Idyllisch am Waldrand mit direktem Zugang zum See
steht ein altes Haus, das in Maik Engel dunkle Erinnerungen hervorruft.
Fünf Jahre lang hat er hier gelebt. Er war elf Jahre alt, als er in die
damalige Psychiatrie der Klinik Eberswalde in Brandenburg eingewiesen
wurde. Er galt als verhaltensauffällig. Ärzte diagnostizierten bei ihm
einen Hirnschaden. Seine Eltern waren Alkoholiker und konnten sich nicht
um ihn kümmern. So lebte er hier gemeinsam mit 60 anderen Menschen auf
engstem Raum und ohne Privatsphäre. Der Alltag war eintönig, es gab
strenge Regeln und Strafen. Behandelt und ruhig gestellt wurde er mit
Medikamenten. Zur Schule ging er nicht.
Wie Maik Engel lebten in der jungen Bundesrepublik (1950-1975) Schätzungen zufolge 116.000 und in der DDR (1949-1990) 140.000 Jugendliche und Kinder in Heimen für Menschen mit Behinderungen, in Krankenhäusern und psychiatrischen Kliniken. Welches Schicksal ihnen zuteil wurde, arbeitet eine Forschungsgruppe nun auf.
Zwang, Gewalt und Demütigungen
Das Forscherteam hat nun erste Ergebnisse
veröffentlicht. Zeitzeugen berichteten demnach in Interviews "in
bedrückender Form von Missachtung, Zwang, Gewalt und Demütigungen".
Akten belegen diese Schilderungen. Es gab physische, psychische und
sexualisierte Gewalt, den Menschen wurden ihre Freiheitsrechte entzogen
und sie waren medizinischer Gewalt ausgeliefert. Laut der
Forschungsgruppe scheint es sogar Arzneimittelstudien mit Kindern
gegeben zu haben.
Vor allem drei Umstände prägten ihr Schicksal: Die Art der Unterbringung war häufig schlecht und es mangelte an Raum, ebenso wie an qualifiziertem Personal, das die Menschen hätte versorgen und betreuen können. Außerdem wurden die Patienten als "unbildbar" wahrgenommen und häufig abwertend behandelt.
Stiftung erkennt Leid und Unrecht an
Die wissenschaftliche Aufarbeitung geht einher mit dem Ziel der Stiftung "Anerkennung und Hilfe", öffentlich anzuerkennen, welches Leid und Unrecht Menschen mit Behinderung damals erfahren haben. Dies geschieht durch eine finanzielle Unterstützung, die nach einem Beratungsgespräch ausgezahlt werden kann. Es ist für viele das erste Mal, dass sie von ihren Erfahrungen berichten. Die Aufarbeitung ist noch nicht abgeschlossen und auch die Möglichkeit der Beratung ist weiterhin möglich. Die Meldefrist endet mit Ablauf des Jahres 2020. Eingerichtet wurde die Stiftung von der Bundesregierung, den Ländern und Kirchen.
Ein neues, selbstbestimmtes Leben
Das Haus, in dem Maik Engel lebte, lag abschottet.
Kaum jemand wusste, dass dort Menschen lebten. Sie wurden regelrecht
verwahrt, nahmen am gesellschaftlichen Leben nicht teil.
Heute lebt der 45-jährige Maik Engel in einer betreuten Wohngemeinschaft und arbeitet in der Küche eines Restaurants. Seine Freizeit kann er gestalten, wie er möchte. Alleine einen Spaziergang zu machen oder mit dem Fahrrad Einkäufe zu erledigen - Selbstverständlichkeiten, die für ihn Freiheit bedeuten.
https://www.zdf.de/nachrichten/heute/mima-menschen-behinderung-in-heimen-und-psychiatrien-in-der-fruehen-brd-und-ddr-100.html Original