Indigene Frauen werden in Guatemala häufig diskriminiert. Vom künftigen Staatsoberhaupt, das am Sonntag gewählt wird, erwarten sie keine Unterstützung. Sie helfen sich selbst. Von Linda Peikert
Umgeben von drei Vulkanen erstreckt sich der leuchtend blaue Lago de Atitlán, der zweitgrößte See Guatemalas. Die Bevölkerung gehört hier zum Großteil den Mayas an und hat bis vor wenigen Jahrzehnten von Fischerei gelebt. Bunte Häuserwände, unzählige Läden, in denen lokales Kunsthandwerk verkauft wird, und Girlanden über den kleinen Gassen ziehen heute Reisende aus der ganzen Welt an.
Isabela Candelaria Yotz Ramirez steht in der offenen Tür eines blau und grün gestrichenen Hauseingangs. „Ich hatte immer den Wunsch, eine eigene Kooperative zu gründen", sagt die Frau Mitte 30. Ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. „Es gibt hier keine Frau, die mehr oder weniger verdient. Wir sind alle gleichgestellt und haben alle unser eigenes Design." Sie zeigt auf die Schals vor sich. Ordentlich hängt einer neben dem anderen.
Vor wenigen Monaten hat Isabela die Textil-Frauenkooperative Arcoiris gegründet. Sie ist alleinerziehend, arbeitet, seit sie ein kleines Mädchen ist, und war bisher von Auftraggebern abhängig. Auch was die Preiskalkulation angeht. „Ich möchte mich weiterentwickeln und als Frau weiterkommen", sagt sie. „Seit zehn Jahren hatte ich diesen Traum, aber niemand hat an mich geglaubt."
Die 14 Frauen der Kooperative zahlen sich bei Verkauf eines ihrer Produkte 85 Prozent aus, zehn werden für die Ladenmiete abgezogen und fünf gespart. Abwechselnd machen sie Verkaufsschichten. Design und Schnitt der Textilprodukte entwerfen sie selbst: Ein Schritt zu mehr Selbstbestimmung der Frau in einer patriarchalen Gesellschaft. „Ich arbeite hart, damit ich meinen zwei Kindern eine bessere Zukunft bieten kann", sagt Isabela.
Jetzt, wo Tourist:innen nach Corona wieder das Land besuchen, kann Isabela als Alleinerziehende ihre Familie gerade versorgen. Sie ist stolz darauf. Insbesondere, da bereits jetzt ihre jugendlichen Kinder die Schule länger besuchen, als das für sie möglich war. Isabela freut sich außerdem, dass ihre Tochter nebenbei trotzdem das Handwerk der Frauen lernt. In der Mayakultur hat die Herstellung der traditionellen Stoffe eine besondere Bedeutung: Die Tätigkeit am Webstuhl wird mit Fruchtbarkeit in Verbindung gesetzt. Das Tragen der traditionellen Stoffe zeigt Zugehörigkeit zur indigenen Kultur. Doch das kann auch Auslöser für Diskriminierung und Gewalt sein.
Etwa 100 Kilometer entfernt liegt Antigua Guatemala, ein malerisches Städtchen im Kolonialstil. Celia (Name geändert) hat keinen eigenen Laden, ist auch nicht Teil einer Kooperative, aber sie webt wie Isabela bunte Stoffe, verarbeitet sie zu Kleidung, Tischdecken, Haargummis und anderen Produkten, die bei Tourist:innen beliebt sind. Sie sitzt auf dem Kopfsteinpflaster gegenüber der Kathedrale San José. „In der Stadt, auf Ämtern oder in Behörden ist es für uns Indigene oft schwierig. Wir werden von oben herab angeschaut, weil wir unsere traditionelle Kleidung tragen", sagt Celia. Auch von Tourist:innen höre sie ab und zu Erniedrigungen. Es sei zum Beispiel schon passiert, dass unbekannte Frauen sie ansprachen und fragten, ob sie unter ihrem Rock Unterwäsche trage.
„Es gab auch Zeiten, in denen uns die Polizei hinterhergerannt ist, als seien wir Diebe. Sie haben uns nicht erlaubt, hier zu verkaufen", erzählt Celia. Aber sie ist finanziell auf den Verkauf angewiesen. Auch sie hat wie Isabela von klein auf gearbeitet, konnte nur wenige Jahre zur Schule gehen und musste selbst in den Schulpausen arbeiten, um sich ein Pausenbrot kaufen zu können. Manchmal ließ sie sich für ein paar Münzen von Tourist:innen fotografieren, manchmal verkaufte sie verschiedene Produkte für ihre Nachbarin. Eine Berufsausbildung konnte Celia nie machen, damit ist sie keine Ausnahme: Nur eine von zehn indigenen Frauen in Guatemala arbeitet im formellen Sektor und bekommt 29 Prozent weniger Gehalt als nichtindigene Arbeitskräfte. Nur etwa 67 Prozent der indigenen Frauen können lesen und schreiben, bei einer landesweiten Alphabetisierung von 78 Prozent unter allen Frauen in Guatemala.
„Die Leute aus der Stadt denken manchmal, nur, weil sie studiert haben, seien sie etwas Besseres", sagt Celia und fährt fort: „Uns Mayas lachen sie aus, obwohl wir am meisten arbeiten. Was denken sie, wo Kartoffeln, Karotten oder Gemüse herkommen? Das haben die armen Leute vom Land angebaut, ein feiner Mann aus der Stadt würde sich doch nicht die Haut unter der heißen Sonne verbrennen." Doch Celia möchte wie Isabela eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Sie hat vier, ihr Mann ist gestorben. Ein Studium kann sie ihren Kindern nicht bieten. Aber zwei lernen bereits einen Beruf. Das ist ihr als Mutter überaus wichtig.
„Extreme Armut" in DörfernEtwa die Hälfte der Bevölkerung Guatemalas ist indigen. In den dunkelsten Kapiteln des zentralamerikanischen Staates haben sie vor allem gelitten: Nicht nur während der Kolonialisierung, auch im vergangenen Jahrhundert, während des Bürgerkriegs, waren Indigene brutaler Gewalt und Massakern ausgesetzt. Besonders schlimm war es unter dem Diktator Efraín Ríos Montt. Er führte Anfang der 1980er Jahre mit Unterstützung der USA einen blutigen Kampf gegen die von linken Guerillas unterstützte indigene Bevölkerung. Etwa 400 Dörfer wurden zerstört, zahlreiche Ixil-Mayas umgebracht, die Frauen misshandelt. 2013 wurde Montt wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Das Urteil wurde wegen eines Verfahrensfehlers zurückgezogen, vor Abschluss des darauffolgenden Prozesses starb der Ex-Diktator.
Auch heutzutage leidet vor allem die indigene Bevölkerung unter Korruption und fehlender Hilfeleistungen. „Wir versuchen gegen die extreme Armut in indigenen Dörfern vorzugehen", sagt Leonicia Pocop Saloj, Geschäftsführerin der indigenen Hilfsorganisation Coindi. „In Guatemala gibt es immer noch sehr viel soziale Ungerechtigkeit. Außerdem werden Frauen und Jugendliche von der Gesellschaft ausgeschlossen." Maya-Frauen erleben Diskriminierung als Frau in der patriarchalen Gesellschaft Guatemalas, aber auch als indigene Person im postkolonialen Staat. Coindi zeigt indigenen Frauen deshalb Wege auf, unabhängiger zu werden, bei Dorfversammlungen mitzusprechen und sich untereinander besser zu organisieren. Manchmal verteilen sie auch Rohstoffe wie Hühner, Samen für Nutzpflanzen oder Obstbaumsetzlinge untereinander, die den Frauen nachhaltig helfen, ihre Familien zu ernähren. „Vonseiten des Staates oder der aktuellen Regierung kommt sehr wenig in den Dörfern an. Wegen der Korruption im Land schafft es die Hilfe nicht bis in die Dörfer", sagt Leonicia von Coindi. In den Dörfern würden sich die Parteimitglieder nur kurz vor den Wahlen mit utopischen Versprechungen blicken lassen.
Korruption statt HoffnungAm 25. Juni ist es wieder soweit: Guatemala wählt ein neues Staatsoberhaupt. Wobei die Wahl bei der Wahl immer kleiner wird. Die bereits ausgeprägte Korruption scheint neue Dimensionen anzunehmen. Das Oberste Wahlgericht und das Verfassungsgericht haben bereits vorab eine Art Vorauswahl getroffen: Drei Kandidat:innen weniger stehen nun auf den Stimmzetteln. Carlos Pineda, Roberto Arzú und die einzige indigene Kandidatin Thelma Cabrera wurden allesamt von der Wahl ausgeschlossen. Die Begründungen der Gerichte sind windig, die Betroffenen und die kritische Öffentlichkeit sprechen von Mauschelei. Wer bisher nicht ausgeschlossen wurde, ist Zury Ríos, Tochter des ehemaligen Diktators Efraín Ríos Montt. Sie wurde von den Gerichten zur Wahl zugelassen, obwohl Angehörige von ehemaligen Gewaltherrscher:innen laut der guatemaltekischen Verfassung nicht für die Präsidentschaftswahl kandidieren dürfen. Das wird von Kritiker:innen als Indiz gelesen, Zury Ríos sei die Präsidentschaftskandidatin des korrupten Kreises aus Ex-Militärs, Politiker:innen, einflussreichen guatemaltekischen Familien und kriminellen Vereinigungen.
Die Korruption ist auf dem Vormarsch, die Hoffnung auf mehr staatliche Unterstützung für die indigene Bevölkerung schwindet. Trotzdem scheinen sich die Maya-Frauen nicht so leicht unterkriegen zu lassen: Sie kämpfen für ihre Kultur und für die Zukunft ihrer Kinder. „Ich bin stolz, eine Maya-Frau zu sein. Wir beschweren uns nicht, wir schauen nach vorne", sagt Celia aus Antigua Guatemala.