von Marcel Braune
Delitzsch (TZ). Unter der Woche luden die Betreiber und Bewohner der letzten Unterkunft für Asylbewerber und Flüchtlinge in Nordsachsen zum Tag der offenen Tür.
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Delitzsch (TZ). Unter der Woche luden die Betreiber und Bewohner der letzten Unterkunft für Asylbewerber und Flüchtlinge in Nordsachsen zum Tag der offenen Tür. Neben festlichen Vorträgen und sportlichen Wettkämpfen gab es hinter vorgehaltener Hand auch viele ehrliche Worte. Der Andrang im Delitzscher Ortsteil Spröda ist groß. Politiker, Vereinsleute, Kirchenvertreter und auch einige Anwohner sind auf dem „Basar der Nationen" im Asylbewerberheim anzutreffen. Aus den Lautsprechern tönt orientalische Musik und in der Luft liegt ein sensationeller Duft. Dieser stammt von dem selbst angerichteten Buffet der zumeist aus Pakistan oder Nordafrika stammenden Männer.
Den meisten Gästen scheint es zu schmecken. Zwischendurch versorgen Mitorganisatorin Antje Vogel, Ordnungsamtsleiterin des Landratsamtes Nordsachsen und Wilfried Pohl, Geschäftsführer des Unterkunftsbetreibers ITB Dresden die Besucher mit Informationen. Im Hintergrund spielt eine tunesische Auswahl gegen ein Team des Berufsschulzentrums Deltitzsch auf einem gepflegten Rasenstück Fußball. Eigentlich scheint alles angerichtet für eine öffentlichkeitswirksame Veranstaltung.
Später stellt sich Qaisar Mehmood aus Pakistan vor. Er wurde von einer Mitarbeiterin herangezogen und damit beauftragt, Interessenten durch eines der drei Häuser zu führen. Qaisar erzählt, dass er aus seinem Heimatland geflüchtet ist, da er dort durch massive Bedrohung seitens der Regierung um sein Leben fürchten musste. Dass er froh ist, in Delitzsch zu sein, betont er praktisch in jedem Satz. Während er durch den dunklen langen Flur, Küche und Toiletten führt, erzählt er, dass er gerne in Deutschland als Schweißer arbeiten würde, schließlich sei er darin „Profi", doch die fehlende Arbeitserlaubnis macht ihm diesen Plan bislang zu nichte. Die vorgestellte Nasszelle und Küche sind karg, aber ausreichend eingerichtet. Kritisch ist eher die Wohnsituation in den einzelnen Zimmern. In jedem der Räume müssen vier Männer schlafen, doch nicht in jedem stehen vier Betten. „Kein Problem, manchmal schläft dann einer auf dem Sofa", berichtet Qaisar und deutet auf eine Zweisitzer-Couch. Der Pakistani lächelt diesen Umstand ebenso weg, wie die fehlende Privatsphäre.
Doch bei einem Thema verliert der 29-Jährige sein ansteckendes Lächeln: Seine Familie. „Meine Mama ist gestorben und den Rest meiner Angehörigen werde ich wohl nie wiedersehen", antwortet Qaisar mit gläsernen Augen auf die Frage, ob er seine Familie nach Deutschland holen wolle. Dies sei nicht in seinem Ermessen und seine Familie sei auch nicht bedroht, so die weitere Antwort. Wie viele andere Asylbewerberheime, ist jenes in Delitzsch Kilometer von der Stadtgrenze entfernt, fünf, um genau zu sein. Nur eine Bundesstraße ohne Fahrrad- und Fußweg führt an ein Gewerbegebiet vorbei nach Delitzsch. „Hier fahren stündlich Busse, wer in die City will, muss nur einsteigen", so der sympathische Flüchtling, der seine Lockerheit zurückgefunden hat. Doch spätestens als er behauptet, noch nie mit Fremdenfeindlichkeit in Berührung gekommen zu sein, machen sich erste Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit breit.
Auf die gleichen Fragen reagiert eine Gruppe Nordafrikaner deutlich unentspannter. Abseits vom Buffet und Fußball unterhalten sich die jungen Männer angeregt, die meisten kommen ursprünglich aus Marokko oder Libyen. Von der nicht existierenden Ausländerfeindlichkeit kann ihrer Meinung nach keine Rede sein: „Vor zwei Monaten wurden wir von Nazis in einer Disko attackiert. Ein Bekannter blutete am Kopf". Zwar steht diese Aussage ungeprüft im Raum, aber ebenso im klaren Widerspruch zur heilen Welt von Qaisar Mehmood. Der Pakistani ist wohl nicht nur wegen der guten Deutsch-Kenntnisse von den Betreibern als Sprachrohr der Bewohner ausgewählt wurden. Zwar sei man froh in Deutschland zu sein, aber die weite Entfernung zur Innenstadt macht den jungen Männern deutlich zu schaffen: „Der Bus fährt selten und abends gar nicht mehr. Zu Fuß brauchen wir über eine Stunde, um etwas einkaufen zu gehen", berichten sie in gebrochenem Deutsch.
Antje Vogel vom Ordnungsamt sieht das allerdings nicht als Integrationsbremse: „Ich wüsste nicht, warum die Entfernung ein Problem sein sollte". Angesprochen auf die in Leipzig heiß geführte Debatte, Asylbewerber aus den Außengebieten in die Stadt zu holen, um ein besseres Zusammenleben zu gewährleisten, reagiert sie ebenfalls irritiert: „In Leipzig herrschen doch gute Bedingungen". Eine eher exklusive Meinung, da man in der Messestadt versucht, Massenunterkünfte wie in Delitzsch abzubauen und kleinere Gruppen in zentralere Wohngebiete umzusiedeln. Auf der Parkbank lassen die Nordafrikaner, die wegen drohenden Sanktionen der Ausländerbehörde nicht namentlich erwähnt werden wollen, ihren angestauten Unmut freien Lauf: „In unserem Haus geht nur eine Dusche, auch die meisten Toiletten sind kaputt." Zwar hat die Betreibergesellschaft ITB eingeräumt, dass noch nicht alle Gebäude fertig saniert wurden. Doch bei nur einer Dusche für über 50 Männer, scheint der Handlungsbedarf weitaus dramatischer, als nach außen dargestellt. Eine Küche soll es im „Haus 3" ebenso nicht geben. Später verabschieden sich die Nordafrikaner höflich und beteuern, unbedingt in Deutschland Fuß fassen zu wollen.
Trotz aller Scheinheiligkeiten darf die Veranstaltung als Erfolg angesehen werden. Schließlich ist eine Bereitschaft für eine erfolgreiche Integration der 190 Männer zu erkennen. Doch der bisher getätigte Schritt dorthin ist kleiner, als er von den Veranstaltern verkauft wurde. Für den bereits geplanten zweiten Basar wäre es aus integrativer Sicht übrigens ratsam, gemischte Mannschaften Fußball spielen zu lassen, als diese streng nach Nationen aufzuteilen.