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Unterwegs im Märchenland

Es war einmal, vor langer Zeit, da begegneten den Menschen auf dem Weg von Buxtehude nach Kassel Rattenfänger, Lügenbaronen und schlafenden Prinzessinnen. Auch heute noch tauchen Reisende dort in die Welt der Kinder- und Hausmärchen verschiedener Autoren ein. Denn die Deutsche Märchenstraße ist Heimat von Sagengestalten und Fabelwesen.

Die Geschichte der Deutschen Märchenstraße beginnt allerdings nicht vor langer Zeit, sondern in den 70er-Jahren: Damals gründete eine Arbeitsgemeinschaft diese Ferienstraße. Sie sollte mithilfe der Märchenwelt der Brüder Grimm und anderer regionaler Sagen Touristen in die teilnehmenden Städte und Landkreise locken. Ein Konzept, das seit 2007 von dem Verein „Deutsche Märchenstraße" geführt wird.

Der hat seinen Sitz dort, wo die Kinder- und Hausmärchen ihren Ursprung haben: in Kassel. Hier sammelten Jakob und Wilhelm Grimm im 19. Jahrhundert mündlich überlieferte Märchen aus den Regionen entlang der Weser. Viele der Geschichten waren über Generationen hinweg weitererzählt worden, hatten sich verändert und entwickelt.

Die wichtigste Quelle der Grimms war die Märchenerzählerin Dorothea Viehmann, die in Kassel lebte. Was die Brüder hörten, überarbeiteten sie und schrieben es auf. Die Ergebnisse veröffentlichten sie ab 1812 in den Märchenbänden, mit deren Geschichten noch heute zahlreiche Kinder aufwachsen. Wer sich auf den Weg von Norden nach Süden macht, reist zu den Ursprüngen der Grimmschen Märchenwelt.

Der Weg beginnt dort, wo einst Hase und Igel um die Wette liefen: In Buxtehude soll der edle Hase vom bäuerlichen Igel so oft beim Rennen ausgetrickst worden sein, dass er am Ende tot zusammenbrach. „De Has' un de Swinegel", hieß die Erzählung von Wilhelm Schröder in ihrer plattdeutschen Originalfassung.

Eine Gruppe ungewöhnlicher Tiere hat sich auch in Bremen zum Wahrzeichen entwickelt. Die Ursprünge der Bremer Stadtmusikanten, die mit ihrer ungewöhnlichen Gesangseinlage eine Horde Räuber in die Flucht schlugen, reichen wesentlich weiter zurück als bis in die Zeit der Brüder Grimm: Eine lateinische Version des Märchens stammt schon aus dem 12. Jahrhundert.

Eine düstere Note

So mutig und keck wie dieses Tierquartett ist auch die Symbolfigur eines Städtchens südlich von Bremen; die kleine Nienburgerin. Sie zeigt, wie eng Märchen und Gesang verbunden sind: Die Heldin aus dem gleichnamigen Volkslied wurde hier in Bronze verewigt.

Auch in der nächsten bekannten Stadt der Märchenwelt steht eine Bronzefigur, deren Hintergrund eine düstere Note hat Hameln. 1284 soll ein Rattenfänger in die Stadt gekommen sein, um sie mit seinem Flötenspiel von einer Rattenplage zu befreien. Die Bewohner bezahlten ihn nicht, woraufhin er aus Rache mit seiner Musik 130 Kinder aus der Stadt lockte. Niemand sah sie je wieder.

Für so eine Rattenvertreibung gibt es in den Ratsbüchern Hamelns keinerlei Belege. Doch das Verschwinden der Kinder könnte tatsächlich auf wahren Begebenheiten beruhen. Denn im Mittelalter sollen Jugendliche die Stadt auf der Suche nach Arbeit nach Osten verlassen haben. In den brandenburgischen Regionen Prignitz und Uckermark gibt es mehrere Orte, deren Namen das Wort „Hameln" beinhaltet.

Eine der wohl bekanntesten Märchengestalten

Die Figur, die etwas weiter südlich in Bodenwerder beheimatet ist, gab es hingegen wirklich. Doch er selbst hat ziemliche Lügen erzählt: Baron Münchhausen wurde 1720 in Bodenwerder geboren. Ein großer Teil seiner Geschichten, wie der Ritt auf der Kanonenkugel, soll auf seinen Erlebnissen als Soldat an fernen Kriegsfronten basieren.

Darüber fabulierte er in seiner Heimat Bodenwerder mit großer Freude vor großem Publikum. Ein Freund veröffentlichte seine Geschichten eigenmächtig unter Münchhausens Namen. Der wurde als Lügenbaron berühmt; ein Titel, den er zeit seines Lebens verabscheute.

Unweit von Bodenwerder erwartet Reisende eine der wohl bekanntesten Märchengestalten: In Polle soll keine andere als Aschenputtel beheimatet gewesen sein. Daran erinnert ein goldener Schuh auf dem Pflaster der Stadt. Für die Begegnung mit einer weiteren Prinzessin muss allerdings erst der Reinhardswald durchquert werden.

Wenn es sie wirklich gab und sie nicht gestorben sind

Dort liegt die Sababurg; die Schlafstätte Dornröschens. Diese beiden Prinzessinnen verbindet neben der Berühmtheit durch Grimms Märchen auch der französische Ursprung. Denn die Prosamärchen von Charles Perrault aus dem 17. Jahrhundert beinhalten sowohl die Geschichte von Aschenputtel als Cendrillon als auch die von der schlafenden Schönen im Walde.

Durch die Berge ist das Ziel schon sichtbar. Kassel leuchtet hell in der Dunkelheit. Fast wie das Zentrum der Märchenwelt wirkt die nordhessische Stadt. So steht auf dem Weihnachtsmarkt die größte Märchenpyramide der Welt. Auf den verschiedenen Etagen sind sie versammelt: Hänsel und Gretel oder Schneewittchen und die sieben Zwerge drehen hier ihre Kreise. Und wenn es sie wirklich gab und sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

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