Frage: Herr Trebnik, Sie sind einer der beiden ersten Polizeirabbiner in Deutschland. Was reizt Sie an diesem neuen Posten?
Shneur Trebnik: Als dienstältester Rabbiner in Württemberg arbeite ich seit vielen Jahren mit der zusammen. Ich bin außerdem seit 25 Jahren ehrenamtlicher Rettungssanitäter und habe damit schon länger einen gewissen Bezug zum "Blaulicht-Milieu".
Frage: Was genau ist die Aufgabe eines Polizeirabbiners?
Trebnik: Einerseits werden wir die Polizei bei der Ausbildung der neuen Beamten unterstützen. Auf der anderen Seite wollen wir bei denen, die bereits Polizeibeamte sind, eine gewisse Aufklärungsarbeit leisten. Ich will, dass die Polizistinnen und Polizisten ein bisschen mehr über das jüdische Leben erfahren. Außerdem bieten wir ihnen natürlich unsere geistliche Unterstützung an.
Frage: Das baden-württembergische Innenministerium erhebt nach eigenen Angaben keine Informationen zur Konfession seiner Polizeibeamten. Aber was schätzen Sie, wie viele Polizisten jüdischen Glaubens Sie in Württemberg, dem Landesteil, in dem Sie zuständig sind, begleiten werden?
Trebnik: Sicher bin ich mir nicht, wie viele Polizistinnen und Polizisten jüdischen Glaubens es gibt. Ich gehe davon aus, dass es nicht sehr viele sind. Aber ich gehe auch davon aus, dass manche Polizeibeamte, die nicht jüdisch sind, in bestimmten Situationen vielleicht nicht unbedingt mit den anderen Seelsorgern sprechen wollen. In manchen Momenten sucht man möglicherweise einen anderen Kontakt. Das heißt, ich stehe nicht nur für jüdische Polizistinnen und Polizisten zur Verfügung, sondern für jeden, der mich braucht.
Frage: Die deutsche Polizei muss sich seit einiger Zeit mit rechten Strukturen in den eigenen Reihen befassen. Haben Sie gezögert, als Ihnen das Amt des Polizeirabbiners angeboten wurde? War da nicht auch Angst?
Shneur Trebnik
45, lebt in Ulm. Er baute dort die Zweigstelle der israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs mit auf. Trebnik ist verheiratet und hat acht Kinder.
Trebnik: Wenn ich mir ernsthaft Sorgen machen müsste, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, dann müsste ich meine Koffer packen und von hier weggehen - und zwar noch heute. Ich mache mir aber umgekehrt auch keine Illusionen, dass ich alle Menschen überzeugen und ändern könnte. Das ist utopisch. Das wird nicht passieren. Es wird weiterhin rechtsextremistisch eingestellte Menschen in der Bevölkerung geben. Ich befürchte, es wird auch innerhalb der Polizei weiterhin Beamte mit rechtsextremistischen Einstellungen geben. Aber wenn ein Polizeibeamter irgendetwas Rechtsextremes in einer Chat-Gruppe postet, dann ist meine Hoffnung, dass künftig mehr Menschen etwas dagegen unternehmen, eben weil sie mehr über das jüdische Leben wissen.
Frage: Wie erklären Sie sich denn die antisemitischen und rechtsextremen Ausfälle in den Reihen der Polizei?
Trebnik: Ich kann mir vorstellen, dass man als Polizeibeamter mit extremen Situationen konfrontiert ist. Und diese extremen Situationen machen das Leben nicht leichter. Irgendwann kann so etwas dazu führen, dass man sich eine extreme Meinung bildet. Polizisten haben immer mit vielen Problemen zu tun. Sie erleben viel Kriminalität. Dann ist es irgendwann vielleicht schwieriger, offen zu sein, den Menschen ohne Vorurteile zu begegnen. Aber das ist ganz normal. Das ist menschlich, und damit muss man umgehen.
Frage: Wirklich keine leichte Aufgabe, der Sie sich da stellen ...
Trebnik: Aber eine große Chance. Ich möchte die Tür ein bisschen öffnen, um jüdisches Leben in Deutschland sichtbarer zu machen, besser zu erklären. Und eben nicht nur die Herausforderungen, die Jüdinnen und Juden zweifelsohne in Deutschland erleben. Das Judentum wird so oft im Kontext von Sicherheitsaspekten, rechtsextremen Gefahren und Antisemitismus behandelt. Wenn wir als Polizeirabbiner erreichen, dass jüdische Menschen nicht mehr als exotisch wahrgenommen werden, dann haben wir sehr viel erreicht. Es ist ein Versuch.
Frage: Sie kamen 2000 aus Israel nach Deutschland. Aus einem Dorf nicht weit von Tel Aviv nach . Ihre Familie lebt teilweise noch in Israel. Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, dass Sie künftig für die deutsche Polizei arbeiten werden?
Trebnik: In meinem Umfeld sagen viele, der Holocaust ist ein sehr dunkles Kapitel dieses Landes. Aber wir richten unser Gesicht und unseren Blick nach vorne. Wir beschäftigen uns nicht jeden Tag und nicht jede Stunde mit der Vergangenheit.
Polizeiseelsorger
Sie begleiten Polizistinnen und Polizisten in schwierigen Situationen, unterstützen durch Gespräche nach belastenden Einsätzen und sind in der Aus- und Weiterbildung tätig: Derzeit arbeiten 87 katholische und 55 evangelische Seelsorger und Seelsorgerinnen in der Polizei bundesweit. Dazu kommen jeweils zwölf katholische und evangelische Seelsorger bei der Bundespolizei. Seit Beginn des Jahres sind in Baden-Württemberg, erstmalig in Deutschland, auch Polizeirabbiner im Einsatz. Ende Dezember hatte das baden-württembergische Innenministerium mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften in Baden und Württemberg eine Vereinbarung zu den jüdischen Seelsorgern für zunächst zwei Jahre unterzeichnet. Shneur Trebnik aus Ulm wurde von Innenminister Thomas Strobl (CDU) für den Landesteil Württemberg, Moshe Flomenmann aus Lörrach für Baden zu der neuen Aufgabe berufen. Das Projekt geht auf eine Empfehlung des Antisemitismusbeauftragten der Landesregierung, Michael Blume, zurück. Laut Blume ist Baden-Württemberg, nach den USA und Israel, erst der dritte Staat weltweit, der Rabbiner in der Polizei engagiert. Auch die Bundeswehr soll jüdische Seelsorger bekommen. Etwa zehn Militärrabbiner sollen für die schätzungsweise 300 Soldaten jüdischen Glaubens in der Bundeswehr tätig werden. Muslimische Seelsorger für Polizei und Bundeswehr gibt es derzeit noch nicht.
Frage: Es gab keine Kritik in Ihrem Umfeld?
Trebnik: Manche Leute waren skeptisch, ob es so viel bringt, wie ich mir erhoffe.
Frage: Sie haben acht Kinder. Wie haben Sie mit ihnen über den Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 gesprochen?
Trebnik: Wir haben über diesen Anschlag ähnlich wie über alle Terroranschläge in Deutschland, Europa, Israel und anderen Ländern gesprochen. Terror ist Terror. Anschlag ist Anschlag, und Extremismus ist für uns alle und überall gefährlich.