Thomas Mann, hier auf einem Archivfoto von 1947, wandte sich aus dem Exil in Los Angeles monatlich an die Deutschen Hörer.
Denn Bilder von Gewalttaten, Anschlägen und Kriegsschauplätzen waren auch 2016 allgegenwärtig. Das Politikgefüge weltweit wurde durch den Brexit und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten verschoben. Es folgte vielerorts eine Welle des Fremdenhasses und der Angst. Deshalb werden besonders zum Weihnachtsfest die Stimmen, die sich für Frieden, Freiheit und Besonnenheit einsetzen, immer lauter. Vor 75 Jahren, als die Welt in einen der schrecklichsten Kriege der Weltgeschichte verwickelt war, wählte auch Thomas Mann den 24. Dezember, um die Deutschen in einer Sondersendung zu mahnen. „Wie ist euch zumute, Deutsche, beim Fest des Friedens, dem Fest der Lichtgeburt [...]? Seht um euch, was ihr getan habt", sagte er, als er in seiner Radioübertragung zu den deutschen Hörern sprach, die verbotenerweise auf ihren Volksempfängern dem „Feindsender" lauschten. Die Wortwahl war den Kriegsentwicklungen der letzten Jahre geschuldet; erneut „blutige Weihnachten, Jahr für Jahr", klagte Mann. Der Krieg war im Jahr 1941 mit dem Kriegseintritt der Sowjetunion und der USA endgültig zum Weltkrieg geworden.
Bereits ein Jahr zuvor war der britische Radiosender BBC mit der Bitte an Thomas Mann herangetreten, seine Überzeugungen in Radioreden zusammenzufassen. Mann zögerte keine Sekunde. Zunächst wurden die von ihm verfassten Ansprachen von einem deutschen Angestellten der BBC verlesen. Im März 1941 beschloss Mann, selbst ans Mikrofon zu treten. Kein einfacher Prozess: In Los Angeles nahm er seine Reden im Tonstudio der NBC auf Schallplatte auf. Von dort wurde sie dann an die BBC in New York gesendet, wo der Inhalt wiederum über ein Telefon für die Zentrale in London vorgespielt wurde, die davon erneut eine Aufnahme machte. Die mit den Worten „Deutsche Hörer!" beginnenden Ansprachen wurden monatlich den Zuhörern vorgespielt. So entstanden bis 1946 insgesamt 58 Reden von ungefähr fünf bis acht Minuten, in denen Mann die politische Lage in Deutschland, den Nationalsozialismus und das Kriegsgeschehen kommentierte.
Der 1938 in die USA emigrierte Mann hatte schon früh erkannt, was hinter den populistischen Parolen der Nationalsozialisten steckte. „Die Kraft der Gemeinschaft und Schicksalsverbundenheit bewährt sich; es gibt kein Einzelglück, wenn das Elend die Stunde regiert", warnte e-r schon 1930 in seinem „Appell an die Vernunft", als die Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen deutlich an Wählerstimmen gewannen.
Weihnachten 1941 lebten die Menschen in der Angst, Verwandte und Freunde im Krieg zu verlieren. Denn den Einsatz für das Deutsche Reich bezahlten zahlreiche junge Männer mit ihrem Leben, während der von den Nationalsozialisten angekündigte Endsieg kaum näher rückte. „Die Weltlage, sagen sie, bringe das mit sich - die Weltlage, die sie geschaffen haben [...]. Kein Sieg-Friede steht am Ende eures Krieges, denn Deutschlands Sieg wäre kein Friede, und die Menschheit muß und wird den Frieden verhindern, den eure Führer planen." Ein deutlicher Aufruf für mehr Selbstständigkeit und das Einstehen für Demokratie und Freiheit, wie sie auch im Jahr 2016 nach den Geschehnissen in Syrien und den Anschlägen in ganz Europa zu hören sind. Mann warnte damals ganz deutlich davor, dass Deutschland sich von der Außenwelt immer mehr abschottete. Und er warnte vor einem Deutschland, dass sich durch die Abgrenzung von anderen Religionen und Rassen definierte. Denn für ihn waren Deutschland und die deutsche Kultur nicht mit der rassistischen nationalsozialistischen Ideologie vereinbar. Das machte er schon an der Umdeutung von Begriffen wie „Revolution", „Sozialismus", „Freiheit" und „Vaterlandsliebe" fest, die er in der Propaganda „verhunzt" sah. Dieses Mittel, Begriffe für unterschiedliche Ziele zu vereinnahmen, sorgt auch in unserer Gesellschaft noch für Diskussionen und Unmut: Der Leitspruch „Wir sind das Volk!" der DDR-Friedensbewegung wird inzwischen von „Pegida" benutzt - und verkleidet damit nicht selten rechtes Gedankengut.
Trotz aller Härte von Manns Äußerungen: Für ihn standen die Opfer des Krieges im Mittelpunkt und „das zum Himmel schreiende Elend, das Völkersterben, die Menschenschändung, die Agonien des Leibes und der Seele rings um euch her, die eure Verführbarkeit, eure schreckliche Folgsamkeit verschuldet haben." Damit klagte er die Bevölkerung an, die die Regierung Hitler gewählt und damit der Diktatur und dem Krieg den Weg geebnet hatte. Aber auch ein Aufruf, nicht wegzuschauen und das Elend nicht zu ignorieren. Mann war bewusst, dass viele Deutsche inzwischen verzweifelt waren. Und dass daraus auch eine große Kraft geschöpft werden könnte. „Verzweiflung ist gut, sie ist besser als feige Prahlerei. Aus der Verzweiflung, ist sie nur tief genug, kommt die Erhebung, die neue Hoffnung, die Wiedergeburt des Lichts."
Nicht zuletzt fand Mann in dieser Rede zur Kriegsweihnacht auch warme Worte, um den Menschen Hoffnung zu schenken und für die Menschlichkeit und den Frieden zu plädieren. Was er in Zeiten des Krieges sagte, könnte heute kaum aktueller sein. „Seht, der Weihnachtsstern, nach dem die Menschheit wandert, brennt und leuchtet auch durch den dicken Blutnebel dieser Zeit. Es ist der Stern des Friedens, der Brüderlichkeit und des Rechts." Erst vier Jahre später endete der Krieg, über 60 Millionen Menschen verloren ihr Leben. Aber am Ende behielt Thomas Mann Recht.
Die Thomas-Mann-Villa Der Ort, an dem Mann seine Reden verfasste, wird höchstwahrscheinlich noch lange erhalten bleiben: Das Haus in Los Angeles, in dem Mann und seiner Familie während seines Exils lebte, wurde kürzlich von der Bundesrepublik für 1,25 Millionen Euro erworben. Die Villa am San Remo Drive mit der Hausnummer 1550 stand lange zum Verkauf. Da sie nicht unter Denkmalschutz stand, fürchteten Kulturvertreter, ein Investor könne das Haus kaufen und abreißen. Mann selbst hatte den Bau im Jahr 1941 in Auftrag gegeben, als er mit seiner Frau von der Universitätsstadt Princeton an die amerikanische Westküste übersiedelte. Dort lebten sie bis 1952, bevor sie in die Schweiz zurückkehrten. Dort starb Mann 1955 im Alter von 80 Jahren. Künftig soll das Gebäude als Ort für Künstler und Stipendiaten zur Verfügung stehen. Das soll unter der Obhut der Betreiber der Villa Aurora geschehen, einem deutschen Kulturzentrum unweit der Thomas-Mann-Villa, das einst dem Schriftsteller Lion Feuchtwanger gehörte.
„Aus der Verzweiflung, ist sie nur tief genug, kommt die Erhebung, die neue Hoffnung." Thomas Mann