Interview mit Joachim Zelter, Autor des Romans „Schule der Arbeitslosen" von 2006.
Von Lisa Adams für den Strassenfeger Berlin, Ausgabe Mai 2013
Lisa Adams: In den Jahren nach dem Erscheinen deines Romans war das gleichnamige Bühnenstück eines der am meisten gespielten zeitgenössischen Theaterstücke in Deutschland...
Lisa Adams: 2009 wurde „Schule der Arbeitslosen" von der Theatergruppe der Straßenzeitung TROTT-WAR im Kommunalen Kontakttheater Stuttgart aufgeführt...
Lisa Adams: Du hast mal gesagt, Hartz IV sei im Grunde Zwangsarbeit. Dass das „Recht auf Arbeit" ad absurdum geführt wird, wenn Menschen durch Maßnahmen zu Arbeit gezwungen werden.
Lisa Adams: Die einzige Stelle, um die sich die Langzeitarbeitslosen in „Schule der Arbeitslosen" bewerben können, ist die Stelle eines zusätzlichen Trainers. Da wird eine Verwaltung von Arbeitslosigkeit dargestellt, die vor allem im eigenen System zusätzliche Arbeit schafft. Hat sich bei solchen Verweisen auf die BA und deiner oft geäußerten Kritik nicht mal jemand aus diesem Kontext bei dir gemeldet und deine Darstellung kritisiert?
Lisa Adams: Das Hartz-Konzept gibt es jetzt seit 10 Jahren. Aber ist nicht der Arbeitsbegriff selbst immer noch problematisch?
Lisa Adams: In einem Interview hast du kritisiert, dass die „Biographische Hochstapelei", die einem durch den Anspruch an immer perfektere Lebensläufe aufgenötigt wird, zu einem Verlust von Würde und menschlicher Tragweite führt. Durch die jüngsten Plagiatsdebatten wurde unter anderem deutlich, dass anscheinend selbst Persönlichkeiten mit überdurchschnittlichen Lebensläufen und Perspektiven ihre Biographien schönen müssen, um Erfolg zu haben...
Lisa Adams: Wie ist das mit Menschen, die nicht arbeiten wollen? Solche Persönlichkeiten werden ja auch gerne medial inszeniert. Das nennt sich dann Hartz-IV-Fernsehen.
Lisa Adams: Krankschreibungen aufgrund von Stress am Arbeitsplatz und Überforderung nehmen zu, trotzdem hält sich das Modell der Vollzeitstelle. Die viel schwerer zu bekommen ist als Mini-, Midi- und Teilzeitjobs, von denen die meisten nicht leben können.
Lisa Adams: Solange man in einer Gesellschaft noch unbehelligt unbequeme Satiren schreiben kann, muss es doch Potential zur Veränderung geben. Zum Beispiel Grundeinkommen für alle. Sind wir näher an dieser Utopie dran oder drohen uns eher Maßnahmen wie „Sphericon", der Agentur in deinem Roman, bei der die Menschen letztlich entsorgt werden?
Joachim Zelter: „Ein Grundproblem unserer Gesellschaft ist, dass sie kaum angreifbar ist. Ein Roman wie „Schule der Arbeitslosen" wäre zum Beispiel in der ehemaligen DDR schlichtweg verboten worden. In der heutigen Bundesrepublik lässt man solche Veröffentlichungen ins Leere laufen. Ich denke, wir sind dem bedingungslosen Grundeinkommen leider nicht näher gekommen, aber die Wirklichkeit entwickelt sich auch nicht so grauenhaft wie in meinem Roman. Heute herrscht eher etwas Nebulöses. Wir geben uns der Illusion hin, dass doch eigentlich alles in Ordnung ist, selbst nach Massenentlassungen wie bei Opel und Schlecker. Statistisch scheinen wir heute weniger Arbeitslose zu haben, dennoch herrscht in diesem Land immer noch sehr viel Not, Unsicherheit und Verzweiflung,
Ich hatte einmal eine Lesung in einer Schule, in der die Schüler sagten, ein Mensch, der nicht arbeitet, sollte auch keine Sachertorten bekommen, also im übertragenen Sinne nicht mehr am schönen Leben teilnehmen dürfen. Es war dann die Lehrerin, die diese Menschen verteidigte und meinte, es gebe doch auch Schüler oder Erwachsene, die nicht so leistungsfähig sind. Sollte man ihnen deshalb selbst die geringsten Annehmlichkeiten verweigern? ...Vielleicht müsste man noch schärfere Satiren schreiben."
Joachim Zelter, geboren 1962 in Freiburg/Breisgau, ist deutscher Schriftsteller. 1993 promovierte er an der Universität Tübingen zum Doktor der Philosophie in Anglistik. Bis 1997 hatte er dort und an der Yale University Lehraufträge in deutscher und englischer Literatur. Seit 1997 lebt er als freier Autor in Tübingen. Der 2012 im Verlag Klöpfer & Meyer erschienene Roman „untertan" ist sein 8. Roman.
Auf der Homepage des Autors kann man sich Auszüge aus „Schule der Arbeitslosen" anhören.
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