Von der Beat-Generation bis zu Breaking Bad: Rausch und Exzess sind männlich, berauschte Frauen kommen popkulturell so gut wie nicht vor. Von Marlene Halser und Maike Brülls
„Wir hatten zwei Beutel Gras, fünfundsiebzig Kügelchen Meskalin, fünf Löschblattbögen extrastarkes Acid, einen Salzstreuer halbvoll mit Kokain und ein ganzes Spektrum vielfarbiger Upper, Downer, Heuler, Lacher … sowie einen Liter Tequila, eine Flasche Rum, eine Kiste Bier, einen halben Liter unverdünnten Ether und zwei Dutzend Poppers.“ (Fear and Loathing in Las Vegas, Hunter S. Thompson, 1971)
Literatur über Drogen und Rauschzustände wird derart häufig
geschrieben, dass das Sujet eine eigene Kategorie bekommen hat.
Drogenliteratur heißt sie genderneutral und entsprechend irreführend.
Denn dieser Begriff verschleiert, dass es fast ausschließlich weiße cis Männer sind, die sich, ihren Konsum und ihre sowohl mentale als auch physische Kaputtheit literarisch ausbreiten.
Seit
der britische Schriftsteller Thomas De Quincey 1822 mit seinem
autobiografischen Essay „Confessions of an English Opium Eater” das Feld
eröffnet hat, sind eine Vielzahl von Arbeiten entstanden, deren
Kultstatus auf dem darin beschriebenen exzessiv Konsum von Substanzen
und der daraus folgenden (Nonsense-)Philosophie des Deliriums beruht.
Die Autoren der Beat-Generation Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William
S. Burroughs, Ernst Jüngers Schriften über Äther, Chloroform, Kokain,
Opium, Haschisch, Meskalin, LSD und Psilocybin, Tom Wolfes Beschreibung
von Ken Kesey und den „Merry Pranksters“, Charles Bukowskis tragischer
Trinker Hank Chinaski, Rainald Götz endloser Techno-Taumel in Rave,
der kettekoksende Benjamin von Stuckrad-Barre in Panikherz. Die Liste
lässt sich beliebig fortsetzen.
Popkulturell abgefeiert. In Filmen und Serien setzt
sich das beschriebene Muster fort: Barfly, Trainspotting, Lammbock,
99 francs, The Wolf of Wall
Street, Californication, Mad Men, Breaking Bad – die Konsumierenden,
Produzierenden und Scheiternden sind fast ausschließlich weiße cis Männer,
deren Kaputtheit und Selbstzerstörung popkulturell zelebriert,
glorifiziert, amüsiert und kritiklos verharmlost und zum Kult erhoben
wird.
Das Problem ist nur: Diese überproportionale Darstellung von
Rausch aus einer privilegierten, männlichen Perspektive hat in vielen
Fällen nichts mit der gelebten Realität zu tun. Sie vernachlässigt zum
einen, dass es sehr wohl nicht-männliche Personen gibt, die ebenso
ausgelassen, hedonistisch oder fatalistisch ballern, oder sich selbst
ganz bewusst in bewusstseinserweiternde Rauschzustände versetzen – ohne
davon zu erzählen. Was diese Darstellung von Rausch ebenso verschweigt,
ist der krasse Unterschied, wenn es um die Wahrnehmung von real
berauschten Personen geht. Rausch ist nämlich ausschließlich bei weißen, cis männlichen Personen mit einem bestimmten sozialen Status derart konsequenzlos und allgemeingültig akzeptiert.
Weibliche Verführung. Kommen sie vor, sind Frauen in
der Rauschliteratur in den allermeisten Fällen entweder schmückendes,
aber belangloses und oft auch namenloses Beiwerk, Sexualobjekt oder
Opfer. Oder aber die Substanz selbst wird als weibliche Verführung
dargestellt, wie etwa in dem Film über die Glam-Metal-Band Mötley Crüe,
in dem eine nackte Frau dem Bandmitglied Nikki Sixx seine erste Spritze
Heroin reicht. Selbst die von Uma Thurman verkörperte Mia Wallace in
Pulp Fiction, die durchaus als Kultfigur gelten kann, ist in erster
Linie Marsellus Wallace Frau, stirbt fast an einer Überdosis und muss in
einem heroischen Akt von ihrem Begleiter gerettet werden, der ihr eine
Adrenalin-Spritze durchs Brustbein rammt. Christiane F. indes wird in
Wir Kinder vom Bahnhof Zoo gar zum Negativbeispiel für unbezwingbare
Substanzabhängigkeit und unaufhaltsamen sozialen Abstieg; ein
Schreckgespenst, das ganze Generationen prägt.
Ein Grund für diese
unterschiedliche Darstellung liegt wohl darin, dass Rausch in der
gesellschaftlichen Wahrnehmung nach wie vor als „männlich” gilt. „Der
Ansatz der Konstruktion sozialer Geschlechtlichkeit („doing gender“)
kann den Blick für einen Verstehens-Ansatz männlichen Drogenkonsums
öffnen”, schreibt etwa der Suchtforscher Heino Stöver.
Antriebssteigerungen, „Grandiosität“ und das „Über-sich-hinaus-Wachsen“
seien Rauschgefühle, die männlich konnotierten Dynamiken entsprechen,
so Stöver. Besoffen zu poltern, zu prahlen oder zu prügeln, passt also
zum tradierten Bild von Männlichkeit – so sehr, dass der Mann
laut Stöver im Rausch „zum Mann werde“. In dieser Vorstellung sitzt die
Frau zuhause, ist vernünftig, übernimmt vollständig die Care-Arbeit und
nervt – wie Skyler White in Breaking Bad.
Täter-Opfer-Umkehr. Auch für Frauen bzw. Personen,
die als weiblich wahrgenommen werden, gibt es sexistische Zuschreibungen
– allerdings sind sie negativ. Besoffene Frauen gelten schnell als
hysterisch. Frauen, die nicht mehr bei Bewusstsein sind, sind zudem dem
Risiko ausgesetzt, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden. Eine toxische
Mischung: Auf der einen Seite steht der Mann, dem sein aggressives und
grenzüberschreitendes Verhalten im Rausch zugestanden wird. Auf der
anderen Seite die Frau, die versäumt hat, auf sich achtzugeben. Wenn die
Beteiligten berauscht sind, ist die Täter-Opfer-Umkehr meist nicht
weit.
Auch Rassismus ist ein wichtiges Motiv, das zeigt, wie in der
Gesellschaft mit Menschen umgegangen wird, die mit Drogen zu tun
haben. Der unreine, Schwarze Mann, der dreckige Drogen an die reinen und
sittenhaften Weißen bringt – dieses rassistische Bild stammt aus
Kolonialzeiten und wirkt bis heute: Die drogenschmuggelnden Mexikaner in
den USA, die tickenden Geflüchteten im Görlitzer Park in Berlin, die
Crack-verteilenden Afroamerikaner an der West Coast Amerikas sind nur
drei Beispiele solcher Klischees.
Produktiver Kokser. Welcher Rausch geächtet und
welcher akzeptiert wird, ist also immer auch eine Frage des sozialen
Status. Und auch, mit welchem Zweck die Person sich berauscht. In
unserer kapitalistischen Welt gilt jener Konsum als konform, der einem
dazu verhilft, die tägliche Lohnarbeit zu meistern; etwa der Joint zur
Entspannung am Abend oder die Line Koks vor dem wichtigen Kundentermin.
Menschen, die Hartz 4 beziehen und
kiffen, werden hingegen stigmatisiert. Auch be_Hinderte Berauschte
kommen im gesellschaftlichen Diskurs einfach gar nicht vor.
Die
Wurzeln hierfür liegen wohl im Protestantismus. Mit Luther wurde die
Arbeit zu Ehren Gottes zum neuen Ideal. Trinker, die im Mittelalter noch
akzeptiert waren, galten nun nicht länger als gute Christen. Mit der
Säkularisierung und Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert
übernahm die Wissenschaft diese Idee: „Der Trinker der Reformationszeit
wurde zum Sünder, weil er nicht gottgefällig lebte; der Trinker der
kapitalistischen Industriegesellschaft wird als krank definiert, weil er
nicht der Norm dieser Gesellschaft entspricht: Produktivität,
Funktionalität und Erfolg“, schreibt der Kulturwissenschaftler Frank
Nolte in einem Aufsatz über die Entstehung der Sucht. Was für den
Alkohol galt, wurde auch auf alle anderen psychoaktiv wirkenden Stoffe
übertragen.
Abstiegsangst. Die Ablehnung von Rausch
hat also auch viel mit der Angst vor dem sozialen Abstieg zu
tun, mit der Angst „in der Gosse zu landen”, wie die Soziologin Gundula
Barsch schreibt. Die Darstellung, den von Armut und Chancenlosigkeit
Betroffenen bliebe keine andere Perspektive, als ihren Sorgen und
Nöte mit Drogenkonsum zu begegnen, betrachtet sie jedoch als
Vereinfachung: „Am Zustandekommen solcher Reduktionismen ist zweifellos
vor allem die dramatisierende Inszenierung des Drogenthemas beteiligt:
Die allgegenwärtige, abschreckende Darstellung, nach welcher der Konsum
von Drogen über kurz oder lang in soziales Elend sowie physischen und
psychischen Verfall führe, soll den Umgang mit diesen Substanzen
verhindern.”
Einer der wenigen Drogenromane, in dem es auch eine
weibliche Protagonistin gibt, die Substanzen konsumiert, ist ein Buch
aus dem Jahr 1997. „Relax” ist der Debütroman von Alexa Henning von
Lange und obwohl hier eine Autorin schreibt, beginnt die Erzählung so,
wie im Grunde fast alle von Männern verfassten Rauschromane beginnen
könnten. „Mann. Ich bin ein Rockstar”, sagt Chris vorneweg, um
anschließend atemlos davon zu berichten, wie er sich mit seinen „Jungs”
an einem durchfeierten Wochenende so derart viele Joints, Biere, Lines
und Pillen reinknallt, bis er schließlich auf dem Parkplatz vor einem
Club zusammenbricht. Die zweite Hälfte des Buches wird von Chris’
Freundin erzählt. Was sie beschreibt, ist ihre Sicht auf dasselbe
Wochenende. Und das besteht in erster Linie aus: Warten auf
Chris. Die Protagonistin hat keinen Namen, sondern wird im Buch
stets nur „die Kleine” genannt – sogar von sich selbst.
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