Bremen. Es gab Zeiten, da befand sich die Raute in der unteren rechten Ecke jedes gängigen Telefonwahlblocks und erfüllte keine besondere Funktion. So war es nahezu konsequent, dass dieses Doppelkreuz auf den gängigen Smartphone-Tastaturen in die Kategorie Sonderzeichen verbannt wurde. Doch ein soziales Netzwerk hat der Raute einen besonderen Nutzen gegeben - und dem deutschen Sprachraum einen neuen Namen für das Symbol: Vor zehn Jahren wurde bei Twitter das erste Hashtag benutzt. Seitdem hat es eine steile Karriere hingelegt. Und ein Leben ohne scheint inzwischen auf allen sozialen Netzwerken und auch im analogen Leben undenkbar.
„Was haltet ihr von der Nutzung eines # (Doppelkreuzes) für Gruppen. Zum Beispiel #barcamp [Nachricht]?" Diese Nachricht schickte der US-Amerikaner Chris Messina im August 2007 über Twitter ins Netz hinaus. Der Kurznachrichtendienst war da selber erst 15 Monate alt. Messina hoffte, dass sich mit einer solchen Markierung Diskussionen und Themenkomplexe besser sortieren ließen. Seine Idee für ein Zuordnungssymbol war nicht ganz zufällig gewählt: In einem textbasierten Internetchat-Protokoll, dem Internet Relay Chat (IRC), wurde die Raute bereits als Sortierungselement für verschiedene Kanäle benutzt.
Mit #barcamp war das erste Hashtag geboren. Nur wenige Tage später griff ein Blogger die Bezeichnung „hash tag" für eine Twittergruppierung auf. Der Begriff setzt sich aus der englischen Übersetzung für Raute, „hash", und dem Wort „tag" für Markierungen zusammen. Twitter reagierte verhalten. „Twitter hat sich zunächst gesträubt, das Hashtag einzuführen", sagt Messina. Dort habe man gedacht, es sei schlichtweg zu spezialisiert und könne so die Durchschnittsnutzer verwirren. Doch nur wenige Monate später verhalf ausgerechnet eine Naturkatastrophe Messinas Idee zu mehr Bekanntheit. Als im Herbst 2007 in Südkalifornien verheerende Waldbrände ausbrachen, sendeten zahlreiche Betroffene der Region um die Millionenstadt San Diego unter #sandiegofire über Twitter Warnungen und Hilfegesuche raus.
Was auf der Welt passiert
Schließlich übernahm Twitter 2009 das Hashtag als Verlinkungs-Werkzeug. Ein Jahr danach wurden die „Trending Topics" auf der Hauptseite des Nachrichtendienstes eingeführt, wo die meistgenutzten Hashtags und damit die meistdiskutierten Themen aufgelistet werden. Auch andere soziale Netzwerke übernahmen das Sortierungssystem. Zehn Jahre nach ihrer Erfindung werden allein bei Twitter jeden Tag 125 Millionen dieser Stichwörter veröffentlicht. „Sie lassen die Twitter-Community in Echtzeit erfahren, was auf der Welt passiert und welche Themen gerade aktuell und interessant sind", sagt Twitter. Natürlich lassen sich unter den Hashtags auch echte Fan-Favoriten erkennen: Der meistgenutzte TV-Hashtag aller Zeiten ist #TheWalkingDead, bei Kinofilmen ist es #StarWars. Bei Sportthemen ist #WorldCup am beliebtesten, während bei den Fußballmannschaften der britische Verein Manchester United mit #MUFC klar die Nase vorne hat. Die fünf wichtigsten Hashtags stammen von Tweets über Preisverleihungen, wie #MTVHottest oder #MTVStars wurden dabei mehr als drei Milliarden Mal verwendet.
So lässt sich die Geschichte der vergangenen zehn Jahre an ihren Hashtags erzählen: Was die Menschen bewegte, bekam ein Stichwort und wurde bei Twitter geteilt. In Deutschland löste das erste populäre Hashtag gleich eine politische Debatte aus: Die Journalistin Laura Himmelreich veröffentlicht 2013 einen Artikel über FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle. Sie sagte, er habe sich sexuell übergriffig verhalten. Daraufhin teilte eine junge Frau bei Twitter ihre Erfahrungen mit Sexismus. Die Feministin Anne Wizorek erfand deshalb #Aufschrei, worauf Hunderttausende Frauen von alltäglichem Rassismus berichteten. Damit begann die Sexismus-Debatte in Deutschland. Im gleichen Jahr gewann das Hashtag #Aufschrei den Grimme Online Award. Auch zehn Jahre nach dem ersten Hashtag bestimmt ein politisches Stichwort das Kurznachrichtenportal: Unter #FreeDeniz fordern täglich Nutzer die Freilassung des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel.
Allerdings dient das Hashtag auch als Symbol für Verbundenheit: Nachdem Terroristen am 7. Januar 2015 die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo" attackiert hatten, wurde #JeSuisCharlie zum Symbol für die weltweite Trauer. Bei den folgenden verheerenden Anschlägen in Paris bekundeten die Menschen mit #PrayForParis ihre Anteilnahme. Neben der Anteilnahme wird allerdings auch Hilfe geboten: Unter #porteouvert und #openhouse boten Menschen ihr Heim für Betroffene der Anschläge an. Und mit #RefugeesWelcome begrüßte Deutschland im Spätsommer 2015 die Flüchtlinge, die nach strapaziösen Reisen die Bundesrepublik erreichten. 500 000 Mal wurde der Tweet laut den Social-Media-Analysten von Talkwalker bereits genutzt.
Wie bedeutsam die Hashtags sind, haben inzwischen auch deutsche Politiker erkannt: Mit #Schulzzug und #fediwgugl buhlen SPD und CDU bei der Bundestagswahl im Netz um die junge Wählerschaft. US-Präsident Donald Trump ist dagegen ziemlich sicher mit Hashtags - bis auf kleine Ausrutscher: Noch heute rätselt die Twitterwelt darüber, was der Hashtag #covfefe bedeuten sollte.