Nach 100 Tagen, so ist es seit der ersten Documenta 1955 Brauch, ist der Spuk ganz plötzlich vorbei. Da wird Kassel von der Weltmetropole wieder zu einer kleinen Stadt in Nordhessen, die Kunstexperten verschwinden aus dem Zentrum und der Alltag kehrt ein. Doch dieses Mal ist es ganz anders gekommen. Die 14. Auflage der Kunstausstellung endete mit einem handfesten Skandal, sieben Millionen Euro sollen unter der Aufsicht des künstlerischen Leiters Adam Szymczyk und Geschäftsführerin Annette Kulenkampff in den Sand gesetzt worden sein. Die Stadt Kassel und das Land Hessen sprangen als Bürgen ein. Doch nicht nur finanziell ist die Documenta 14 eine Bankrott-Erklärung. Denn die Kunstausstellung wollte zu viel und hat herzlich wenig geliefert. Damit stellt sie auch ihre Bedeutung für die zeitgenössische Kunst infrage.
Ausgerechnet an Athen soll es finanziell gescheitert sein. Die Stadt, die schon im Leitthema der Ausstellung „Von Athen lernen" eine so prominente Rolle spielte. Die Stadt, in der die Kunstschau neben dem Hauptspielort Kassel zu sehen war - zum ersten Mal in ihrer 50-jährigen Geschichte, wohl bemerkt. Neues Leben wollte Szymczyk der Documenta einhauchen. Dafür ist er ein großes Wagnis eingegangen, denn selbst treue Besucher der Ausstellung standen diesen zwei Standorten mehr als skeptisch gegenüber.
Die Documenta war unnahbar - und darum zum Scheitern verurteiltAm Ende soll Athen an ganz simplen Dingen gescheitert sein: Niemand aus der Führungsebene der Kunstschau soll bedacht haben, dass dort hohe Stromkosten für Raumkühlungen oder immense Transportkosten für die Kunstwerke anfallen, heißt es in einem ersten Bericht einer Lokalzeitung. Ob das stimmt, wird wohl erst in einigen Monaten klar sein.
Dabei war die Documenta in Athen und damit auch in Kassel auch ohne diese Fehlkalkulationen zum Scheitern verurteilt. Denn Szymczyks Konzept war vor allem eins: unnahbar. Das fing bei den Ausstellungsorten an. Mehr als 40 prangten da auf der Übersichtskarte für die griechische Metropole Athen. Die wenigsten davon waren in einem Rundgang zu Fuß erreichbar, oft waren die Werke im städtischen Trubel versteckt. Wer eine Institution wie die Documenta in eine andere Stadt und gleich ein anderes Land verlegt, sollte willigen Besuchern wenigstens die Chance geben, alle Ausstellungsorte zu erreichen.
Werke blockierten sich gegenseitigDie immerhin nur 28 Ausstellungsorte in Kassel waren zwar nicht so weit verstreut wie in der Millionenstadt Athen, sie waren aber unmöglich an nur einem Besuchstag zu bewältigen. Und auch wenn einige Räume mit großartigen Konzepten aufwarteten, fielen die traditionellen Spielorte schlichtweg durch: zu voll, zu eng, zu viele unterschiedliche Werke und Themenfelder an nur eine Wand gepfercht.
Genau darin spiegelt sich das Kernproblem der Documenta 14: Sie wollte zu viel. Von der Nazi-Diktatur über die Flüchtlingskrise bis hin zur Frage nach den Wurzeln von Identität - fast alles war in irgendeiner Ecke zu finden. Wie Besucher dadurch von Athen lernen, blieb offen. Das Ergebnis war ein wildes Gemenge von Werken, die sich gegenseitig blockierten und damit dem Betrachter nicht zugänglich wurden. Da half es nicht, dass im Gesamtkonzept keine sinnvolle Ausschilderung der Räume bedacht wurde und die als Choristen bekannten Guides eher nach der Befindlichkeit der Besucher fragen sollten, als die Kunst zu erklären.
Macher müssen auf Zuschauer zugehenWas der Documenta in dieser überwältigenden Flut von Eindrücken fehlte, war die Balance. Zwischen zwei Städten, aber auch zwischen ihren Werken. Während manche Künstler die Bedeutung ihrer Kunst nahezu lächerlich offensichtlich machten, waren andere schlichtweg zu kryptisch. Natürlich darf Kunst beides. Aber wenn eine Ausstellung so deutlich versucht, die vielfältigen Probleme unserer Zeit aufzugreifen, müssen die Macher auch auf ihre Zuschauer zugehen. Sonst ist ihre Botschaft hinfällig und belanglos.
Zeitgenössische Kunst hat oft ein Problem, die breite Masse zu erreichen. Bei jenen, die nicht mit ihren abstrakten Formen vertraut sind, ruft sie nicht selten Unverständnis hervor. Gerade deshalb ist eine Weltkunstausstellung der Ort, wo zeitgenössische Werke nahbar gemacht werden können. Nur damit greifen sie auch ernsthaft in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs ein; wenn sie den Menschen zumindest die Chance geben, verstanden zu werden oder zumindest erlebt zu werden. Diese Chance gibt es - so es die Finanzen erlauben - in fünf Jahren wieder. Für 2017 ist sie verschenkt.