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Der asymmetrische Professor

Foto: Jens Jeske/Imago

Herfried Münkler erzürnt manche seiner Studenten so sehr, dass sie einen „Watchblog" gestartet haben. Seine Vorlesung habe sexistische und rassistische Tendenzen


Er muss sich beobachtet fühlen. Wie jeden Dienstagmorgen stützt der Politikprofessor Herfried Münkler seine Arme auf das Rednerpult des großen Hörsaals in der Berliner Humboldt-Universität, vor ihm warten rund 150 Studenten auf seine Vorlesung Politische Theorie und Ideengeschichte. Doch anders als sonst haben sich heute Journalisten daruntergemischt, die jetzt mit Notizblöcken zwischen den engen Bänken hantieren. Sie wollen überprüfen, ob es stimmt, was einige Studenten anonym im Internet behaupten: Münklers Vorlesung habe militaristische, sexistische und rassistische Tendenzen.

Die Vorwürfe treffen einen der prominentesten Wissenschaftler Deutschlands. Seit 23 Jahren lehrt Münkler - Vollbart, runde Brille, 64 Jahre alt - am Lehrstuhl für Theorie der Politik. Medien betiteln ihn mal als „Ein-Mann-Thinktank", mal als „öffentlichen Intellektuellen". Er berät hochrangige Politiker, ist rhetorisch gewandt, gefragter Gast in Talkshows.

Ein "Extremist der Mitte"?

Doch seit kurzem stellen Studenten wöchentlich eine Art Besprechung seiner Vorlesung online - kritisch bis vernichtend und komplett anonym, zu finden auf dem Münkler-Watch-Blog. Ist das Rufmord oder berechtigte Kritik? Die Vorwürfe der Blogger: Münkler äußere sich zynisch über den Tod von Flüchtlingen und Arbeitslosen, mache sich lustig über geschlechtergerechte Sprache. Seine Literaturauswahl sei eurozentristisch und männlich-weiß dominiert. Kurz: Er sei ein „Extremist der Mitte". Damit verweisen die Kritiker auf den Soziologen Seymour Martin Lipset, der antidemokratische Bewegungen aus der Mitte der Gesellschaft als Brutstätte des Faschismus betrachtete.

Wer ist der Mann, dem sie das vorwerfen? Er steht am Rednerpult und gibt vor der Vorlesung noch eine Bemerkung zu Münkler-Watch ab: „Das, was die Studenten da machen, ist asymmetrische Kampfführung", sagt er ins Mikrofon. „Sie haben kaum eigene Ressourcen, aber sie nutzen meine Bekanntheit für ihre Sache." Er vergleicht die Situation mit dem 11. September 2001. Die Attentäter hätten auch großes Leid anrichten können, ohne dass ihnen das World Trade Center gehörte.

„Asymmetrische Kriege" - diesen Begriff hat Münkler mit seinem Buch Die neuen Kriege im Jahr 2002 selbst geprägt. Konflikte würden heutzutage zwischen Parteien mit höchst unterschiedlichen Ressourcen und Strategien ausgefochten. Vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Anti-Terror-Kriege hat diese Analyse Münkler zu einem der gefragtesten Politikberater Deutschlands gemacht.

Berater der Bundeswehr

Wenn der Führungsstab der Bundeswehr-Streitkräfte sich über Terroristen als Gegner informieren will, fragt er Münkler. Im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik bestimmt er mit, zu welchen Kriegs- und Friedensfragen Ministerienmitarbeiter, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler weitergebildet werden. Auch der Planungsstab des Auswärtigen Amts hört auf seine Einschätzungen - zu diesen gehört etwa, dass das Völkerrecht nicht mehr der Realität der heutigen Kriege entspreche.

Münkler versorgt die Mächtigen dann mit Analysen, die den Regierungskurs optimieren sollen. Allein das ist den Studierenden suspekt. Ihr extrem kritischer Blick auf seine Sprache ist wohl auch ein Versuch, ihr eigenes Unbehagen in Worte zu fassen. Denn in Wirklichkeit ist Münklers Lehrplan genauso eurozentristisch wie der Durchschnitt der deutschen Lehrpläne, seine Sprache gegenüber Minderheiten so respektvoll oder -los wie die der meisten Wissenschaftler - das zeigen seine öffentlichen Auftritte. Aber er steht mit seinem Einfluss nun mal wie kein anderer für die politische Kultur des Status quo. Kriege analysiert er pragmatisch, dem politischen Establishment gibt er Handreichungen. In den Hörsälen prallt die Welt des Bundeswehr-Beraters auf die junger Menschen, die ihre Laptops mit Parolen zur Weltverbesserung bekleben.

Die Folgen von Münkler-Watch

Auf den Blog ist Münkler gestoßen, als im Kinosaal überall Flugblätter lagen, die auf den Link verwiesen. Seine Mitarbeiter sammelten sie ein. Noch immer haften ein paar Aufkleber auf den Pulten, halb abgekratzt. Sie fragen: „Bei Chauvinismus und Militarismus wegsehen?" Als Presseanfragen zu Münkler-Watch bei ihm einprasselten, antwortete er schnell. Seine Zitate aus der Vorlesung würden teils sinnentstellend wiedergegeben, teils in „das Gegenteil des Gesagten" verkehrt, erklärt er. Es sei unerträglich, unter „diesen Umständen der permanenten Denunziationsdrohung eine Vorlesung halten zu müssen". Dafür habe er keine Zeit.

Im Hörsaal spricht er dennoch gelassen, fast freundlich. Auswendig zitiert er Carl Schmitt und Jean Bodin, zeichnet die Geschichte des europäischen Gedankens der Staatssouveränität nach. Immer wieder verfällt er in Kriegsmetaphern: Strategie, Zinnsoldaten, Kursänderung. „Aber ich soll mich ja nicht militaristisch ausdrücken", schiebt er einmal hinterher. „Vermutlich sexistisch" nennt er Bodins Stil. Münkler-Watch hat Spuren hinterlassen. Die Blogger feiern das später als Erfolg. Doch seine Anspielungen klingen ironisch.

Wirklich empörende Aussagen von ihm sind selten. Dass er empfahl, die Einwanderung von Flüchtlingen durch präventive „Stabilisierungspolitik" an den Rändern Europas zu stoppen, rief Kritik hervor - vor allem wegen der Begründung, Flüchtlinge gefährdeten die soziale Ordnung. Aber dass die EU-Außenminister vor kurzem eine Militärmission gegen Schlepper beschlossen haben, zeigt, wie nah er dran ist an den politischen Realitäten.

Die anonymen Studenten warnt er in seiner Vorlesung. „Ich habe die Strategie der asymmetrischen Kampfführung zehn Jahre lang erforscht. Ich werde keinen langen Zermürbungskrieg führen." Münkler wäre vielleicht gut beraten, sich hier mehr auf Friedens- statt auf Konfliktforschung zu konzentrieren.

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