Stella Sommer ist mit düsterem Alt und cleverer Lyrik zurzeit die gefragteste Singer-Songwriterin der deutschen Indie-Szene. Wir haben sie im Wedding getroffen. Ein Porträt.
Gloria Endresde Oliviera
„All of it will fade away / like a single thunder in November", singt Stella Sommer auf ihrem neuen Album „Silence Wore a Silver Coat". Auf dem Weg zum Gespräch mit der Künstlerin an einem eisig-grauen Novembertag donnert es zwar nicht, mit etwas Mühe kann man aber immerhin die ersten Schneeflocken des Berliner Winters erkennen. Wir treffen die Künstlerin im Café Dujardin in der Uferstraße im Wedding. Stella Sommer ist ausschließlich in Schwarz gekleidet, bestellt einen Cappuccino. Der Platz am Fenster eignet sich exzellent zum Dogspotting, eines der Lieblingshobbies der Künstlerin. Ab und an unterbricht sie ihre Antworten, um auf die vorbeilaufenden Hunde aufmerksam zu machen. „Da war gerade ein Dackel mit rotem Mantel", ruft Stella Sommer begeistert - und setzt ihre vorherige Ausführung mühelos fort.
Stella Sommer ist nicht nur begeisterte Hundefreundin. In erster Linie ist sie eine exzellente Songwriterin. Zwar war sie schon als Bandleaderin von Die Heiterkeit ein Liebling des Feuilletons, seit ihrem 2018 erschienenen Solodebüt „13 Kinds of Happiness" überschlagen sich die Lobeshymnen aber regelrecht. Sommers dunkle Altstimme wird in Plattenkritiken häufig mit großen Namen wie Nico, Marlene Dietrich oder Marianne Faithfull verglichen, dabei hat sie diese Einordnungen gar nicht nötig.
Welche Bandbreite sie hat, beweist Sommer nun spätestens auf ihrem dritten Soloalbum „Silence Wore A Silver Coat". Mal klingt sie beschwingt wie in „A Body of Strange Beauty", sphärisch wie in „A Matter of Days" oder andächtig wie in „Winter Queen (in Summer)". Im Zusammenspiel mit der oftmals akustischen Instrumentation entsteht ein wohliger Klangteppich, der sich um Sommers Stimme wie ein warmer Wollmantel schmiegt. Mühelos changieren die Künstlerin und ihre Band dabei zwischen Chanson, Indie-Pop und Chor-Arrangements. Das Album produzierte Sommer erstmals in Eigenregie. Die Songtexte schrieb sie in ihrer Wohnung im Wedding. Gesang und Instrumentation wurden hauptsächlich im Proberaum im Erdgeschoss eingesungen und aufgenommen.
Vier Jahre nach ihrem Umzug von Hamburg nach Berlin gehört Sommer nun zum Zentrum der Berliner Indieszene. Mit Drangsal hat sie eine schräge Indie-EP als Die Mausis veröffentlicht, mit Max Rieger (von Die Nerven) und mit dem kanadischen Neuköllner Sam Vance-Law hat sie für ihr 2020 erschienenes Album „Northern Dancer" zusammengearbeitet. Nach ihren frühen Jahren in Sankt Peter-Ording an der Nordsee wohnte Stella Sommer lange Zeit in Hamburg. Dort entstanden auch die ersten Platten mit Die Heiterkeit.
„Als Hamburger Indieband lebt und stirbt man in einer Schublade"Vor allem das erste Album der Indieband wurde von Kritikern zur Blaupause der Neuen Hamburger Schule erklärt, auch wenn dies nicht unbedingt zum Sound passte. „Ich finde es nicht ganz so schlimm, zur Berliner Szene dazuzugehören", sagt Stella Sommer, „weil hier alle unterschiedliche Musik machen. In Hamburg fand ich das immer schwierig, weil man sofort in einer Schublade gelandet ist, wo alles gleich klang, alles gleich rezipiert wurde. Als Hamburger Indieband lebt und stirbt man in einer Schublade." Aus der von ihr beschriebenen Schublade hat es sie es längst rausgeschafft. Das liegt natürlich nicht an ihrem Umzug nach Berlin, sondern an ihrem versierten Songwriting. Neben ihrer Arbeit als Solo- und Bandkünstlerin komponierte sie übrigens auch Soundtracks zu Theaterstücken.
Mittlerweile hat sich der Sommer-Sound auch außerhalb Deutschlands herumgesprochen. In diesem Frühjahr spielte sie mit Band Konzerte beim SXSW Festival in Austin und in Houston. Das Highlight der Staaten-Reise waren aber nicht etwa die Shows, sondern der Besuch von Graceland, mit dem sich die Künstlerin einen lang gehegten Traum erfüllte. Sommer flog ohne Band nach Memphis, um der Ruhestätte ihres großen Idols Elvis Presley einen Besuch abzustatten. „Ich saß da am Grab und hab gesehen, dass alle Leute, die vorbeikamen, geweint haben. Nach all den Jahren, die er jetzt schon tot ist! Das fand ich krass. Am Ende hatte ich auch ein paar Tränen in den Augen." Ohnehin kommt man um das Thema Elvis nicht herum, wenn man mit Sommer spricht. „Irgendwann werde ich eine EP nur mit Elvis-Liedern machen", verrät sie. Oha.
Beim Schreiben ihrer Songs lässt sich Sommer nicht nur von Elvis-Livevideos inspirieren. Für „Silence Wore A Silver Coat" verkroch sie sich zwei Monate lang mit einem ganzen Stapel an Gedichtbänden in ihrer Wohnung. „Ich schreibe mir beim Lesen ganz viel auf. Damit ich es aufschreibe, muss es bei mir etwas bewirken. ‚Silence Wore A Silver Coat' habe ich aus einem Buch, aber es war nicht Silence, sondern ein anderes Gefühl, das einen dunklen Mantel anhatte", sagt Sommer über das Songschreiben, das sie auch mal als „Songfinding" bezeichnet hat.
„Wenn man Songs schreibt, braucht man Begeisterung für etwas, das man nicht in Worte fassen kann. Das macht große Songs aus, sonst wäre es Fahrstuhlmusik. Du musst in der Lage sein, etwas in ihnen zu sehen, was größer als das Leben ist." In ihren Texten singt Sommer von Einsamkeit, Traurigkeit, Stille und Leere, aber oft mit einem Augenzwinkern. „In my darkness / there's a toothbrush for you", singt sie im Lied „In My Darkness". Eine Zahnbürste in der mentalen Düsternis also, für das lyrische Du. Anders als viele andere Acts schafft es Sommer so, ihre Texte nicht mit Plattitüden zu ruinieren. Stattdessen serviert sie uns clevere Lyrik.
Wahrscheinlich erklärt dieser Ansatz ihren Erfolg als Songwriterin. Während andere eingängige TikTok- oder Spotify-Hits schreiben, wehrt sich Sommer gegen den Zeitgeist. Die 24 Songs auf „Silence Wore a Silver Coat" erinnern an eine Zeit, in der Songwriting noch als komplexes Handwerk verstanden wurde. „Ich glaube, die Wertigkeit von Musik ist verloren gegangen. Die Leute machen sich gar keine Gedanken darüber, wo Musik herkommt", sagt Sommer. Da sie Streaming und dessen Verwertungsmodelle kritisch sieht, hat sich die Songwriterin dazu entschieden, lediglich die Singles des Albums auf Spotify hochzuladen. Wer das komplette Album hören möchte, muss sich die Platte kaufen.
Nach Ende des Gesprächs bleibt Stella Sommer noch etwas auf dem Barhocker des Dujardin sitzen, zeigt auf Instagram ihren Lieblingsaccount. Es ist der Hund ihres Onkels, der Skateboard fahren kann. Sommer lacht herzlich. Dann verabschiedet sie sich hinaus in den Berliner Winter, gehüllt in einen schwarzen Mantel.
Stella Sommer: „Silence Wore a Silver Coat". Buback