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Feature

Plötzlich Fußballverein

Der Wiener Fußballverein SV Atemnot ist aus Jux entstanden. Aus Leuten, die sich einmal die Woche zum Kicken treffen, wird ein Verein mit durchorganisierten Trainingseinheiten, Taktikbesprechungen und Trainingslager. Aber ohne Trainer.


Inmitten von dicht verbautem Gebiet steht im 15. Wiener Gemeindebezirk eine kleine Stadtoase. Die Schmelz war früher ein Parade- und Exerzierplatz des Militärs. Heute baut die Wiener Bevölkerung hier in der Kleingartensiedlung ihr Gemüse an. Studierende verbinden die Schmelz hingegen mit Sport. Am Universitätssportinstitut studieren die künftigen Sportlehrer, Sportwissenschaftler und Sportmediziner. Aber auch ausgleichsuchende Studierende anderer Fächer fühlen sich hier wohl.


Studierende sind auch die meisten Spieler des SV Atemnot, erzählt Florian Bichl vor dem Training auf einem der Fußballplätze auf der Schmelz. 2013 hat er den Hobbyfußballverein gegründet. Mit dabei waren zunächst vorrangig Leute aus seinem Freundeskreis, die sich einmal die Woche zum Fußballspielen auf Kleinfeldplätzen getroffen hatten. „Wir hatten alle keine Ahnung von Großfeldfußball.“ Ein Großfeld beim Fußball ist etwa 100 Meter lang sowie rund 60 Meter breit. Kleinfelder sind meist kleiner als die Hälfte davon. Das bedeutet, „dass du Passes auf dem Großfeld so dreschen musst, wie du sonst schießt“, erklärt Bichl.


Vom Hobbyfußball in den Wiener Fußballverband


Überrascht wurde der SV Atemnot auch von der Spielstärke der Gegner: „Wir hatten gedacht, dass der Bodensatz der österreichischen Fußballklasse viel, viel schlechter ist. Bei den Kleinfeldligen gibt es viele, die kaum kicken können. Aber von denen tut sich niemand Großfeldfußball an.“ Die erste Saison in der Wiener Hobbyfußballliga (HFL) beendete der SV Atemnot auf dem vorletzten Platz. Inzwischen befindet sich der Verein in seiner bereits sechsten Saison. 2015 wechselte man die Liga: von der verbandsfreien Hobbyliga in die Diözesan-Sportgemeinschaft (DSG), ein Ligasystem innerhalb des Wiener Fußballverbandes. In der DSG spielt der SV Atemnot momentan in der 2.Klasse B. Die 2.Klasse ist die vierthöchste Spielklasse und gleichzeitig die niedrigste. Als 8. von 12 sind die Atemnot-Kicker momentan weit vom Aufstieg entfernt. Wenn es nach Florian Bichl geht, soll es trotzdem nach oben gehen: „Es wird davon abhängen, ob die Leute dabeibleiben. Je länger die Leute dabei sind, desto besser spielen wir uns ein.“


Das Training ruft. Florian Bichl verabschiedet sich vorerst und zieht sich um. Von einer vermeintlichen Unprofessionalität ist am Trainingsplatz nichts zu spüren. Die Einheit an diesem Dienstagabend Ende März ist straff durchorganisiert. Georg Edlinger, der das Training leitet, beginnt den Abend mit einer Überraschung für die Fußballer: „Nehmt den Ball in die Hand.“ Auf einem kleinen Feld spielen zwei Teams gegeneinander. Die Spieler des ballbesitzenden Teams werfen den Ball einander auf Brusthöhe zu. Die Spieler des gegnerischen Teams versuchen, den Ball aus der Luft abzufangen und somit in den eigenen Besitz zu bringen. Die Spieler des ballbesitzenden Teams suchen Freiräume und bieten sich an, während die Gegner genau diese Freiräume zumachen sollen. Damit soll Reaktionsschnelligkeit trainiert werden.


Trainingsleiter Georg Edlinger ist selbst Spieler des SV Atemnot. Der Oberösterreicher hatte vor dem Studium in Wien bei einem Verein in seiner Heimat gespielt – und dort auch eine Nachwuchsausbildung genossen. Seine Erfahrung bringt er beim neuen Verein ein. Für den SV Atemnot hat er auch eine Taktiktafel gekauft, auf der Spielzüge besprochen werden. „Meistens passiert dann am Feld aber was ganz anderes“, scherzt Daniel Bichl, Bruder von Florian und Gründungsmitglied des Vereins.


Kein fixer Trainer


Der SV Atemnot hat keinen Trainer. Die ambitionierten Hobbykicker organisieren sich selbst. Neben dem Vorstand hat der Verein auch eine sportliche Koordinationsgruppe. Die Mitglieder dieser Gruppe organisieren Training, Aufstellung und Spieltaktik. Diejenigen, die die Trainings leiten, müssten eine gewisse Autorität besitzen, erklärt Daniel Bichl. Die Fußballkenntnis allein reiche dafür nicht aus. „Aufstellung und Taktik saugen wir uns ein bisschen aus den Fingern. Wenn ein echter Trainer herkommen würde, würde der sehen, welches Spielermaterial da ist, und könnte wahrscheinlich Spielzüge formen, auf die wir nicht kommen.“


Der Fokus beim heutigen Training liege darin, Spielsituationen zu simulieren, erzählt Daniel Bichl. „Sonst machen wir mehr Grundübungen, trainieren Kopfbälle und Volleys.“ Diese fallen heute aus. Die Zeit solle stattdessen in Angriffsbildung, Verteidigung und Stellungsspiel investiert werden. Das letzte Spiel ging mit 1:6 gegen den klaren Tabellenführer DSG Meetup United SC verloren. Der letzte Sieg gelang im November. „Wir haben relativ schlechte Ergebnisse gehabt, aber spielen unserer Meinung nach ganz gut“, sagt Daniel Bichl. Generell sehe man mit jedem halben Jahr einen Fortschritt. „Wir sind spielerisch sehr zufrieden.“ In der DSG-Liga gebe es sehr viele knappe Spiele: „Wir verlieren dann halt Spiele 1:2, die genau andersrum laufen könnten. Es ist sehr viel Zufall.“


Daniel Bichl bewegt sich wieder auf den Platz. Die letzte Übung steht an. Bereits am darauffolgenden Samstag geht es in der Liga weiter. Diesmal gegen den klaren Tabellenletzten DSG Teco7 Technopol. Um den Pflichtsieg einzufahren, werden weiter Spielsituationen simuliert. Georg Edlinger teilt die Mannschaft in zwei Teams ein, eine verteidigende sowie eine angreifende Viererkette. In der Mitte steht ein Mittelstürmer. Dieser muss zuerst von der angreifenden Viererkette angespielt werden, bevor ein Angriff gestartet werden darf. Die Spieler der verteidigenden Viererkette dürfen erst verteidigen, sobald die Angreifer eine bestimmte Linie überschritten haben.


Spielaufbau und Stellungsspiel sollen damit trainiert werden. Innerhalb der verteidigenden Viererkette kommt es zu Meinungsverschiedenheiten über das richtige Stellungsspiel. Kapitän und Innenverteidiger Florian Bichl schlichtet. Und es wird weiter getüftelt.


Von emotionalen und organisatorischen Hürden


Getüftelt wird beim SV Atemnot nicht nur über Taktik und Spielzüge, sondern auch hinter den Kulissen muss einiges geschehen, um einen Verein auf die Beine zu stellen. Die erste Hürde war eine emotionale: Der Termin bei der Landespolizeidirektion, bei dem der Verein mit Namen „Atemnot“ angemeldet werden musste, war für Florian Bichl eine „peinliche Begegnung“. Die Alternative war „Lokomotive Abstellgleis“, damit hätte er sich noch weniger getraut hinzugehen. Dann kam viel Papierkram auf ihn zu. Für die Anmeldung brauchte er von jedem Spieler ein Passfoto sowie eine ärztliche Bescheinigung, wenn der Spieler noch nirgends zuvor gespielt hatte. Für Spieler, die zuvor bereits bei anderen Vereinen aktiv gewesen waren, musste er sich offizielle Transferbestätigungen von diesen Vereinen holen. „Auch wenn das letzte Spiel dort 17 Jahre lang her ist.“


Neuer Sponsor


Auch finanziell ist die Belastung nicht klein. Sportplatzmieten müssen bezahlt, Trikots besorgt werden. Seit 2018 hat der SV Atemnot einen Trikotsponsor. Einer der Spieler arbeitet bei einer Steuerberatungsfirma. Diese hat er dazu bewogen, einmalig einen laut Florian Bichl „großen Betrag“ zu zahlen. Bisher hatte man alte Trikots zu günstigen Preisen von anderen Vereinen erstanden. Ansonsten finanziert sich der SV Atemnot vorrangig über Mitgliedsbeiträge. Jeder Spieler zahlt 200 Euro pro Jahr. „Bei den steigenden Kosten müssten wir den Beitrag eigentlich schon erhöhen“, sagt Florian Bichl. Eines seiner Ziele ist, in Zukunft mehr Events zu machen, um Spendengelder zu sammeln. Zwei fixe Events pro Jahr gibt es schon. Den Herbstsaisonabschluss „Punsch & Atemnot“ sowie den Abschluss der Frühjahrssaison. „Da kommen Spendengelder rein, aber nicht die Welt.“ Der Vereinsgründer wünscht sich für die Zukunft ein, zwei echte Sponsoren. „Vor allem, weil wir mittlerweile wirklich Publikumswirksamkeit haben. Wir hatten beim letzten Zuschauerspiel 70 Zuschauer.“


Ins Schwärmen kommt Florian Bichl, wenn er vom Trainingslager im letzten Sommer erzählt: „Das war völlig absurd. Es gibt auf dem Niveau niemanden, der Trainingslager veranstaltet. Wir sind einfach mit 14 Mann in Senkvice in der Slowakei gestanden und haben dort jeden Tag zweimal trainiert. Eigentlich erstaunlich professionell. Es wurde kein einziges Mal ein normales Match gespielt. Es wurden wirklich taktische Manöver umgesetzt, die wir auch wirklich gemacht haben.“


Die letzten 20 Minuten des Trainings sind angebrochen. Nach den vielen Taktikeinheiten wollen die Fußballer auch einmal nur spielen. Es gibt nur eine Einschränkung: Höchstens drei Ballberührungen pro Person, dann muss der Ball weitergespielt werden. Um Punkt 21 Uhr ist Schluss. In der Kabine wird nur mehr über Sanktionen getüftelt – für jene Spieler, die heute nicht anwesend waren. Die Diskussion wird vertagt.


Am darauffolgenden Samstag gewinnt der SV Atemnot mit 8:2 bei Technopol. Und wie geht es weiter? Auf der Vereinshomepage wird die große Vision offenbart: „Ziel ist es langfristig in der Champions League zu spielen.“ Der nächste Schritt dazu ist der Aufstieg in die Erste Klasse der DSG.