Ein beherzter Griff in den Schritt, die Baggy-Hose sitzt. Aymeric Tonin zieht die verspiegelte Snowboardbrille über die Augen, sie verdeckt sein halbes Gesicht. Die Kapuze nimmt er ab, schließlich sind Fotografen da - das Sponsorenlogo auf dem Brillengurt muss gut sichtbar sein. Ein Blick über die Schulter, dann klatscht Tonin seinen Teamkollegen Bastien Sturma ab und erhebt sich zur Abfahrt durch den Funpark in Val Thorens.
Mit etwa 50 Sachen rast der Snowboarder auf den ersten Absprung zu - Vorwärtssalto über die Schanze, butterweich landet der 28-Jährige auf dem harten Schnee. Schwung aufnehmen für den nächsten Sprung: ein "720", zweimal dreht sich Tonin um seine eigene Achse und landet wieder in der Spur. Mit einem letzten Sprung, bei dem er ans Board-Ende fasst, schließt er den Parcours ab. Am Zieleinlauf stürmen Zaungäste herbei und klatschen ihn ab.
Tonin ist sogenannter Image-Rider beim Snowboardhersteller Nitro. "Chile, Neuseeland, Alaska, ich fliege um die Welt für Sportfotos und -videos auf Nitro-Brettern", sagt der zierliche Franzose mit der sonnengegerbten Haut zu seiner Werbeaktion.
Auch hier in Val Thorens in den französischen Alpen dreht er ein Video für die Website. Das Snowboarden sei in Europa keine große Sache mehr, es gebe immer weniger Geld, sagt er. Stattdessen würden aber Free-Ski und Ski-Freestyle gefördert, das sei offenbar mehr in Mode. Deshalb tourt er mit seinen Teamkollegen durch die Alpen, um dem Sport mehr Popularität und damit seinem Sponsor mehr Absatz zu bescheren.
Lawinensicherheitstraining in der Theorie
Die Ski und Boarderweek in Val Thorens ist für ihn ein willkommener Laufsteg. Zu dem Saison-Opening in der Vorweihnachtswoche kommen fast 6000 Schnee-Enthusiasten aus ganz Europa, darunter vor allem Gäste aus Deutschland, England, Slowenien, Polen und Frankreich. Die Bretthersteller lassen ihre neuesten Produkte testen, über eine Sprungschanze vor dem Restaurant auf dem Dorfplatz können Mutige Sprünge in ein Luftkissen üben oder in Workshops ihr Können im Gelände oder Funpark verbessern.
Dabei helfen zum Beispiel Wolfi Petters und Eric Haufe. Die Unternehmer aus Schliersee verbringen über 200 Tage des Jahres als Lehrer im Schnee. "Wir machen hier ein Lawinen-Safety-Camp. Leider eher theoretisch, denn es ist wenig Schnee gefallen", sagt Petters.
Mit zwölf Kursteilnehmern fahren die geprüften Ski- und Snowboardlehrer sowie Bergführer heute abseits der Pisten und trainieren die Bewegung im Gelände. "Das Freeriden ist sehr in Mode gekommen, Ausrüstung wie die Airbag-Rucksäcke sind inzwischen erschwinglich, aber Technik allein nützt einem abseits der Pisten nicht viel", sagt Petters.
Seit einer Woche steht die Sonne über den Trois Vallées, einem der größten zusammenhängenden Skigebiete der Welt. Val Thorens ist als Teil der drei Täler in diesem Jahr mit einem "World Ski Award" als bestes Skigebiet der Welt ausgezeichnet worden.
Die kleine Stadt mit den riesigen Bettenburgen in der Nähe vom olympischen Albertville liegt komplett über der Baumgrenze, in einer von sechs Gletschern umschlossenen Talmulde. Von November bis Ende April gilt der Ort als schneesicher. Über 600 Pistenkilometer, 105 Lifte und günstige Vorsaisonpreise treiben jährlich die Vorweihnachtssportler der Ski und Boarderweek in die Trois Vallées.
Sobald die Sonne hinter dem 3200 Meter hohen Cime Caron verschwindet, verwandeln sie Val Thorens in einen Ameisenhaufen. Kreuz und quer rennen die Sportler in bunten Skijacken und Helmen, bis sie sich an einer der Après-Ski-Hütten niederlassen. An der "Snow-Base" heizen die mitgereisten DJs schon mal für den Abend ein, denn kurz vor Mitternacht tritt der Hamburger Rapper Samy Deluxe auf.
Nicht nur auf Brettern vergnügen sich die Massen, allerlei Spielzeug hat der Skiort aufgebaut. Im Skydive-Simulator neben der Kirche lässt sich etwa ein Wagemutiger in einem Wingsuit vier Meter hoch in die Luft blasen. Währenddessen geht bei den Briten so langsam die Mottoparty los, denn an der Supermarktkasse stehen Nonnen und Mönche sowie ein Peter Pan, der sich mit einem torkelnden Dornröschen unterhält.
Alle sind da: vom Dauersportler bis zu Partylöwen
Bei dem Saison-Opening kommen alle Wintersportlertypen zusammen. Die, die um kurz vor neun Uhr morgens am Lift stehen und erst am Abend zurückkehren, aber auch jene, die nicht einmal einen Skipass lösen und stattdessen den Tag auf dem Balkon im Feinrippunterhemd verbringen, direkt neben dem Elektrogrill.
Dazu gehören auch ein paar Herren aus dem Val Chavière, einer der 22 angemieteten Unterkünfte für Gäste aus Deutschland. Marco und seine zehn Freunde sind seit der ersten Boarderweek dabei; seit 17 Jahren fahren sie vor Weihnachten in die französischen Alpen. Nicht nur zum Skifahren. Die Grundausstattung ihres Apartment - Sauna, Kamin und vier Badezimmer - ergänzt die Herren-WG mit ein paar Mitbringseln.
Neben der Balkontür steht eine Doppelzapfanlage für 350 Liter Bier und Weizen, im Schrank ein Eimer Sauerbraten für das traditionelle Donnerstagsessen. "Wir kennen uns seit dem Kindergarten. Vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Chirurg oder Richter kommen hier jährlich alle auf Augenhöhe zusammen - zum Feiern", sagt Marco. Die 29- bis 42-jährigen Männer sind die Proficamper der Alpen.
Über dem Sofa ist eine Halterung für den Beamer angebracht, der mit einer Filmfestplatte sowie einem Dolby-Surround-System verbunden ist. Die Löcher für die Aufhängung haben sie schon vor über zehn Jahren gebohrt, als sie das letzte Mal in der Wohnung waren.
Noch bevor die Sauna auf Hochtouren läuft, stehen elf Kräuterliköre auf dem Tisch. "Prost Prost meine Herren - auf eine neue Boarderweek", läutet Marco die neue Saison ein, während er mit der freien Hand Schnecken, Scampis und Rinderfilet im Gefrierfach verstaut.