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„Der Nährboden für Hass". Rechtsextremismus in digitalen Medien.

Der Anschlag von Hanau setzt die Serie rechtsextremistischer Morde in Deutschland fort. Die Ideologie des mutmaßlichen Täters Tobias R. weist deutliche Parallelen zu an anderen Rechtsextremen auf. Das ist kein Zufall: Die rechte Szene organisiert sich, vor allem über soziale Plattformen und Internet-Foren. 

 

von Lina Paulitsch

 

 

Tobias R. richtete seine Botschaften an die ganze Welt. In Videos und Pamphleten auf seiner Website sprach er von einer „Schattenregierung“: Eine kleine Elite verfüge über den gesamten Planeten und verstecke Geheimwissen vor der Bevölkerung. „Destruktive Rassen“ und Frauen bedrohten das deutsche Volk. 

 

Tobias R. war Verschwörungstheoretiker, in vielerlei Hinsicht entspricht er dem Täterprofil des „einsamen Wolfs“. Nichts deutet darauf hin, dass er in rechtsextremistischen Organisationen oder Parteien tätig war. Tobias R. war Einzeltäter, aber kein Einzelfall. 

 

 

Der Verschwörungsmythos der Neuen Rechten 

 

Die Anschlagswelle in Deutschland ist Teil einer rechtsextremen Subkultur, die sich im Internet formiert und radikalisiert. Noch nie gab es ein derart reiches Angebot für verschiedene rechtsradikale Milieus: Auf unzähligen Online-Plattformen und in Foren wird etwa gegen Muslime, Politiker, Journalisten, Juden und Frauen gehetzt. Rechtsradikale User sehen sich gleichzeitig als entmachtete Individuen, die sich gegen eine alles kontrollierende Elite zur Wehr setzen.

 

Zentral ist dabei, dass rechtsextremistische Parteien und Organisationen bewusst mit Verschwörungstheorien operieren, die von Einzeltätern aufgegriffen werden. Dazu zählt etwa „Der große Austausch“ des Franzosen Renaud Camus. Dieser politische Kampfbegriff der Neuen Rechten beschreibt eine sinistre Macht, die im Hintergrund dafür sorgt, dass das abendländische Europa und das Christentum ausgelöscht werden. „Diese Theorie hat der Attentäter von Christchurch benutzt, um seine Tat zu rechtfertigen. Auch im Haus eines der beiden mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke hat die Polizei ein Buch mit dieser Verschwörungsideologie gefunden. Hier sieht man also einen direkten Zusammenhang zwischen den Erzählungen der Neuen Rechten und den Attentaten“, erklärt Christian Fuchs. Der ZEIT-Journalist und Autor hat sich in seinem Buch „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ der Mediennutzung des rechtsextremen Milieus gewidmet. 


 

Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den Erzählungen der Neuen Rechten und den Attentaten.
              Christian Fuchs

 

Algorithmen als Verstärker von Rechtspopulismus

 

Vergleicht man die Social Media-Followerzahl von Politikern aus verschiedenen Lagern, gewinnen offenkundig die Rechtspopulisten. Ein Sieg, der in der Funktionslogik von Populismus und Digitalisierung begründet liegt. Algorithmen reagieren auf Polarisierung: Aussagen, die besonders großen Zuspruch oder besondere Ablehnung erfahren, werden öfter angezeigt und begünstigt.

 

„Zweitens haben sich Rechtspopulisten die Sozialen Medien ganz gezielt ausgesucht, um dort den Diskurs zu verschieben. Einerseits mit Shitstorms und Beleidigungen, um Kritiker mundtot zu machen; andererseits werden die eigenen Inhalte hochgerankt. So eine strategische Nutzung – seine politische Ideologie online zu platzieren – hat keine andere politische Bewegung“, sagt Christian Fuchs. 

Vor allem in den letzten fünf Jahren habe die rechtspopulistische AFD in Deutschland einen „politischen Klimawandel“ herbeigeführt, der als Nährboden für Hass im Netz und rechten Terror fungiere. 


Es scheint, als ob Tobias R. ein psychisch kranker Täter sei, bei dem der Rechtsruck, die Verrohung der Sprache und die Normalisierung von rassistischen Ressentiments auf besonders fruchtbaren Boden gefallen sind.
               Christian Fuchs

 

Gesetzliche Maßnahmen sind schwierig

 

Von der deutschen Bundesregierung werden indes stärkere Maßnahmen gefordert, um gegen global vernetzten Hass vorzugehen. Vor wenigen Tagen wurde vom Kabinett ein Maßnahmenpaket beschlossen, das eine Meldepflicht von Facebook und Co. ans Bundeskriminalamt und eine Strafverschärfung für Hasskommentar-Poster vorsieht. Neben offenen Fragen zum Datenschutz sieht die Cyber-Journalistin Karolin Schwarz vor allem ein großes Problem: Die Online-Kommentar-Fluten könnten durch menschliche Arbeitskraft alleine nicht bewältigt werden. „Da braucht es automatisierte Lösungen. Doch die Technik ist noch nicht so weit, es kommt aktuell immer wieder zu Fehlentscheidungen.“

 

Rechte Attentäter, die sich als Teil einer transnationalen Bewegung fühlen, bestärkt von ihrer Community im Netz: Dieser Tätertypus wird nicht nur Deutschland, sondern den gesamten Globus beschäftigen. 

 

 

 

Christian Fuchs hat gemeinsam mit Paul Middelhoff das Buch „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ verfasst. Dazu sind sie jahrelang durch Deutschland und Europa gereist und haben Protagonisten der rechtsradikalen Szene getroffen. Fuchs ist Reporter bei der Wochenzeitung Die Zeit. Für seine Recherchen wurde er mehrmals als „Journalist des Jahres“ ausgezeichnet.

 

Karolin Schwarz ist freie Journalistin, Trainerin und Fact-Checkerin. Ihr Projekt „Hoaxmap.org“, das Falschmeldungen über Geflüchtete und nicht-weiße Personen zusammen trug, wurde für den Grimme Online Award nominiert. Am 17. Februar erschien ihr neues Buch "Hasskrieger: Der neue globale Rechtsextremismus".
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