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Schule: Wenn Erlebtes am Lernen hindert

Um Kinder schnellstmöglich zu integrieren sei es wichtig, den Kindern viel Aufmerksamkeit zu schenken, aber auch nicht zu viel – "ein geregelter Alltag ist wichtig", sagt Psychologe Klaus Ottomeyer.

Viele der Kinder müssen traumatische Erfahrungen verarbeiten, Orientierungslosigkeit und Angst erschweren die Konzentration im Unterricht

Bis zu 5800 Flüchtlingskinder werden bis Jahresende in den österreichischen Pflichtschulen erwartet. Dort sind die Pädagogen nicht nur mit sprachlichen Herausforderungen konfrontiert: Viele der Kinder müssen traumatische Erfahrungen verarbeiten, Orientierungslosigkeit und Angst erschweren die Konzentration im Unterricht.

Schnell Deutsch lernen

Mit dem diesjährigen Schulbeginn betreten nicht nur Taferlklassler Neuland. Allein in Wien werden seit vergangener Woche 350 Flüchtlingskinder neu in Pflichtschulen unterrichtet. Doch das stellt nicht nur die Neuankömmlinge, sondern auch Lehrer vor besondere Herausforderungen. Seitens des Wiener Stadtschulrats wird betont, dass die Zahl der Flüchtlingskinder "kein Problem darstelle", sie würden durch "Neu-in-Wien-Kurse" oder sonstige Sprachförderkurse auf den Unterricht vorbereitet werden.

"Die meisten Kinder müssen beim Deutschlernen bei null beginnen", sagt Yana Grossegger. Die Pädagogin ist Sprachförderlehrerin an einer Neuen Mittelschule (NMS) in Wien und betreut Kinder zwischen elf und 15 Jahren in Kleingruppen. Heuer sind wieder einige syrische Kinder unter ihnen, drei davon unterrichtet sie zum ersten Mal. "Sie sprechen und schreiben nur Arabisch. Sie müssen sich komplett umstellen." Bis zu elf Stunden pro Woche verbringen die Schüler in Grosseggers Deutschkursen. Aufgabe der Pädagogin ist es, abseits des Regelunterrichts mit den Kindern zu üben - "damit sie dem normalen Unterricht folgen können".

Zurückhaltend und empfindlich

Doch die Einbindung in die Klasse ist mit weiteren Anforderungen verknüpft. Kinder aus Krisenländern seien zunächst oft besonders empfindlich, zurückhaltend und schüchtern, beobachtet Sprachpädagogin Grossegger.

"Ich gehe davon aus, dass derzeit kein Flüchtlingskind nach Mitteleuropa kommt, ohne massiv Belastendes erlebt zu haben", sagt auch David Zimmermann. Er ist Wissenschafter an der Universität Hannover und hat ausgiebig zum Thema Migration und Trauma geforscht. Die Eindrücke der vergangenen Wochen und Monate könnten Flüchtlinge beim Grenzübergang nicht einfach abschütteln. Das Gesehene hole sie immer wieder ein. Im Traum ebenso wie im Alltag.

Auch Traumaforscher Klaus Ottomeyer weiß, dass die Flüchtlingskinder viel durchmachen: "Sie sind mit ihren Gedanken oft nicht im Klassenzimmer. Die einen flüchten in eine Trostwelt, andere sind mit den alten Erlebnissen beschäftigt." Das habe natürlich Auswirkungen auf die Schulleistungen und ihre Konzentration.

Die Folgen der Flucht

Solche Verhaltensmuster kennt auch Grossegger von den Schülern in ihren Kursen. Unter den drei neuen syrischen Kindern, die ihren Deutschunterricht besuchen, gebe es einen Buben, der sich im Unterricht kaum konzentrieren können und sich den Stoff schlecht merke. Er wird deshalb von einer Schulpsychagogin, die sich speziell Kindern mit sozialen und emotionalen Problemen annimmt, betreut. Deren Vermutung: Hinter seinen Schwierigkeiten steckt eine Traumaerfahrung, die Flucht, die belastet.

Die Erlebnisse der Kinder äußern sich nicht ausschließlich in Konzentrationsstörungen, sagt Zimmermann. "Manche sind auch aggressiv, andere ziehen sich zurück oder haben scheinbar aus dem Nichts Angstattacken." Er rät Lehrern mit einem Flüchtlingskind in der Klasse, den anderen Schülern zu erklären, dass es gute Gründe für das Verhalten gebe und dass sie versuchen sollten, Verständnis zu zeigen. Pädagogen wiederum sollten das Kind nicht ständig zurechtweisen.

In Wien unterstützen derzeit 450 Psychagogen, Psychologen und Sozialarbeiter Kinder und Lehrer.

Viel, aber nicht zu viel, Zuwendung

Was braucht es, um die Kinder schnellstmöglich einzubinden? Grossegger glaubt fest an die Kraft der Sprache: "Sie gibt den Schülern Orientierung, sich in diesem für sie fremden Land zurechtzufinden." Die Sprache zu lernen sei zwar wichtig, "aber nicht überlebenswichtig", meint hingegen Zimmermann. "Überlebenswichtig ist für diese Kinder, auf Pädagogen zu treffen, die sich ihnen zuwenden und ihre Belastungserfahrungen aushalten können."

Psychologe Ottomeyer plädiert dennoch dafür, den Flüchtlingskindern möglichst schnell einen geregelten Alltag zu schaffen: "Man soll ihnen auch nicht zu viel Sonderbehandlung zukommen lassen, sonst werden die inländischen Kinder eifersüchtig, und es entsteht Neid." (Lisa Breit, Sophie-Kristin Hausberger, 19.9.2015)

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