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Gastkommentar: Maske oder nichts

Ab morgen gilt in Bayern die FFP2-Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und in Lebensmittelläden. Auch für die, die sich die Masken nicht leisten können. Ein Gastkommentar.


Stellen Sie sich vor, Markus Söder wäre arm. Zugegeben, eine etwas bizarre Vorstellung, aber während einer globalen Pandemie scheint ja nichts mehr unmöglich.

Selbst im reichen Bayern haben etwa 25.000 Menschen seit Corona ihren Job verloren, knapp 300.000 leben aktuell von Hartz IV. Und wenn diese Menschen sich in den letzten Tagen nicht mit teuren FFP2-Masken eingedeckt haben, stehen sie ab morgen vor einem Problem: Sie dürfen nicht mehr einkaufen gehen.

In einer Sache hatten arme Menschen seit Beginn der Pandemie Glück: Viele Einschränkungen des öffentlichen Lebens konnten sie bislang getrost ignorieren. Abgeriegelte Shopping-Malls, Reiseverbote, leere Fußballstadien, geschlossene Restaurants. Weil sie sich diese Dinge auch vor der Pandemie nicht leisten konnten.

37,84 Euro sind im Hartz IV-Regelsatz monatlich für Bekleidung und Schuhe vorgesehen. Winterjacke inklusive. 1,33 Euro pro Tag für Freizeit und Unterhaltung. Auch das große Klagen man nehme der Gesellschaft alles, was Spaß macht. Für arme Menschen völlig irrelevant. Denn diesen Spaß hat es auch vorher in ihrem Leben nicht gegeben.

Aber ein Bedürfnis kann man selbst armen Menschen nicht nehmen: Sie müssen essen. In Bayern geht es also ab morgen nicht mehr ums Spaßverderben. Es geht nicht mehr um Würde. In Bayern geht es um ein Grundbedürfnis. Um Lebensmittel. Ums Überleben.

Natürlich hätte man das wissen können. Dafür muss man nicht arm sein. Man muss dafür auch nicht Markus Söder heißen. Es gibt dafür eine sehr einfache Lösung: Sie heißt reden. Es klingt verrückt, aber man könnte mit armen Menschen reden. Sie in den Bundestag, in den Landtag oder auf die Sessel der gängigen Talk-Runden einladen. Sie fragen, was ihre Probleme und Ängste sind. Man könnte sie fragen, wie sie mit dem Ausnahmezustand zurechtkommen, was sie brauchen.

Denn das ist es, was man meistens tut, wenn man von einem Thema keine Ahnung hat: Man befragt Experten. Seit Beginn der Pandemie kommt einem dieses Konzept doch wieder sehr bekannt vor, oder? Hätte man also mit armen Menschen geredet, wüsste man, dass auch ihr Alltag seit Beginn der Corona-Pandemie immer teurer wird.

Dass das Mittagessen der Kinder in der Schule oder Kita wegfällt und sie deswegen mehr einkaufen müssen. Dass der alte Computer das Homeschooling nicht mitmacht. Dass ihre Stromrechnung auch ohne Homeoffice steigt. Dass alle dafür Geld bekommen haben, nur Hartz IV-Empfänger nicht. Dass man die mickrigen Regelsätze trotz lauter Forderungen und Möglichkeiten nicht an den Sonderbedarf anpasst.Und dass sie sich von zweieinhalb vorgesehenen Euro für rezeptfreie medizinische Erzeugnisse keine FFP2-Masken kaufen können. Nicht mal eine einzige. Geschweige denn mehrere im Monat.

Aber Markus Söder ging lieber den altbekannten Weg. Beschließen. Zurücklehnen. Und zur Not, wenn Opposition, Sozialverbände und Twitter einem wieder die Postfächer zumüllen, einfach das tun, was man immer mit armen Menschen tut: Sie mit einem Wisch in der Hand in eine Schlange für Gratis-Almosen stellen.

Statt sich wirklich mit Armut auseinanderzusetzen, entbrannte zeitgleich im Internet - nach einem Tweet zur Frage, wie arme Menschen die FFP2-Masken bezahlen sollen - eine Debatte darüber, ob die Masken nun drei oder fünf Euro kosten, ob sie wirklich Einwegprodukte seien oder man sie doch zum "Auslüften" auf die Heizung legen könne. 

Und auch Markus Söder hat eine gute Ausrede, warum er gerade nun wirklich keine Zeit für tiefgründige Gespräche hat. Der bayerische Ministerpräsident hat nämlich jetzt einen Hund. Stolz zeigt er die kleine Molly drei Tage nach seinem Beschluss auf Instagram und Twitter. "Schöne Nachricht in schwerer Zeit" schreibt er unter das Foto. "Da geht einem das Herz auf".

Und während Markus Söder Bällchen wirft, tun arme Menschen gezwungenermaßen das einzige, das eigentlich wirklich zur Bekämpfung der Pandemie beiträgt: Zuhause bleiben. Und hoffentlich dabei keinen Hunger bekommen.

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