Trotz Klimakrise und einer umweltengagierten Jugendbewegung - der Führerschein hat an Attraktivität nicht eingebüßt, im Gegenteil. Hiesige Fahrschulen waren auch über die Corona-Jahre voll ausgelastet und sind weiterhin gefragt, wie Branchenvertreter berichten. „Wir sind die Gewinner der Pandemie", sagt Ingo Kirsch, Inhaber der Fahrschule Kirsch mit Standorten am Gallus, im Nordend und in Sachsenhausen.
Auch andere Fahrschulen-Betreiber profitieren vom Führerschein-Boom, für den sie die Corona-Sorgen wegen voller Busse und Straßenbahnen anführen. „Der Wunsch nach Unabhängigkeit und Flexibilität ist größer als je zuvor", sagt etwa Said Musleh-Maißner, Geschäftsführer der Fahrschule Butterfly an der Hanauer Landstraße.
Vor allem aber sind es Flüchtlinge aus der ganzen Welt, zuletzt vor allem aus der Ukraine, die Autofahren lernen möchten, wie ein Vertreter der Frankfurter Fahrschule am Zoo auf Anfrage berichtet. Auf etwa 70 Prozent beziffert er den Anteil seiner Fahrschülerinnen und -schüler mit Migrationshintergrund.
Doch bis die Fahrschüler die ersehnte Fahrerlaubnis in den Händen halten dürfen, brauchen sie Geduld. Denn der TÜV Hessen, der hierzulande das Monopol auf die theoretischen und praktischen Fahrprüfungen hat, ist mit den Prüfungen überlastet. „So schlimm wie im September war es noch nie", sagt ein Fahrlehrer, der aus Angst, keine Prüftermine mehr vom TÜV zu bekommen, seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.
„Der TÜV ist chronisch unterbesetzt"Üblicherweise ist es so, dass Fahrlehrer ihre Schüler mit zwei bis drei Wochen Vorlauf zur praktischen Fahrprüfung anmelden. Weil Personal fehlt, klappen die Termine aber nur für einen Teil der Fahrschüler. „Der TÜV ist chronisch unterbesetzt", sagt Fahrschulbetreiber Kirsch, der unter normalen Umständen etwa tausend praktische Prüfungen im Jahr organisiert. Statt drei beantragter Prüfungstage in der Woche erhielt die Fahrschule während der Sommermonate nur noch einen bis maximal zwei Prüfungstage.
Mit Glück klappe von den vereinbarten Terminen die Hälfte, sagt ein anderer Fahrlehrer. Wer nicht zum Zuge kommt, muss sich dann wieder in die Wartereihe stellen. Das kostet nicht nur Nerven, sondern kann Anwärter für einen Job, für den ein Führerschein Voraussetzung ist, auch terminlich in die Bredouille bringen.
Der TÜV Hessen stellt die Situation entspannter dar. Zugesagte Prüfungstermine würden nur im „absoluten Ausnahmefall" verschoben oder abgesagt. Längere Wartezeiten hätten vielfältige Ursachen. Auch die Bearbeitungszeit der Antragstellung bei den Führerscheinstellen spiele eine Rolle, ebenso die Ausbildungszeit in der Fahrschule und letztendlich die Leistung in der Fahrprüfung. Wenn Kandidaten durchfallen - nach Angaben des Landesverbands der Hessischen Fahrlehrer waren das zuletzt 26,2 Prozent -, muss nachgeprüft werden. Auch das belastet die Terminvergabe.
Pensionäre werden wieder eingestelltUwe Herrmann, Leiter der Technischen Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr beim TÜV Hessen, nimmt in diesem Punkt auch die Fahrschulen in die Kritik. „Manche Fahrschulen takten die Ausbildung und zugehörigen Prüfungen so, dass es nahezu immer bedarfsgerecht funktioniert, andere Fahrschulen nehmen mehr Fahrschüler an, als sie ausbilden können", sagt er. Das habe Folgen: Dem TÜV werde ein Überbedarf angezeigt, der weder geplant noch abgeleistet werden könne.
Für einen Personalengpass beim TÜV führt Herrmann Corona-Erkrankungen an, aber auch altersbedingtes Ausscheiden von Fahrprüfern bei gleichzeitigem Anstieg der Prüfungsanforderungen. Mit Neueinstellungen will der TÜV gegen den Fachkräftemangel vorgehen. Auch pensionierte Fahrerlaubnisprüfer würden wieder eingestellt, um zusätzliche Prüfkapazitäten zu schaffen. Im Übrigen seien alle Prüfer zu Sonderschichten, Extra-Prüftagen und Urlaubsverzicht bereit.
Immerhin nicht überall ist die Situation so angespannt wie im Frankfurter Prüfgebiet, das sich von Wiesbaden bis Offenbach erstreckt. In allen anderen Regionen in Hessen gebe es keine Probleme, sagt der Vorsitzende des Fahrlehrerverbands Hessen Frank Dreier. Es bleibe auch unter aktuellen Umständen möglich, die gesamte Fahrausbildung in einem halben Jahr erfolgreich abzuschließen. Wichtig sei, dass man den Führerschein nicht „nur so schnell mal nebenher" mache. Man könne die heutige Verkehrssituation und die Anforderungen an die Führerscheinausbildung nicht mit der vor einigen Jahrzehnten vergleichen.
Mehr als 38.000 Prüfungen in diesem JahrEinen gewissen Mangel an Fachkräften stellt Dreier auch für die Fahrschulbranche fest, in der altersbedingt in den nächsten Jahren viele Lehrer ausstiegen. Es sei schwer, einen freien Fahrlehrer auf dem Arbeitsmarkt zu finden.
Nach Angaben des TÜV Hessen wurden in Frankfurt im ersten Halbjahr dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 3,6 Prozent weniger praktische Prüfungen absolviert, allerdings 2,3 Prozent mehr als vor der Pandemie im Jahr 2019. Schätzungsweise wird der TÜV im Niederlassungsgebiet Frankfurt in diesem Jahr 38.000 bis 39.000 praktische Prüfungen abnehmen.
Entspannen könnte sich die Situation, wenn, wie im Berliner Koalitionsvertrag vereinbart, die Monopolstellung der Prüfer aufgehoben würde. In den westlichen Bundesländern ist es so, dass nur die jeweiligen TÜV-Landesorganisationen Führerscheinprüfungen abnehmen dürfen. In den östlichen Bundesländern hat die DEKRA das Monopol. Lediglich Berlin bildet eine Ausnahme mit zwei Anbietern. „Wir sind vom TÜV abhängig, und genau das ist unser Problem", kritisiert Unternehmer Kirsch.