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Der richtige Moment für einen Perspektivwechsel

Wenn Richard Lutz in genau einer Woche ganz offiziell den Vorstandsvorsitz der Deutschen Bahn übernimmt, hat das einen gewissen Symbolwert. Denn Lutz, der bereits seit Ende Januar den Vorstandsvorsitz kommissarisch innehat, ist aktuell noch Finanzvorstand der Deutschen Bahn. Die Finanzen sind das überwältigende Leitthema beim großen deutschen Transportunternehmen. Denn auch wenn Rüdiger Grube kurz vor seinem Rücktritt im Januar noch euphorisch die schwarzen Zahlen in Form von 1,8 Milliarden Euro Betriebsgewinn verkünden konnte: Bei der Deutschen Bahn gibt es zahlreiche Defizite und ungelöste Probleme. Von einer Umsatzverdopplung hatte Grube mit der „Strategie DB 2020" im Jahr 2012 geträumt. Das blieb, zumindest unter seiner Führung, ein Traum. Nach dem defizitären Rechnungsjahr 2015, das der Bahn die größten Verluste seit 2003 beschert hatte, mag Grube den Konzern wieder nach vorne gebracht haben - von einem umsatzstarken Geschäft kann dabei aber immer noch nicht die Rede sein.

Denn die Baustellen, sowohl die realen als auch die sinnbildlichen, häufen sich bei der Deutschen Bahn. Das Unternehmen rechnet in den kommenden Jahren mit Ausgaben von knapp 55 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte davon übernimmt der Bund, der außerdem als Eigentümer auf knapp 350 Millionen Euro Dividende verzichtet, um den Konzern weiter zu entlasten. Auch wenn der Fernverkehr boomt und im Herbst mit dem ICE 4 eine neue Generation von Fernverkehrszügen unterwegs sein soll, hakt es sonst an allen Ecken und Enden: Die Pünktlichkeit hat sich zwar verbessert, allerdings kommt immer noch jeder fünfte Zug zu spät. Der Ausbau der Zugflotte ging unter Grubes Führung rapide nach vorne. Gleichzeitig müssen die Infrastruktur und die Streckennetze weiter ausgebaut werden, was Millionenkosten verursacht - und dadurch kommt es wieder zu Verspätungen. Die letzten Versuche, durch den Verkauf von Anteilen unterschiedlichen Tochterunternehmen wieder Geld in die Kassen zu spülen, scheiterten 2016 am Brexit.

All diese Probleme hat Grube, trotz seiner ansehnlichen Bemühungen mit dem Prestigeprojekt „Zukunft Bahn", nur symptomatisch behandeln können. 20 Millionen Euro wollte die Bahn in die Initiative investieren, um vor allem die Serviceangebote zu verbessern. Aber auch in den kommenden Jahren wird die Instandhaltung von Zügen und unterschiedlichste Sanierungsmaßnahmen eine Menge Geld kosten. Allein die anstehende Umrüstung der ICE, bei denen Signalverstärker angebracht werden, um den Handyempfang auf Zugreisen zu verbessern, wird stolze 80 Millionen Euro kosten.

Außerdem steht im Schatten all dieser Prestigeprojekte der Güterverkehr, der seit Jahren zwar gleichbleibende Umsätze macht, aber keinerlei Gewinne einfährt. In Grubes Zukunftsplänen spielte der Gütertransport eine nachgeordnete Rolle. Dabei schlagen sich die Defizite in diesem Teilbereich in der Bilanz des gesamten Konzerns vernichtend nieder. Grubes wenige Ideen zu dem Thema waren reichlich undurchdacht: Er hatte eine Reduzierung der Schienenmaut vorgeschlagen. Dieses Geld hätte dann aber der Bahntochter DB-Netz gefehlt.

Dabei steckt im Güterverkehr, besonders in Bezug auf eine umweltfreundlichere und effizientere Infrastruktur, großes Potenzial. Der internationale Onlinehandel boomt, immer mehr Güter müssen über weitere Strecken transportiert werden - der richtige Moment für die Bahn, dem blassen Stiefkind mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Und der Bund kann wegen der zunehmend strikteren Klimaabkommen von einer Transportverlagerung von der Straße auf die Schienen nur profitieren.

Richard Lutz leitet als neuer Vorsitzender einen Generationswechsel bei der Deutschen Bahn ein. Nach seiner Ernennung soll der gesamte Konzern-Vorstand neu strukturiert werden, um damit auch eine bessere Fokussierung auf den Güterverkehr und die Digitalisierung gewährleisten zu können. Lutz ist seit 1994 Mitarbeiter bei der Bahn und kennt den Konzern, der gerade vor so gewaltigen Herausforderungen steht und sich auch auf der Führungsebene neu strukturieren will, wie kein anderer. Er kann also mehr sein als ein simpler Verwalter der Grube-Baustellen. Wird die Bahn für Investoren attraktiver, können davon auch die Verbraucher profitieren. Die Defizite des Zeitalters Grube können also eine Steilvorlage für die Ära Lutz sein. Er kann den Konzern wieder profitabel machen. Und die Bahn sicher in die Zukunft führen.

Die Defizite des Zeitalters Grube sind die Vorlage für die Ära Lutz.

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