Bahn ist ein bundeseigener Betrieb. Die Bahn selbst spricht kaum über das Projekt.

Ende Juni hat Deutschland die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Rechte ratifiziert. Nun stellt sich die Frage: Was bedeutet das? Dürfen etwa deutsche Unternehmen nur noch im Ausland investieren, wenn sie sicher sind, dass die indigenen Rechte der Konvention gewahrt werden? Gilt das zumindest für bundeseigene Betriebe wie die Deutsche Bahn?

„Der Fall Tren Maya zeigt, dass der Geist der Konvention noch mit Leben gefüllt werden muss", sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring, Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Es brauche verbindliche Menschenrechtsstandards für deutsche Unternehmen, die im Ausland investierten. Dazu gehöre auch das Recht auf freie Zustimmung indigener Gruppen. „Beteiligte deutsche Unternehmen sollten Menschenrechte entlang der gesamten Lieferkette berücksichtigen und die Umsetzung der Konvention von Auftraggebern und Partnerfirmen konsequent einfordern."

Die Abgeordnete Eva-Maria Schreiber sieht die Bundesregierung auch unabhängig von der Konvention in der Verantwortung. „Von einer Regierung, die ein Lieferkettengesetz verabschiedet, sollte man mindestens erwarten können, dass ihre eigenen Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen", sagt sie.

Die Deutsche Bahn weicht unseren Fragen aus. Eine Sprecherin geht weder darauf ein, ob sie die Vorwürfe der Gegner vor Ort kennt, noch auf Fragen zur Verantwortung des Unternehmens. Das Projekt werde neben aller Kritik auch als Chance zur Entwicklung der Region gesehen, schreibt sie. Sie verweist zudem auf UN-Organisationen, die das Projekt begleiten. Eine von ihnen, das Büro für Menschenrechte in Mexiko, gehört jedoch zu den Kritikern des Konsultationsprozesses. Auch das Verkehrsministerium äußert sich nicht zu den Vorwürfen - obwohl es für den Bund die Interessen als Eigentümer der Deutschen Bahn AG wahrnimmt. Auf die Frage, ob es sich für die Kontrolle der Einhaltung von Menschenrechten und ökologischen Standards verantwortlich sehe, verweist ein Sprecher lediglich auf den Aufsichtsrat des Konzerns.

Mittlerweile ist auch der Protest gegen den Maya-Zug in Europa angekommen. Ende Juni legt ein Segelschiff in einem kleinen Hafen in Galizien an. Dort, wo 500 Jahre zuvor Christoph Columbus nach seiner Rückkehr die „Entdeckung" Amerikas verkündete. Galizische Dudelsäcke spielen, sieben Personen gehen von Bord, die Fäuste nach oben gestreckt. Es ist die zapatistische Delegation „Escuadrón 421", nach 50-tägiger Überfahrt aus Mexiko sind sie in Europa angekommen. Die Za­pa­tis­t:in­nen wollen in den kommenden Monaten alle fünf Kontinente bereisen und sich mit sozialen Bewegungen austauschen. Die Zapatistas sind indigene Widerständige. Im Urwald Südmexikos kämpfen sie für indigene Selbstbestimmung und gegen die Folgen jahrhundertelanger Kolonialisierung - genau in der Region, durch die der Maya-Zug gehen soll.

Ein Netzwerk aktivistischer Gruppen koordiniert die Reise der Zapatistas. Die Gruppe Chico Mendes Berlin will die Reise nutzen, um auch in Deutschland auf den Maya-Zug aufmerksam zu machen. „Wir glauben, dass der Besuch der Menschen, die vor Ort konkret Widerstand gegen den Maya-Zug leisten, ein guter Anlass ist, um auch hier in Deutschland zu zeigen: Wir lassen uns vom grünen Image der Deutschen Bahn nicht täuschen", sagt Viktor, der Teil der Gruppe ist.

Die Aktivistin Claudia von der Gruppe Voces de Guatemala erlebt, dass sich Ak­ti­vis­t:in­nen aus dem Globalen Süden immer stärker mit Ak­ti­vis­t:in­nen aus Deutschland vernetzen. „Das ist wichtig, weil auch Unternehmen international agieren", sagt sie. Sie weiß auch, dass Protest in Ländern wie Guatemala oder Mexiko gefährlich sein kann. „Wenn du dort Widerstand leistest, bist du dir bewusst, dass du ermordet werden kannst - und nicht nur du, sondern auch deine Familie", sagt sie.

Das hat auch Gonzáles Díaz in Mexiko erlebt. Er erzählt von einem Unternehmen, das im Auftrag der mexikanischen Regierung mit den An­woh­ne­r:in­nen an den Schienen über die Durchfahrtsrechte des Zugs verhandelte. Die An­woh­ne­r:in­nen berichten, dass sie betrogen, erpresst und bedroht wurden - auch mit Waffengewalt. Die Pressekonferenz ist nach wie vor online. „Wir haben das bei der Staatsanwaltschaft angezeigt", sagt González Díaz. „Aber bis jetzt ist nichts passiert." Im Mai haben die Betroffenen ihre Vorwürfe in einem Brief an den Präsidenten wiederholt.

González Díaz erzählt auch, dass er selbst Todesdrohungen bekomme. „Sie rufen dich auf dem Handy an", sagt er. „Sie sagen das nicht explizit, aber es ist vollkommen klar, was gemeint ist." González Díaz führt die Drohungen auf sein Engagement gegen den Zug zurück. Im indigenen Rat CRIPX seien sie aufmerksamer und vorsichtiger geworden, sagt er. „Wir arbeiten in Teams, wir benachrichtigen uns untereinander, wo wir sind und wohin wir gehen."

Die Deutsche Bahn antwortet nicht auf die Frage, ob sie die Berichte über Drohungen und Betrug kennt.

Dawid Bartelt leitet das mexikanischen Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. Er kennt González Díaz und die Arbeit des CRIPX. Und er macht sich Sorgen. „Es ist bisher zum Glück bei Drohungen geblieben", sagt er. „Aber gerade Mexiko ist ein gefährliches Land für Menschenrechts- und Umweltaktivisten." Die mexikanische Regierung hat gerade aktuelle Zahlen veröffentlicht. Seit dem Amtsantritt von López Obrador Ende 2018 sind 68 Men­schen­recht­le­r:in­nen ermordet wurden.

Der mexikanische Präsident, der mit einem linksliberalen Programm angetreten war, reagiert selbst zunehmend ungehalten auf Kritik an seinem Lieblingsprojekt. Im Sommer 2020 bezichtigte er die „sogenannte Zivilgesellschaft" für den Protest Geld aus dem Ausland zu erhalten. „Sie verkleiden sich für Geld als Umweltschützer und Menschenrechtler", sagte er. Sein Sprecher nannte sogar mehrere Organisationen namentlich, darunter auch die CRIPX.

Dawid Bartelt von der Heinrich-Böll-Stiftung wertet das als besorgniserregendes Signal in Richtung organisierter Zivilgesellschaft - und zieht auch eine Verbindung zu den Todesdrohungen. „Die Regierung muss sich schon fragen lassen, ob sie nicht zumindest mit der öffentlichen Denunziation von Organisationen dazu beiträgt, ein Klima zu schaffen, in dem so etwas passiert", sagt er.

Der mexikanische Präsident will den Zug bauen, ob es regnet, donnert oder blitzt. In der Lodge im Regenwald Südmexikos widerspricht Ruben Romel González Díaz. „Ich glaube nicht, dass sie es schaffen, das gesamte Projekt fertigzustellen. Es gibt immer mehr Menschen, die sich dagegenstellen. Das wird nicht einfach für sie."

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