Toronto Für die einen ist er Genie, Held und selbstloser Aktivist, für die anderen ein narzisstischer Teufel und eine Gefahr für die nationale Sicherheit. WikiLeaks-Gründer Julian Assange hat viel gesagt, geschrieben und noch mehr aufgedeckt - wirklich greifbar wurde der weißhaarige Cyber-Guru nie. Der Film „The Fith Estate" von Regisseur Bill Condon („Twilight Saga: Breaking Dawn Teil 1 und 2") versucht hinter die Maske des Mannes zu blicken, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, andere zu demaskieren. Was Condon und sein Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch zu Tage bringen ist spannend, oft rastlos und stellt den Charakter eines Mythos in Frage.
„The Fifth Estate" hatte am späten Donnerstagabend offiziell das Toronto International Film Fest (TIFF) in Kanada eröffnet. Der Streifen soll am 31. Oktober im deutschen Kino anlaufen.
Der Zeitpunkt für die Weltpremiere eines Filmes über jenen Mann, der streng geheime Daten, Staatsgeheimnisse und vertuschte Morde ans Tageslicht gebracht hatte, könnte nicht besser sein: WikiLeaks-Informant Bradley Manning (jetzt Chelsea Manning), der hunderttausende Dokumente an die Enthüllungswebsite weitergegeben hatte, war am 21. August zu 35 Jahren Haft verurteilt worden.
Whistleblower Edward Snowden, der in diesem Jahr die Abhöraktionen amerikanischer und britischer Geheimdienste öffentlich gemacht hatte und von Assange unterstützt wird, ist immer noch ein Medien-Dauerbrenner und verfolgter Staatsfeind der USA. Snowden sitzt derzeit in Russland fest, Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London, da ihm in Schweden ein Strafverfahren wegen Vergewaltigung droht. Brisanter und verwinkelter hätte sich kein Filmemacher die Welt moderner Spionage und Verrat ausdenken können.
Das Manning-Urteil, die Jagd auf Snowden, Assanges Unterschlupf in der Botschaft bleiben im „The Fifth Estate" allerdings unberührt. Selbst die Vergewaltigungsvorwürfe tauchen lediglich in einer Fußnote auf. Der Film konzentriert sich auf die nicht enden wollenden Offenlegungen von Geheimdokumenten bis 2010.
Im Mittelpunkt steht aber vor allem die „Bromance" zwischen Assange und Daniel Domscheit-Berg, dargestellt vom deutschen Schauspieler Daniel Brühl, dem späteren Sprecher des WikiLeaks-Gründers. Ähnlich wie im Facebook-Streifen „Social Network" erlebt der Zuschauer, wie zwei höchst intelligente Computerspezialisten aufeinander treffen. Beide haben hohe Ideale und grundverschiedene Auffassungen wie weit man für die Offenlegung der Wahrheit gehen kann - und darf.
Basierend auf zwei Büchern über Assange, „Inside WikiLeaks: My Time with Julian Assange at the World's Most Dangerous Website" von Domscheit-Berg und „WikiLeaks: Inside Julian Assange's War on Secrecy" der Guardian-Journalisten David Leigh und Luke Harding, entfaltet sich die Geschichte aus der Sicht Bergs: das erste Treffen, die Zusammenarbeit, Erfolge, Eifersüchteleien und schließlich der dramatische Bruch.
Berg, den Brühl mit ruhiger Souveränität darstellt und zum sympathischen Gegenpol von Assanges Überheblichkeit macht, wird letztendlich per Chat gekündigt. Davor prallen die beiden optisch wie charakterlich gegensätzlichen Männer immer wieder aufeinander. Es ist Brühls Charisma und vor allem die schauspielerische Leistung des Briten Cumberbatch, die den oft gehetzt wirkenden Streifen tragen.
Regisseur Condon versucht zu krampfhaft, die Veränderungen der medialen Welt auf der Leinwand bildhaft zu machen. Blinkende Computercodes wechseln sich mit traumähnlichen Sequenzen ab, die die Arbeitsweise von WikiLeaks erklären sollen. Die Vielzahl der aufgedeckten Fälle, die vernetzten Namen, Länder und Städte prallen irgendwann nur noch auf den Zuschauer ein, am Ende ist man fast so erschöpft wie die gehetzten Whistleblower.
Dank einer brillanten Besetzung, in der auch Moritz Bleibtreu, Stanley Tucci und Laura Linney glänzen, und der pointierten Darstellung Cumberbatchs bleibt der Film trotz seiner Längen spannend. Mimik und Körperhaltung des Briten stellen Assange dar, wie man ihn aus Interviews und Video-Clips kennt: zusammengekniffene Lippen, stetiger Griff durchs halblange Haar, australischer Akzent. Besonders sympathisch wird Assange durch Cumberbatchs Darstellung allerdings nicht.
Assange, das machte der Regisseur bei einer Pressekonferenz in Toronto nochmals klar, habe keine Sekunde an dem Film mitgearbeitet. Alle Versuche ihn einzubeziehen, seien gescheitert, legte Cumberbatch bedauernd nach. Stattdessen denunzierte der WikiLeaks-Chef das Projekt im Vorfeld auf YouTube mehrfach als Propaganda-Attacke. Cumberbatch habe sich dann dank des umfangreichen Materials im Internet auf die Rolle vorbereitet.
Dass Assange die Darstellung seiner selbst nicht gefallen dürfte, wird schnell deutlich. Schon in den ersten Minuten fährt er einen ahnungslosen Mitarbeiter bei einer Internet-Veranstaltung harsch an, arrogante Sätze fallen wie Fausthiebe und lassen den Gegenüber mit offenem Mund zurück. Narzisstisch und selbstgefällig, ein Pfau, der sich gerne selbst reden hört und nach Applaus hascht, dem es aber an Loyalität und Sensibilität mangelt - die Darstellung des Geeks, der sich bereits als Teenager in Top-Secret-Systeme hackte, ist keine Weichspülversion.
Condon entblättert den Charakter Assanges Stück für Stück, enthüllt und demontiert ihn, genau so wie Assange es mit den einstmals geheimen Dokumenten getan hat - zumindest auf persönlicher Ebene. Die unerschütterliche Überzeugung Assanges, dass er mit der Offenlegung der Geheimakten Recht hatte, wird dadurch geradezu verstärkt. Zurück bleibt ein zutiefst enttäuschter Domscheit-Berg, eine Welt die mit dem Konsequenzen der Enthüllungen leben muss - und ein ungebrochener Assange. Der hat auch bei „The Fifth Estate" das letzte Wort, mit direktem Blick in die Kamera.