Der britische Journalist Dom Phillips und der brasilianische Indigenen-Experte Bruno Pereia waren im Juni 2022 im Vale do Javari unterwegs, einem indigenen Territorium im Bundesstaat Amazonas. Sie recherchierten dort für ein Buch, in dem es um Gewalt gegen Indigene und den nachhaltigen Schutz des Regenwalds gehen sollte. Beide waren erfahren und arbeiteten schon lange in der Region. Als sie am 5. Juni nicht an einem verabredeten Ort eintrafen, wuchs die Sorge, es könnte ihnen etwas zugestoßen sein. Zehn Tage später fanden Indigene die Leichen der beiden Männer, die sich für die Rechte indigener Gemeinschaften eingesetzt hatten. Drei Männer wurden festgenommen, die die Morde verübt und die Leichen versteckt haben sollen. Die Ermittlungen zu den Hintergründen dauern noch an.
Die Nachricht erschütterte die Welt und bewies, wie gefährlich journalistische Recherche und Berichterstattung in Brasilien ist. Der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro hatte während seiner Regierungszeit immer wieder gegen die Medien gehetzt und unabhängige Recherchen erschwert. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen stieg das Land von Platz 103 im Jahr 2017 auf Platz 110 im Jahr 2022 ab.
Presse systematisch diskreditiert"Seit Brasilien eine Demokratie ist, war die Lage für Journalist*innen noch nie so schlecht wie derzeit", sagt Katia Brembatti, die Vorsitzende von Abraji, einer Vereinigung für Investigativjournalismus. "Wir beobachten seit zehn Jahren, wie die Presse systematisch diskreditiert wird." Die Situation habe sich bereits vor Bolsonaro verschlechtert, während seiner Amtszeit habe diese Entwicklung jedoch eine neue Dimension erreicht, meint Brembatti. Journalist*innen müssten zunehmend um Anerkennung kämpfen. Noch immer gebe es Konflikte mit Anhänger*innen des Ex-Präsidenten, die Medienschaffende verbal, aber auch physisch angreifen würden.
Während seiner Amtszeit hatten es sich Bolsonaro und seine Anhänger*innen zur Gewohnheit gemacht, Journalist*innen anzugehen, die vor dem Präsidentenpalast warteten, um Fragen zu stellen. Einige Medien hatten daraufhin ihre Berichterstatter*innen aus Sicherheitsgründen von dort abgezogen.
"Bolsonaro hat seine Anhänger geradezu gegen uns aufgestachelt", bestätigt auch Maurício Angelo, der das Internetportal Observatório da Mineração betreibt, das Recherchen zum Bergbau veröffentlicht. Die Aussage des Journalisten ist nicht übertrieben. Orchestriert von Bolsonaros Sohn Carlos Bolsonaro gab es jahrelang ein sogenanntes "Gabinete do ódio", ein Hasskabinett. Enge Vertraute des Ex-Präsidenten schürten dabei online systematisch Hass auf Medienvertreter*innen. Vor allem Journalistinnen waren betroffen, viele fühlten sich derart bedroht, dass sie ihre öffentlichen Profile in Online-Netzwerken schlossen.
Hassnachrichten und MorddrohungenKaum jemand weiß das besser als die Reporterin Patrícia Campos Mello. Sie arbeitet für die Folha de São Paulo, eine der größten Tageszeitungen Brasiliens, und erhält seit Jahren Drohungen. Als sie 2018 über die illegale Wahlkampffinanzierung Bolsonaros berichtete, bekam sie massenhaft Hassnachrichten und Morddrohungen. Zeitweise konnte sie sich nur mit einem Bodyguard bewegen. "Auf diese Folgen meiner Arbeit war ich nicht vorbereitet", sagt sie. Dabei ist Campos Mello eine erfahrene Journalistin, die bereits aus Kriegsgebieten berichtet hat. 2020 behauptete Jair Bolsonaro, die Journalistin habe Informationen nur durch sexuelle Gefälligkeiten erhalten.
Auch auf rechtlichem Weg versuchten Politiker*innen immer wieder, die Arbeit von Campos Mello und anderen einzuschränken und kritische Berichterstattung zu unterbinden, berichtet Katia Brembatti. "Das ist eine völlig irrwitzige und inakzeptable Strategie." Zwar entscheiden die Gerichte meist zugunsten der Journalist*innen, doch die Prozesse sind lang, zermürbend und teuer - viele Medienschaffende haben nicht die Ressourcen, dies durchzustehen. Gefährdete Lokaljournalist*innen
"Noch heute laufen wegen meiner Berichterstattung einige Prozesse gegen mich", erzählt die Journalistin Campos Mello. Sie hat das Glück, dass sie von einem großen Medium unterstützt wird, während Freelancer*innen und Journalist*innen kleinerer Unternehmen bei solchen Verfahren oft auf sich allein gestellt sind. Campos Mello ist hingegen in der Lage, sich zu wehren: "Ich gehe wegen der sexistischen Attacken gegen einige Personen auch rechtlich vor." Mit Erfolg: 2021 musste Eduardo Bolsonaro, auch er ein Sohn des Ex-Präsidenten, 30.000 Brasilianische Real Schadenersatz an die Journalistin zahlen, weil er Unwahrheiten über sie verbreitet hatte.
Im ländlichen Raum sei die Lage für Journalist*innen noch deutlich schwieriger, berichtet Campos Mello. Die Kolleg*innen hätten dort oft weniger Schutz durch die Öffentlichkeit, weil die Reichweite der Medien geringer sei. "Besonders schwer ist es für Lokaljournalisten kleiner Medien", sagt Maurício Angelo. "Sie arbeiten oft in konfliktreichen Regionen, und ihre Redaktionen können nicht so viel Schutz bieten wie die großer Medien."