Seit Jahren gehört Eritrea weltweit zu den Ländern, aus denen die meisten Menschen flüchten: Allein im Jahr 2018 stellten laut Uno-Flüchtlingswerk UNHCR 42.000 Eritreer Asylanträge. Das kleine Land am Horn von Afrika gilt als repressive Diktatur und wird seit seiner Unabhängigkeit 1993 in Alleinherrschaft von Präsident Isayas Afewerki regiert. Der Uno-Menschenrechtsrat wirft dem Regime regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen vor.
Vor einem Jahr schloss Eritrea ein historisches Friedensabkommen mit dem Nachbarland Äthiopien, viele hofften danach auf Reformen. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht der eritreische Priester Mussie Zerai darüber, warum sich für die Menschen in seiner Heimat trotzdem nichts verändert hat.
SPIEGEL ONLINE: Herr Mussie Zerai, die eritreische Regierung hat vergangenen Monat alle 21 katholischen Krankenhäuser im Land schließen lassen. Warum?
Mussie Zerai: Das Regime in Eritrea bezeichnet sich selbst als kommunistisch und lehnt Religionen grundsätzlich ab. Nur der Staat soll die Autorität über alle Bereiche der Gesellschaft haben. Zwar wird die katholische Kirche geduldet, aber besonders wenn sie anfängt, sich sozial zu engagieren und Freiheitsrechte einzufordern, ist das dem Regime ein Dorn im Auge.
SPIEGEL ONLINE: Was haben die Kirchen denn konkret getan?
Zerai: Die katholischen Bischöfe in Eritrea haben an Ostern einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie Gewalt und Ungerechtigkeit im Land beschreiben und Reformen einfordern. Eigentlich müssen alle Publikationen in Eritrea von der staatlichen Zensurkommission freigegeben werden. Die Bischöfe haben sich dem aber widersetzt und den Brief einfach per E-Mail und über soziale Netzwerke verbreitet. Das hat den Präsidenten sehr verärgert. Die Schließung der Krankenhäuser war die Rache dafür.
SPIEGEL ONLINE: Nur etwa fünf Prozent der Menschen in Eritrea sind katholisch. Wieso hat die Regierung Angst vor der Kirche?
Zerai: Die katholische Kirche ist weltweit vernetzt und hat Beziehungen, die bis nach Rom reichen. Vor diesem internationalen Einfluss hat der Diktator in Eritrea Angst. Außerdem fürchtet er, zu wenig Kontrolle über die Kirche zu haben, weil sie viele soziale Einrichtungen im Land betreibt: Krankenhäuser und Schulen zum Beispiel. Deshalb sind Christen immer wieder Repressionen ausgesetzt. Leute werden verhaftet, nur weil sie öffentlich beten oder zum Gottesdienst gehen. Das Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Eritrea, Abune Antonios, steht seit 14 Jahren unter Hausarrest.
SPIEGEL ONLINE: Vor einem Jahr haben Eritrea und Äthiopien nach Jahrzehnten des Kriegszustandes einen Friedensvertrag abgeschlossen. Viele haben gehofft, dass sich die Menschenrechtslage in Eritrea dadurch verbessert. Ist nichts passiert?
Zerai: Leider nein. Für die Menschen in Eritrea hat sich nichts geändert. Es gibt weiterhin den Militärdienst, der Menschen auf Lebenszeit zwingt, für den Staat zu arbeiten - ohne richtig dafür bezahlt zu werden. Politische Gefangene und inhaftierte Journalisten wurden nicht freigelassen. Unsere Verfassung ist immer noch nicht in Kraft getreten. Außerdem steigt die Armut im Land, weil das Regime jede Form der Privatwirtschaft unterbindet. Deshalb fliehen immer noch so viele Eritreer, gerade in der jungen Bevölkerung. Die Menschen sind sehr wütend.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem gibt es keine Demonstrationen im Land?
Zerai: Öffentliche Versammlungen sind in Eritrea verboten. Sobald mehrere Leute auf der Straße zusammenstehen, kommt die Polizei. Außerdem herrscht ein großes Misstrauen zwischen den Leuten, weil der staatliche Geheimdienst überall präsent ist. In den vergangenen 20 Jahren sind mehr als 10.000 Menschen verschwunden. Die Leute haben Angst, niemand vertraut dem anderen. Das macht es sehr schwierig, Proteste zu organisieren.
SPIEGEL ONLINE: Fürchten Sie, dass das Regime in Zukunft weiter gegen die Kirche vorgeht?
Zerai: Ja, wir haben Angst, dass der Staat als Nächstes die katholischen Bildungseinrichtungen schließt. Es gibt etwa 50 Schulen und mehr als 100 Kindergärten in Eritrea, die von der Kirche geführt werden. Gerade in ländlichen Gegenden sind das oft die einzigen Bildungseinrichtungen, die es gibt. Wenn die wegfallen, dann können viele Kinder im Land nicht mehr zur Schule gehen.