Mit seiner neuen Single "Melodien" hat sich der 23-jährige Rapper Capital Bra zum deutschsprachigen Musiker mit den meisten Nummer-Eins-Singles aller Zeiten gemausert. Der Song ist seine sechste Chart-Spitze in nur vier Monaten. Mit diesem Erfolg hat er Modern Talking und Rihanna hinter sich gelassen und zieht mit den Rolling Stones gleich. Dabei ist der Musiker für viele gänzlich unbekannt. Eigentlich unvorstellbar, bei sechs Nummer-Eins-Hits. Doch Spotify & Co. machen es möglich.
Streaming katapultiert junge Subkulturen in die Mitte der GesellschaftCapital Bra ist in Sibirien geboren und verbrachte seine Grundschulzeit in der Ukraine. Seine Name Bra ist kurz für "Bratan", was im Slawischen "Bruder" bedeutet. Seine russisch-ukrainischen Wurzeln sind großer Teil seiner Ästhetik und seiner Musik. Neben seinem von den Gopniki-inspirierten Kleidungstil, gehört zu seinem Markenzeichen auch sein markantes, gerolltes R und ein buntes Sprachgemisch aus Slang-Begriffen unterschiedlicher migrantischer Milieus. In seinem Nummer-Eins-Hit "Berlin Lebt" zum Beispiel fallen Begriffe auf Arabisch wie "Massari" (=Geld) oder "Abiad" (=weiß; steht für Kokain), in einem anderen seiner Nummer-Eins-Hits "One Night Stand" singt er die komplette Hook auf Russisch. Sein Lieblingswort "Bratan" kommt praktisch in jedem Song vor. Die meisten seiner Fans sind in einem Zeitalter aufgewachsen, in dem CDs lange schon irrelevant sind. Für sie sind Streaming-Seiten wie Spotify oder Tidal einfacher und auch finanziell zugänglicher.
Im Chart-Olymp ohne riesige Verkaufs-Erfolge - Ist das fair?Was man bedenken muss: Capital Bra hat bei weitem nicht so viel verkauft wie Modern Talking oder die Rolling Stones. In den Statistiken landen Rapper wie er nur deshalb so weit oben, weil die deutschen Charts seit 2014 auch Streams berücksichtigen. 500 Streams zählen in dem aktuellen System genauso viel wie der Kauf einer Maxi-CD-Single im Wert von 5 Euro.
Bleibt die Frage: Sind Charts, die von Leuten angeführt werden, die kaum einer kennt, dann überhaupt noch repräsentativ für den Musikgeschmack in Deutschland? Diese Debatte gab es vor einigen Monaten auch schon bei der goldenen Schallplatte. Die Folge: Seit April hat der Bundesverband Musikindustrie die Wertigkeit von Streams halbiert, jetzt benötigen Capital Bra & Co. doppelt so viele Streams wie zuvor, um mit "normalen Verkäufen" mitzuhalten. Der Hip-Hop-Journalist Aria Nejati fasst das als direkten Angriff auf die Deutschrap-Community auf:
Im Gegensatz zur goldenen Schallplatte hat das Medien-Unternehmen GfK Entertainment, das die Charts erhebt, bisher (noch) nichts an der Gewichtung der Streams verändert. Im Jahre 2018 ist aber sicherlich zeitgemäßer, wenn ein bei jungen Menschen viel gestreamter Künstler wie Capital Bra die Nummer Eins der Charts belegt, als eine Schlager-Platte, die nur als physische CD gekauft wurde - auch wenn den im Notfall viele nicht kennen.