Deutschen Firmen fehlt es an Auszubildenden. Flüchtlinge wie Nady aus Ägypten könnten die Lösung sein. Doch viele Unternehmen zögern - aus Angst vor ihrer Abschiebung.
Manche finden, Menschen wie Nady seien ein Problem: Sie lägen unserem Sozialsystem auf der Tasche, könnten nicht arbeiten und würden womöglich noch kriminell. Der 19-jährige Nady ist als Flüchtling aus Ägypten nach Deutschland gekommen. Seine Heimat musste er verlassen, weil er wegen seines christlichen Glaubens in Gefahr war. Er wurde beschimpft, manchmal verprügelt. "Sie hätten mich noch totgeschlagen, fürchteten meine Eltern", sagt er.
Die Wirtschaft glaubt: Menschen wie Nady seien kein Problem. Womöglich sind sie vielmehr die Lösung.
Im vergangenen Jahr kamen 173.000 Flüchtlinge nach Deutschland, rund 70.000 mehr als im Jahr davor. Im gleichen Zeitraum blieben allein im Handel und in der Industrie rund 80.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, schätzt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Die Wirtschaft, klagen die Verbände, wachse wegen des Fachkräftemangels nicht so stark, wie sie könnte. Der Verband schlägt deshalb vor, junge Flüchtlinge zu Facharbeitern auszubilden.
Bislang scheuen viele Unternehmen noch das Risiko. Denn unter der bisherigen Regelung kann der Staat Flüchtlinge auch während der Lehre abschieben, Firmen blieben auf den mindestens fünfstelligen Ausbildungskosten sitzen. Gerade für kleine, finanzschwächere Unternehmen wäre das ein Albtraum. Deshalb fordert der DIHK, das geltende Recht zu ändern.
In dieser Woche berät der Bundestag über das Bleiberecht für Flüchtlinge - und der Wirtschaftsverband trommelt für seinen sogenannten Drei-plus-zwei-Vorschlag: ein fünfjähriges Abschiebeverbot für Flüchtlinge, die eine Ausbildung beginnen. Die Dauer setzt sich aus der dreijährigen Lehre und zwei weiteren Jahren zusammen, in denen die Flüchtlinge hier arbeiten können sollen. Damit das Know-how den Unternehmen erhalten bleibt. Arbeitsmarktexperten wie Herbert Brücker finden den Vorschlag sinnvoll. "Deutschland braucht dringend zusätzliche Arbeitskräfte", sagt der Ökonom vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
"Künftig nicht mehr genug Bewerber"Bisher gibt es nur wenige Erfahrungen mit Flüchtlingen als Auszubildenden und keinen einheitlichen Ablauf. Der DIHK schlägt nun vor: Alle Geflohenen, die wahrscheinlich in Deutschland bleiben dürfen, sollen Sprachkurse besuchen, die der Staat finanziert. Anschließend sollen die Arbeitsagenturen und die Industrie- und Handelskammern (IHK) die Flüchtlinge an Unternehmen vermitteln. Dabei könnten sie sich an dem Modell der IHK Schwaben orientieren. Sie organisiert den jungen Menschen kurze Schnupper-Praktika bei Unternehmen. Dabei hat auch der Ägypter Nady einen Ausbildungsplatz bekommen. An seinem Beispiel zeigt sich, wie Deutschland von den Flüchtlingen profitieren könnte.
Der junge Mann kam vor anderthalb Jahren in die Bundesrepublik, inzwischen spricht er fließend Deutsch. Nach seinem Schulabschluss im Sommer wird er bei Multivac als Metallfacharbeiter beginnen. Das Unternehmen aus dem Allgäu mit rund 4.500 Mitarbeitern produziert Verpackungsmaschinen.
Multivac fürchtet den Fachkräftemangel. Schon jetzt gibt es immer weniger Bewerber; innerhalb von zehn Jahren sank die Zahl der Interessenten von 500 auf 250. Dabei tut Multivac viel, um Lehrlinge anzulocken. Die Firma wirbt etwa auf rund einem Dutzend Berufsmessen, in Kinos schaltet sie Werbespots, und sie zahlt ihren Auszubildenden einen übertariflichen Lohn. Noch gebe es ausreichend viele Interessenten für die Ausbildungsplätze. Aber die Entwicklung, sagt Geschäftsführer Christian Traumann, werde sich zuspitzen. "Wir werden künftig nicht mehr genug Bewerber haben, um alle Lehrstellen zu besetzen."
Lehrstellen bleiben unbesetztDie Sorge von Geschäftsführer Traumann ist berechtigt, und das liegt schlicht an der demografischen Entwicklung in Deutschland. Immer weniger Kinder sind in den vergangenen Jahrzehnten zur Welt gekommen, was sich in der Zahl der Schulabgänger niederschlägt. So machten 2005 noch rund 960.000 Schüler einen Abschluss, 2025 werden es nur noch 730.000 sein, prognostiziert die Kultusministerkonferenz.