Von der phönizischen Küste entführte Zeus in der Gestalt eines Stieres die schöne Jungfrau Europa, Tochter des Königs von Tyros und Sidon, über das Meer nach Kreta. Die irdische Gattin des unbesiegten Gottes wird nach einer Verheißung der Göttin Aphrodite die Namensgeberin des Kontinents Europa. Die phönizische Küste ist heute der Libanon, in der Fläche und mit einer Bevölkerung von knapp vier Millionen das kleinste Land im Vorderen Orient. Aber groß in Geschichte.
Die Phönizier haben den kostbaren
Farbstoff Purpur erfunden, das Glas und die Kursivschrift, von der sich über
das Griechische die lateinische Schrift ableitet. Als König Salomo seinen
Tempel in Jerusalem bauen wollte, ließ er Zedernholz und Zypressen aus den
libanesischen Wäldern holen. In Baalbek stehen die größten Tempel der römischen
Antike und in der Bekaa-Ebene liegen die ältesten Weinanbaugebiete der Welt,
einige sagen, der Chardonnay komme von dort. Zumindest sind die Weine nicht nur
im Libanon berühmt. In den hohen Bergen liegen bekannte Skigebiete, von den
weißen Bergen leitet sich auch der Name Libanon ab.
Groß ist auch der Stolz der Libanesen, die
sich gerne als Nachfahren der Phönizier begreifen. Deren jahrhundertelange
Handelstradition haben sie jedenfalls beibehalten, inzwischen leben mehr
Libanesen im Ausland als im Libanon selbst, vor allem in Lateinamerika, den USA
und Westafrika. Ein Grund, warum die libanesische Küche weltweit so bekannt
ist. Und Libanesen sind stolz, dass sie auferstanden sind nach dem langen
Bürgerkrieg von 1975 bis 1990. Die Hauptstadt Beirut
wurde im Bürgerkrieg stark zerstört, die Front verlief durch die Altstadt. Zwar
ist der Krieg im Stadtbild noch präsent, aber mitten in der Trümmerwüste wurde
in den letzten Jahren ein nobles neues „Altstadtviertel“ mit Boutiquen, Bars
und Restaurants aus dem Boden gestampft.
Hier flanieren wohlhabende Libanesen
und die Schickeria aus den Golfstaaten. Das Gebilde ist jedoch fragil, die
Nachbarschaft zu Israel im Süden ebenso innerlibanesische Probleme wie die
großen sozialen Unterschiede zwischen den Bevölkerungsruppen und den vielen
Konfessionen führen immer wieder zu Konflikten. Dennoch: In Beirut erwacht wieder das Wirtschafts-, Finanz- und
Bankenzentrum der Region, das es vor dem Krieg gewesen ist. Beirut gilt
als extrem schick, als einer der besten Partyspots der Welt und neues Ziel des
internationalen Jet-Sets. Die Stadt ist wohl die freizügigste der arabischen
Welt, viel stärker als etwa Dubai, wo nur das Stadtbild und das Flair modern sind,
nicht aber die Sitten.
(...)
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Lexikon-Artikel der Brockhaus-Reihe "Die Welt - Vorderasien"