Hits in einer besseren Welt
Superorganism waren 2018 die allercoolsten Newcomer. Eine Indie-Kommune, die übers Web arbeitet, um Musik aus 90er-Retromanie, Tech-Liebe und außerweltlicher Craziness zu erschaffen. Wie kann man das Debüt noch toppen? Mit mehr... von allem!
Von Marc Mühlenbrock
Mehr als vier Jahre ist es schon her, dass dieser Superorganismus die Welt erobert hat. Mindestens so interessant und frisch wie das Debütalbum war damals die Geschichte, mit der sich die acht Gründungsmitglieder zusammenfanden. Zwei Indie-Musiker trafen auf einen Beatbastler und einen Grafiker - und bei einem Konzert in Tokyo auf eine Schwester im Geiste und Teenage-Alter, die fortan das Mikro ergriff. Allerdings virtuell, denn weitere Kommunikation erfolgte nur über das Internet. Auf dieselbe Art kamen noch drei Freund:innen für den Background-Gesang hinzu.
Eine Band, die übers Internet funktioniert - ein echtes Phänomen unserer Zeit und ein prophetischer Blick in die Zukunft, denn in der Zeit des Lockdowns sollten viele Bands lernen müssen, so zu arbeiten. Das Oktett hatte da schon ein gemeinsames Headquarter in London bezogen, wo man zusammen lebte und arbeitete wie in einer Kommune. Das erscheint aus heutiger Sicht angesichts der Pandemie auf paradoxe Weise antizyklisch und durch den Hippie-Charakter wunderbar aus der Zeit gefallen.
Zu Beginn des Lockdown hatten Superorganism eine erste Version von Album Nummer zwei eigentlich schon im Kasten. Band und Label, der Indie-Gigant Domino, erahnten aber, dass da noch mehr ging. Deswegen wurde Produzent Stuart Price angeheuert, weltberühmt durch seine Arbeiten mit Madonna und The Killers. Er verlieh "World Wide Pop" ein glatteres Antlitz als dem Debüt, das noch durch seinen Lo-Fi-Charme bestach. Die neuen Songs wirken ausproduziert und klingen mehr nach überlebensgroßem Pop als nach Indie aus der Schlafzimmerproduktion. Für interessante Abwechslung sorgen weiterhin die Soundspielereien vom bandinternen Beatbastler Tucan, er vereint in den Songs Samples u.a. aus Radio-Jingles, Glitches und einer Botschaft an andere Lebensformen im Weltall von der Voyager Golden Record, der berühmten Platte, die im Jahr 1977 vollgepackt mit Bildern und Klängen per Raumsonde ins Weltall geschossen wurde, um außerirdischen Lebensformen den Planeten Erde vorzustellen.
Überhaupt das Weltall - die Zweite von Superorganism klingt wirklich außerweltlich. Aber nicht so progressiv wie bei Pink Floyd, Radiohead oder Superorganism-Fan Frank Ocean. Sondern nach der Version des Weltalls, wie es sich die Popkultur vorstellt: mit Sounds aus Videospielen und Retro-Science-Fiction-Shows. Hier auf der Erde hat die zum Quintett zusammengeschrumpfte Band neue Mitstreiter gefunden und zwar - der Albumtitel lässt grüßen - in der französischen Indie-Musikerin Pi Ja Ma, den japanischen Riot Grrrls CHAI und im Slacker-Gott Stephen Malkmus von Pavement aus Kalifornien. Der war mit seinem lethargischen Gesang schon immer ein großes Vorbild für Superorganism-Sängerin Orono und gibt diesen auf gleich zwei Tracks des neuen Albums zum Besten - wenngleich er auf "It's Raining" und "Into the Sun" mehr rappt als singt.
Insgesamt wirkt "World Wide Pop" versierter und auf dem Zeitstrahl der Musikgeschichte weniger in den 90ern verhaftet als das Debüt. Der Superorganismus ist gewachsen und gereift, gemeinsam mit seinen Mitgliedern. Noch spannender als zu beobachten, wie sich Online-Freunde begegnen und sich daraus echte Freundschaften entwickeln, ist nur die Musik, die dabei entsteht. Diese Entwicklung ist selbstreferentiell auch die übergreifende Thematik des Albums: Es geht um Beziehungen, die sich wegen oder trotz moderner Technologien ergeben.
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