Dass es Junge aus sogenannten bildungsferneren Schichten in Österreich seltener an die Hochschule schaffen, ist bekannt. Aber auch dort tun sie sich schwerer, weiß Erna Nairz-Wirth, Professorin in der Abteilung für Bildungswissenschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie befragte für ihre Analyse mehrere Dutzend Studierende, deren Eltern keine Matura haben.
Wie die Wissenschafterin zeigen konnte, unterscheiden sich diese "nichttraditionellen" Studenten und Studentinnen, wie sie sie nennt, von Akademikerkindern bereits in der Studienwahl: "Nichttraditionelle entscheiden sich eher für angewandte Studienrichtungen, beispielsweise Elektrotechnik oder Pädagogik. Akademikerkinder eher für solche, die gesellschaftlich mit einem hohen symbolischen Kapital versehen sind, beispielsweise Mathematik oder Medizin", sagt Nairz-Wirth. Beachtenswert: Studierende aus bildungsferneren Schichten brechen auch eher ihr Studium ab. Die Ursache: Sie verfügen nicht über den entsprechenden "Habitus" - ein Set an Verhaltensweisen, das in der Familie geprägt und in der Schule weiterentwickelt wird.
Nicht wie Fische im WasserSo berichtete ein Interviewter, dass für ihn die Vorstellung, an der Universität zu studieren, stets "abstrakt" gewesen sei. Ein anderer meinte zu glauben, andere seien begabter für das Fach als er, hätten eher dem Typus Mathematiker entsprochen. "An den Beispielen erkennt man, dass diese Probanden sich im Feld fremd fühlen", sagt Nairz-Wirth, "das heißt nicht 'wie ein Fisch im Wasser'". Ihr Lebenslauf habe ihnen unzureichend Übungsmöglichkeiten für die Universität gegeben.
Und nicht nur sie sind häufig unzureichend auf das System vorbereitet, sondern das System auch nicht auf sie: Lehrende bevorzugen offenbar ein Verhalten, das nichttraditionelle Studierende seltener mitbringen, "nämlich akademisches Selbstbewusstsein und einen hochschuladäquaten Sprachstil", sagt Nairz-Wirth. "Die Interviewten berichten, dass sie sich etwa nicht getraut haben, auf Vortragende zuzugehen und Fragen zu stellen." Kinder von Akademikern würden dieses Recht eher einfordern; überhaupt erleichtere ihnen ihr Habitus den Zugang zu Professorinnen und Professoren.
Bildungsferneren Schichten würden außerdem weniger ökonomische und soziale Ressourcen zur Verfügung stehen, um Krisen zu bewältigen. "Ein Beispiel ist Schwangerschaft. Hier haben es nichttraditionelle Studentinnen üblicherweise schwerer." Freunde und Eltern, die Betroffene etwa ermutigen, wieder in den Heimatort zurückzukehren, könnten ebenfalls für einen Studienabbruch mitverantwortlich sein. Auch überbordende Bürokratie wird für Studierende aus bildungsferneren Schichten offenbar eher zur Hürde. Ein zusätzlicher Faktor für die höhere Drop-out-Quote unter diesen Studierenden: Sie arbeiten häufiger nebenbei, viele haben Betreuungspflichten.
Was hilft gegen Ungleichheit?Abhilfe schaffen könne ein Ausbau flexibler Curricula und Prüfungsordnungen, sagt Nairz-Wirth. Zudem müssten nichttraditionelle Studierende stärker unterstützt werden, vor allem im ersten Jahr nach Studienbeginn. "Damit sie nicht das Gefühl haben, sie wären ein Fremdkörper." International geprüfte Maßnahmen seien Lerntechnikseminare, Mentoring- und Tutoringprogramme. "Jedem und jeder Studierenden könnte ein erfahrenerer zur Seite gestellt werden." Lehrende gelte es für die Bedürfnisse nichttraditioneller Studierender zu sensibilisieren.
Schließlich, sagt Nairz-Wirth, sollten Universitäten auch stärker versuchen, Menschen aus bildungsfernen Schichten anzusprechen. "Zum Beispiel indem sie mit Schulen und Kindergärten kooperieren, Tage der offenen Tür abhalten oder die Bibliothek für die Bevölkerung im Umfeld zugänglich machen. So kommen Menschen mit der Universität in Berührung, und die Distanz wird kleiner." (Lisa Breit, 26.5.2016)