Leon Igel

Zürich/Mannheim/Fulda

2 subscriptions and 2 subscribers
Article

Wegen zu hoher Mieten: Studenten werden Bauherren

In Heidelberg hat in den vergangenen Monaten ein selbstgebauter Container aus Holz mitten in der Innenstadt für Aufsehen gesorgt. Wer durch eines der bodentiefen Fenster des 14 Quadratmeter großen Kastens spähte, sah ein unordentlich gemachtes Bett, einen Schreibtisch und einen Schrank aus Kiefernholz. Campieren die Studenten jetzt schon in der Innenstadt?

Verwunderlich wäre es nicht, schließlich sind die Preise für Studentenwohnungen in der Universitätsstadt seit 2010 um fast ein Viertel gestiegen, und aktuell warten 1650 Kandidaten auf einen Wohnheimplatz.

Und wirklich ist der Container ein Beitrag zur Lösung des Wohnungsproblems - auch wenn er keinen echten Schlafplatz bietet. Der Kubus ist Vorbote eines Projektes, das sich Collegium Academicum nennt. Dahinter stecken 25 Studenten, die ein Wohnheim bauen möchten, in dem die Bewohner selbstverwaltet leben.

Für Baubeginn fehlen noch 600.000 Euro

Es wird aus einem Altbau und einem neuen Holzbau bestehen, rund 225 Zimmer mit vielen Gemeinschaftsflächen haben und das alles für eine Warmmiete von 300 Euro - ein Schnäppchen für Deutschlands älteste Universitätsstadt. Rund 437 Euro kostet eine durchschnittliche Studentenwohnung mit 30 Quadratmetern hier sonst, wie eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. Das sind 6 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein günstiges Zimmer zu finden ist schwierig.

Dabei ist Heidelberg bei den Mieten noch nicht einmal Spitze, in den Ballungszentren wie Frankfurt, München oder Stuttgart ist die Lage noch angespannter. In der bayrischen Landeshauptstadt kostet eine vergleichbare Wohnung etwa 634 Euro, 51 Prozent mehr als im Jahr 2010. Am stärksten sind die Mieten für Studentenbuden in der Hauptstadt gestiegen, um 67 Prozent seit 2010. Durchschnittlich 385 Euro müssen Berliner Studenten heute zum Wohnen ausgeben. Im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland wohnen die Studenten am günstigsten, eine Vergleichswohnung kostet dort weniger als 300 Euro.

Margarete Over ist seit 2014 in Heidelberg mit dabei, die Idee vom Collegium Academicum in die Tat umzusetzen. „Wir möchten mit unserem Projekt ein Modell schaffen für gemeinschaftlichen, ökologischen und günstigen Wohnraum", sagt die Psychologie-Studentin. Bis Baubeginn fehlen den Studenten noch rund 600.000 Euro, die sie durch Direktkredite und Spenden von Stadtbewohnern bekommen möchten. Der Container, der ein zukünftiges Zimmer ihres Wohnheims zeigt, soll helfen, die Bürger für den dringend benötigten Wohnraum zu begeistern, und so zieht er seit Monaten von einem öffentlichen Platz zum nächsten in der Stadt.

Wie knapp günstiger Wohnraum für Studenten ist, weiß auch Stefan Grob, Sprecher des Deutschen Studentenwerks. „Seit 2008 hat die Zahl der öffentlich geförderten Studienplätze um 45 Prozent zugenommen, die Zahl der öffentlich geförderten Wohnheimplätze ist jedoch nur um rund 8 Prozent gestiegen", sagt Grob. Doch ohne Förderung können die Studentenwerke keine neuen, bezahlbaren Wohnheimplätze schaffen, die sich an der Bafög-Wohnpauschale von 250 Euro orientieren.

Auch in Heidelberg baut das Studentenwerk gerade keine neuen Plätze. Der Bund müsse endlich in den Wohnheimbau investieren, fordert Grob. „Studenten sollen ja vor allem studieren und nicht enorme Zeit für die Wohnungssuche aufwenden müssen", gibt er zu bedenken.

Private Investoren nutzen die hohe Nachfrage aus

In den vergangenen Jahren sind vor allem private Investoren auf dem studentischen Wohnungsmarkt tätig geworden, lassen sich mit privaten Wohnheimen doch hohe Renditen erzielen. Für hochwertig möblierte Appartements in Verbindung mit Gemeinschaftsflächen können die Anbieter Preise deutlich über dem Mietspiegel fordern. So sprießen private Luxus-Wohnheime mit wohlklingenden Namen wie „The Fizz" („Schampus") oder „Youniq" („Einzigartig") in den Ballungszentren aus dem Boden.

Die Mieten sind hoch und die Nachfrage auch, dafür sorgen weiter steigende Studentenzahlen. Es sei ein lukratives Geschäft für Investoren, heißt es in einem Marktreport des Immobiliendienstleisters CBRE. Allerdings sei ein Verdrängungswettbewerb im Luxus-Segment in Zukunft möglich, denn benötigt werde vor allem günstiger und nicht hochpreisiger Wohnraum.

Viele Anbieter zielen daher auch auf andere zahlungskräftige Gruppen: Berufseinsteiger, Singles und Pendler. Oder sie kombinieren die Wohnungen für Studenten mit Hotelzimmern, wie es etwa das niederländische Unternehmen „The Student Hotel" macht, das kürzlich seinen ersten deutschen Standort in Dresden in einem ehemaligen Hotelgebäude eröffnet hat. Aktuell unterhält das Unternehmen rund 4400 Zimmer an elf Standorten, bis 2021 möchte es auf 17.550 Zimmer wachsen. Auch beim Dresdner „Student Hotel" gilt: Günstig wohnen sieht anders aus, ein Zimmer kostet 595 Euro im Monat.

„Das Geschäftsmodell der privaten Anbieter ist es, viel Rendite zu machen. Deren Wohnplätze nutzen nur denen, die es sich leisten können", sagt Studentenwerkssprecher Grob. Der Durchschnittsstudent verfügt aber nur über 918 Euro im Monat, wie die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahr 2016 ergab.

Wände zwischen den Zimmern in Eigenregie versetzen

Um Rendite geht es den Heidelberger Studenten vom Collegium Academicum nicht. „Wir sind ein Beispiel dafür, wie man ohne private Investoren und Profitinteressen bauen kann", sagt Philipp Lübbers. Der Einundzwanzigjährige ist seit eineinhalb Jahren im Team dabei. Er spricht ebenso wie seine Kollegen wie ein erfahrener Bauherr von Baustoffen, Anträgen und Fristen, von Zeitplänen, Lärmschutz und Finanzierung.

Seit der Gründungsidee im Jahr 2012 bis heute haben die Studenten viel getan, um jetzt kurz vor dem Bau zu stehen. Die Unterstützung der Stadt war ihnen von Anfang an sicher. Ihre Idee, günstigen und ökologisch nachhaltigen Wohnraum zu schaffen, wurde so auch zum Projekt der Internationalen Bauausstellung Heidelberg unter dem Motto „Wissen schafft Stadt". Die Ausstellung vermittelte einen Kontakt zu dem Architekturbüro Drexler Guinand Jauslin, mit dem die Studenten das Konzept entwickelten.

Das setzt auf Variabilität und Eigenverantwortung und nicht auf feste Wände und eine gleiche Struktur in den geplanten 46 Dreier- oder Vierer-WGs. 14 Quadratmeter ist die Standardgröße der Privatzimmer, doch können die zukünftigen WG-Bewohner diese freiwillig auf sieben Quadratmeter verkleinern. Dadurch entsteht mehr Gemeinschaftsfläche. Möglich macht das die Holzbauweise des Gebäudes, so dass die Bewohner die Innenwände wie bei einem Steckbaukasten in Eigenregie versetzen können. „Durch die flexiblen Wände ist es auch möglich, mehrere WGs zu einer großen zusammenzulegen", sagt Franziska Meier, die das Projekt seit dem ersten Tag begleitet.

Neben der günstigen Miete und dem flexiblen, flächensparenden Raumprogramm ist den Studenten vor allem die Gemeinschaft wichtig. Und die soll an der Wohnungstür nicht haltmachen. Da gibt es eine Aula mit Dachgarten, einen großen Gemeinschaftsraum mit Küche und auch eine Werkstatt. Denn die Möbel des Wohnheims möchten sie selbst bauen, um Geld zu sparen - aber auch um maximale Selbstverwirklichung bei minimaler Abhängigkeit zu erreichen.

Doch die jungen Bauherren brauchen Geld, ihr Projekt kostet rund 15 Millionen Euro. Rund 2,6 Millionen Euro erhalten sie aus Bundes- und Landesfördermitteln. Neben den Direktkrediten und Spenden in geplanter Höhe von 2 Millionen bildet vor allem noch ein KfW-Kredit von rund 9,5 Millionen Euro die Finanzierungsgrundlage.

Kaufprozess zieht sich in die Länge

Das Konzept ist da, die Finanzierung steht, und mit ihrem Zimmercontainer machen die jungen Visionäre fleißig Werbung für sich, um das restliche benötigte Geld in die Kasse zu bekommen. Der Baugrund ist bereits zugesichert. Da sich dieser jedoch auf einer Konversionsfläche der ehemaligen amerikanischen Streitkräfte befindet, zieht sich der Kaufprozess in die Länge. „Wir hoffen, mit dem Bau nächstes Jahr zu starten, 2020 könnten dann die ersten Leute einziehen", sagt Franziska Meier.

Auch zwei Bestandsgebäude wollen sie nutzen, um Raum für alle zu schaffen. Im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Amerikaner sollen 50 Abiturienten ein Vorstudium machen können, und selbst für das alte Pförtnerhäuschen haben sie eine Idee: Dort möchten sie ein Café mit Laden eröffnen, um die Stadt zu sich einzuladen. Das Wohnen im Collegium Academicum soll schließlich kein abgeschotteter Bereich sein. Wenn es einmal fertig ist, wird es das erste Wohnheim dieser Größe in Deutschland sein, das Studenten von Anfang an selbstbestimmt geplant haben. Aber damit nicht genug. Die Heidelberger wollen es auch einmal komplett selbst verwalten - vom Putzen bis zur Auswahl der Bewohner.

Das heutige Planungsteam muss daher mit Vertrauen auf die Zukunft blicken. „Wie sich das Leben im Collegium Academicum entwickeln wird, wissen wir nicht. Die zukünftigen Bewohner entscheiden ja alles - nicht wir", sagt Studentin Over mit einem Lächeln. Denn wenn die ersten einziehen, wird Over ihr Studium längst abgeschlossen haben.

Original