Landwirten fehlen durch die Corona-Krise Erntehelfer. Studierenden brechen die Nebenjobs weg. Ein Portal soll beide zusammenführen. Doch Spargelstechen ist nichts für jeden.
Planen anheben, nach Spargelspitzen Ausschau halten, diese frei graben, abstechen, das Loch wieder schließen und dann von vorn - Spargelernte ist harte körperliche Arbeit. Vor ein paar Monaten hätten sich die Studierenden Luisa Moser und Daniel Ivlev diese Beschäftigung wohl kaum vorstellen können. Doch nun haben sich die beiden entschieden, die Semesterferien nicht im Corona-Zwangsurlaub zu Hause zu verbringen, sondern lieber etwas Nützliches zu tun. Seit Anfang vergangener Woche helfen sie bei der Ernte auf Udo Hertleins Spargelhof im unterfränkischen Haidt.
„Ich war eigentlich im Auslandssemester in Senegal", erzählt die 22 Jahre alte Lehramtsstudentin Moser. Wegen des Coronavirus musste sie den Auslandsaufenthalt aber abbrechen, und gemeinsam mit ihrer Schwester Gabriella überlegte sie, was sie tun könnte, anstatt bloß zu Hause zu sitzen. Seit einer guten Woche ernten die beiden nun Spargel. Für Luisa Moser ist es das erste Mal, dass sie auf dem Feld arbeitet. „Aber es gefällt mir, den ganzen Tag draußen zu sein", sagt sie. Stück für Stück arbeitet sie sich täglich durch die knapp 100 Meter langen Spargelreihen, zehn bis zwölf Kilogramm Spargel kommen jeweils zusammen. Auf die Dauer koste das ziemlich viel Kraft.
Doch Erntehelfer sind zurzeit fast überall in Deutschland gefragt. Knapp 300.000 von ihnen kommen normalerweise zwischen April und Oktober nach Deutschland, vor allem aus Polen, Rumänien, Bulgarien und anderen osteuropäischen Ländern. Sie helfen den Landwirten, Spargel und Erdbeeren von den Feldern zu holen, säen und pflanzen neues Gemüse. Doch seit einigen Wochen sind die Grenzen zu, und Saisonarbeitskräfte können oder wollen nicht mehr einreisen. Inzwischen gibt es zwar eine Sonderregelung, rund 80.000 Arbeiter sollen ins Land kommen dürfen, aber das wird die Lücke nicht schließen. Damit die Ernte nicht ausfallen muss, hat der Bundesverband der Maschinenringe die Plattform „Das Land hilft" ins Leben gerufen. Sie funktioniert wie ein schwarzes Brett und vermittelt Menschen, die bereit sind, bei der Ernte zu helfen, an Landwirte, die Hilfe benötigen. 50.000 potentielle Helfer und 900 hilfesuchende Landwirte haben sich dort in den vergangenen Wochen registriert.
Sonderregelung beim BafögMaschinenring-Sprecher Guido Krisam zufolge sind 40 Prozent der Helfer, die bisher vermittelt werden konnten, Studierende wie Moser und Ivlev. „Typischerweise sind das die, denen andere Nebenerwerbsquellen jetzt wegfallen", erklärt Krisam. Für Ivlev war das Einkommen indes nicht die Hauptmotivation. Normalerweise studiert der 20-jährige Maschinenbau in Würzburg. Ausgebremst von den Einschränkungen durch das Coronavirus, suchte er vor allem nach einem körperlichen Ausgleich, denn eigentlich trainiert er jeden Tag Wasserball. In den Nachrichten hörte er, dass Erntehelfer dringend gesucht werden, und es schien ihm eine gute Möglichkeit zu sein, sich etwas dazuzuverdienen.
Weil die Ernte gerade erst losgeht, sind die beiden Studierenden bisher bloß vormittags auf dem Feld. Trotzdem: „So was Anstrengendes habe ich selten gemacht", gesteht Ivlev. „Ab dem zweiten Tag spürt man das auch echt im Rücken", fügt Moser hinzu. Ihre Schwester Gabriella hatte darum auch drei Tage lang ausgesetzt, ihr Rücken machte das nicht mit. Das Spargelstechen an sich sei dabei noch nicht mal das Schlimmste. Besonders anstrengend ist es laut Moser, die Abdeckplanen immer wieder vom Spargel herunter- und wieder darüberzuziehen.
Dass Studierende wie Moser und Ivlev sich in dieser Zeit einbringen, wird vom Gesetzgeber belohnt. „Keiner soll sich wegen Corona um sein Bafög Sorgen machen", erklärte Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Für die studentischen Erntehelfer heißt das konkret: Wer bei der Ernte hilft, profitiert während der Corona-Krise von einer Bafög-Sonderregelung. Oliver Leitner, Leiter des Amts für Ausbildungsförderung beim Studentenwerk München, erklärt, was das bedeutet. Studierenden, die mit ihren Arbeiten zur Pandemiebekämpfung beitragen, wird das Einkommen für den Bewilligungszeitraum anders angerechnet. Für Einkommen ab März werde dann nicht wie üblich ein jährlicher Durchschnittswert errechnet, sondern sie werden nur in ebendiesen Monaten angerechnet. „Es gibt aber keinen zusätzlichen Freibetrag", betont Leitner. Würde ein Student ohne die Ausnahmeregelung mehr erhalten, wird sie nicht angewendet. Zur Pandemiebekämpfung zählen Arbeiten im medizinischen Bereich, aber auch die Tätigkeit als Erntehelfer. Einem Kabinettsbeschluss von dieser Woche zufolge soll auch der Einsatz in der Lebensmittelbranche zu den anrechenbaren Arbeiten gehören.
Auch fürs Studium kann es hilfreich sein, auf den Feldern zu arbeiten. In bestimmten Fällen bringen Erntehelfertätigkeiten sogar Punkte: So können sich Studierende der Agrarwissenschaften an der Universität Göttingen eine Tätigkeit als Erntehelfer etwa als Praktikum anrechnen lassen.
Landwirt Udo Hertlein, der den Spargelhof in Unterfranken betreibt, freut sich über die Hilfsangebote von Studierenden. Vollkommen ersetzen könnten sie die fehlenden Arbeitskräfte aber nicht. Ein Problem ist, dass die Studierenden nur eine kurze Zeit für den Einsatz auf dem Feld verfügbar sind. Ivlev will am 20. April aufhören zu arbeiten, wenn die Uni zumindest digital wieder startet. Moser kann sich zwar vorstellen, auch dann noch weiterzuarbeiten, weiß allerdings noch nicht, wie sich das mit der Uni vereinbaren lässt. Bauer Hertlein ist dann mitten in der Spargelsaison und benötigt noch dringender Unterstützung. „Ich brauche Helfer eigentlich länger als ein paar Wochen", sagt er. Sonst lohne sich schon der Aufwand kaum. Zum einen müsse er jedem erst mal zeigen, wie die Arbeit funktioniere, zum anderen komme auch einiges an Bürokratie hinzu. Ein weiteres Hindernis ist, dass die ungelernten Kräfte schlicht nicht so schnell arbeiten können, wie geübte Erntehelfer arbeiten. Maschinenring-Sprecher Krisam zufolge schaffen ungelernte Helfer gerade mal ein Fünftel von dem, was jemand mit jahrelanger Arbeitserfahrung auf dem Feld leistet. Studentin Luisa Moser kann das bestätigen „Die wenigen Rumänen, die da sind, schaffen in der Zeit, in der wir ein Feld machen, drei", erzählt sie.
Mehr Verständnis für LandwirteKrisam kann darum verstehen, dass manche Landwirte am Anfang eher skeptisch waren, Studierende auf ihre Felder zu schicken. „Natürlich haben die Landwirte mit der Geschwindigkeit der osteuropäischen Trupps kalkuliert", erklärt er. Das sei Teil der betriebswirtschaftlichen Rechnung. Krisam ist aber sicher, dass in dieser besonderen Situation auch Bedarf an unerfahrenen Helfern und Helferinnen besteht. Schon allein, weil es gar nicht viele andere Möglichkeiten gibt. Durch die jetzigen Auflagen, etwa ein medizinischer Gesundheitscheck direkt am Flughafen, steigen die Kosten, die Landwirte mit den Erntehelfern haben, die noch nach Deutschland einreisen werden. „Die haben auch Angst zu reisen wegen der Krise", erklärt Bauer Hertlein. Er hat wenig Hoffnung, dass in diesem Jahr noch viele Erntehelfer aus Osteuropa zu ihm kommen werden, auch wenn das theoretisch wieder möglich wäre.
Landwirtschaftliche Arbeit genießt in Deutschland nicht den besten Ruf, auch weil sie angeblich schlecht bezahlt ist. Moser und Ivlev bekommen für ihre Arbeit bei Bauer Hertlein den Mindestlohn von 9,35 Euro in der Stunde. „Es hätte natürlich mehr sein können", meint Ivlev. Für Krisam ist es eher ein Klischee, dass Erntehelfer nur ganz wenig verdienen. Viele Landwirte zahlten durchaus auch mehr, gerade im Hopfenanbau sei ein Stundenlohn von 12,50 Euro nicht unüblich. „Viele Studierende sind dann überrascht, dass sie plötzlich mehr verdienen als in ihrem früheren Job." Neben ihrem Einsatz für die Landwirte hat die Arbeit auf dem Feld für die Studierenden in Krisams Augen noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Die Leute stellten fest, wie viel Arbeit hinter den Produkten im Supermarkt stecke. „Wir finden es großartig, dass sich so viele engagieren wollen", erklärt Krisam. Dies könne helfen, den Dialog zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft zu verbessern. Moser und Ivlev sind bisher zufrieden mit ihrer Arbeit. Allerdings ist Moser froh, den Job erst mal nur für eine begrenzte Zeit zu machen. „Ich kann das auch nicht allen empfehlen", meint Ivlev. „Für Menschen, die körperlich nicht belastbar sind, ist das wirklich nicht das Richtige."